Karl-Wilhelm Bollow
Der Flottillenadmiral und UNIFIL-Befehlshaber will mehr Hilfe für den Libanon. Unter anderem Boote.
Im Laufe des UNIFIL-Einsatzes seit vergangenem Oktober vor den Küsten des Libanons kam es immer wieder zu Zwischenfällen mit der israelischen Armee. Erst kürzlich näherten sich israelische Kampfjets, ein weiteres Mal ein israelisches Schnellboot der deutschen Fregatte Niedersachsen. Haben Sie den Eindruck, die Israelis nehmen die aufgeführten Maßnahmen der UN-Resolution 1701 zur Befriedung des Nahen Ostens nicht ernst?
Doch. Die israelische Armee akzeptiert die Maritime Task Force sehr wohl. Sie macht auch immer wieder deutlich, wie wichtig der Auftrag aus ihrer Sicht ist und dass er 100-prozentig durchgeführt werden muss. Wir führen diese Zwischenfälle auf die Tatsache zurück, dass im gleichen internationalen Seegebiet einerseits Einheiten der internationalen Schutztruppe sind, andererseits aber sehr viele Aktivitäten der Israelis stattfinden - allein bis zu 60, 70 Flugbewegungen pro Tag. Dann kann es schon einmal vorkommen, dass die Kampfjets die internationalen Einheiten nicht richtig zur Kenntnis nehmen. Wichtig ist, dass sich die Einheiten des internationalen Verbandes durch die Israelis nicht gefährdet fühlen. Aber wir haben auch das eine oder andere Fehlverhalten, dann müssen wir entsprechend damit umgehen. Das tun wir dann ganz unaufgeregt.
Das hört sich nach Beschwichtigung an. Im vergangenen Herbst haben deutsche Soldaten bei ähnlichen Aktivitäten israelischer Kampfjets sogar Schüsse vernommen.
Wir haben derartige Zwischenfälle zum Anlass genommen, uns bei den Israelis zu beschweren. Vor wenigen Tagen haben wir intensive Gespräche mit der israelischen Marineführung im Norden Israels führen können. Wir waren uns völlig einig, dass die Anwesenheit beider Seiten in diesem Seegebiet nichts Außergewöhnliches ist, und wir haben deutlich gemacht, dass wir uns an entsprechende Regeln zu halten haben. In Anbetracht der Vielzahl der Aktivitäten, die wir hier haben, ist die Zahl der Zwischenfälle insgesamt gering und harmlos gewesen.
Wie bereiten Sie die Soldaten auf solche Vorkommnisse vor?
Durch intensive Briefings. Ich mache deutlich, dass die Israelis für uns keine Bedrohung sind, dass es sich im Luftbereich zu 99,7 Prozent um israelische Einheiten handelt, dass Zurückhaltung und Deeskalation angesagt sind.
Akzeptiert die libanesische Marine Ihre Zurückhaltung gegenüber den Israelis?
Die libanesische Marine weiß, dass wir hier im Rahmen eines Mandats und auf Einladung der Libanesen operieren. Sie macht uns klare Vorgaben und die halten wir ein. Sollten die Erwartungen an uns zu hoch sein, mache ich die Grenzen des Mandats deutlich.
Vertrauen Ihnen die Libanesen trotz solch heikler Momente?
Ich glaube schon. Ich unterrichte die libanesische Marineführung über die Gespräche mit den Israelis. Es wird mit offenen Karten gespielt. Als internationaler Verband haben wir nichts zu verheimlichen.
Wie wäre die Situation, wenn der internationale Verband nicht vor Ort wäre?
Man muss unterscheiden zwischen Luftraumbegegnungen und Seeraumbegegnungen. Wir haben es natürlich immer wieder mit Verletzungen des Luftraums zu tun, die wir stets dem UN-Hauptquartier in Naqoura melden. Wie die Libanesen damit umgehen, bleibt ihre Sache. Ich weiß, dass es bisher zu keiner Territorialgewässerverletzung durch israelische Seestreitkräfte gekommen ist und das ist ein positives Zeichen. Unsere Präsenz hat auf jeden Fall zu mehr Sicherheit und Stabilität in der Region geführt.
