Seit fast einem Jahr verhandelt die Große Koalition die Frage nach einem Mindestlohn und verzettelt sich täglich mehr in den eigenen Vorschlägen. Mal zieht die Union das fast schon historische Gesetz gegen sittenwidrige Löhne aus der Schublade. Dann fordert SPD-Arbeitsminister Franz Müntefering das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf mindestens zehn Branchen auszuweiten. Im arbeitsmarktpolitischen Detail blickt kaum noch jemand durch.
Die Kanzlerin will das Thema vom Tisch haben, deshalb hat sie es zur Entscheidung auf die Tagesordnung des Koalitionsausschusses setzen lassen. Eigentlich müssten ihr die Sozialdemokraten für jeden Kompromiss dankbar sein, denn würde die SPD mit der Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn in den Wahlkampf ziehen, leistete sie am Ende nur der Linkspartei Wahlkampfhilfe.
Es ist eine ökonomische Binsenweisheit: Löhne sollten sich am Markt durch Angebot und Nachfrage bilden. Wenn die Koalition hier eingreift, riskiert sie es, Jobs zu vernichten, die es ohne Mindestlohn noch gegeben hätte. Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen würde damit jede Chance auf dem Arbeitsmarkt genommen. Nun ist es gesellschaftliche Übereinkunft, dass jeder von seiner Arbeit auch leben können soll. Richtig! Wo dafür die Lohnhöhe nicht ausreicht, muss es einen staatlichen Zuschuss über Kombilöhne geben. Die Union hat sich mit dem Weg über das Entsendegesetz schon weiter auf die SPD zu bewegt, als sie es einst im Koalitionsvertrag zugestand.
Selbst wenn es nun zu einem Mindest-Kompromiss kommt, steht zu befürchten, dass das Thema immer wieder hoch kocht - jedes Mal, wenn es um die Aufnahme einer neuen Branche ins Entsendegesetz geht. Die Legislaturperiode ist noch lang. Warum tut die Koalition sich das an?