Können Sie eine positive Bilanz für den internationalen Einsatz ziehen?
Was unseren Umgang mit den Libanesen und den Israelis anbetrifft, ja. Alle Parteien wissen, in welchem Rahmen wir uns hier bewegen. Wir sind zur Neutralität und Unparteilichkeit aufgerufen. Deshalb führen wir eine offene Kommunikation. Aufgrund unserer Präsenz wurde die israelische Seeblockade aufgehoben, der Seehandel funktioniert wieder, der Waffenschmuggel ist gestoppt. Wie sich das auf den politischen Prozess im Libanon auswirkt, müssen wir abwarten.
Neu an dem UNIFIL-Einsatz ist das robuste Mandat. Sie dürfen erstmals so genannte Boardings durchführen, bewaffnete Überprüfungen verdächtiger Schiffe, selbst wenn der Kapitän sie ablehnt. Wie oft haben Sie davon Gebrauch gemacht?
Gar nicht. 30 verdächtige Handelsfahrzeuge haben wir der libanesischen Marine zur eingehenden Kontrolle übergeben.
Darüber hinaus haben die Libanesen auf eigene Initiative weitere veranlasst?
Ja. Die Libanesen sind innerhalb des Sechs-Meilen-Küstenstreifens im Einsatz. Sie haben Untersuchungen von kleineren Fahrzeugen vorgenommen, vor allen Dingen an der Nordgrenze zu Syrien, aber auch in den Häfen, um auch von der Seite sicher zu gehen, dass nichts Unerlaubtes ins Land kommt.
Was haben die Inspektionen ergeben?
Dass es keinerlei Hinweise auf Waffenschmuggel in den Libanon gibt.
Ist das Schlupfloch Seeweg für den Waffenschmuggel erst einmal gestopft?
Das kann ich so sagen und das wird auch von den Israelis so gesehen.
Wie kommen Sie mit Ihrer Ausstattung zurecht?
Zunächst einmal - als Verbandsführer des Internationalen Verbandes erkenne ich, dass der deutsche Beitrag umfangreich und dem Auftrag angemessen ist. Deutschland ist ja die führende Nation.
Sie scheinen eine Ausnahme zu sein. Überall wird das veraltete Gerät der Bundeswehr beklagt.
Ich kann Ihnen nur sagen, dass die Ausrüstung, die wir hier haben, mindestens internationalen Standard hat.
Wie beurteilen Sie die Aufstellung der Libanesen?
Wir arbeiten mit den Libanesen nicht nur zusammen, um den Waffenschmuggel zu unterbinden, sondern auch, um die libanesische Marine auszubilden. Wenn Sie mich nach der libanesischen Marine fragen: Die Fahrzeuge der Marine sind klein, älteren Datums, nur bei schönem Wetter im Vorfeld der Küste zu gebrauchen und durch die Bank Schenkungen anderer Nationen. Ihre Einsatzmöglichkeiten sind stark begrenzt. Wesentliche Schenkungen lassen leider auf sich warten, bisher gibt es nur welche aus der Bundesrepublik. Dabei handelt es sich um zwei ehemalige Polizeiboote aus Bremen.
Wie sollen die Libanesen den Waffenschmuggel irgendwann selbst bekämpfen?
Der libanesische Admiral Abi Nasr hat bei den Vereinten Nationen in New York eine Wunschliste eingereicht. Wenn nicht bald Schenkungen durch weitere Nationen hinzukommen, wird der Prozess der Befriedung dieser Region noch lange dauern.
Wäre die Ausstattung der libanesischen Armee mit nötigem Gerät auf lange Sicht nicht billiger als eine Endlos-Präsenz von UNIFIL?
Mit Sicherheit. Wenn das Mandat 1701 über den 31. August verlängert wird, bleibt unsere Präsenz weiterhin erforderlich. Wer glaubt, es habe sich bereits eine deutliche Verbesserung durch das Mandat 1701 ergeben, dessen Optimismus muss ich dämpfen. Der Libanon ist, was die Bewachung der territorialen Gewässer anbetrifft, noch ganz am Anfang und braucht weitere Hilfe. Die Verantwortung wird gern an die Vereinten Nationen in New York abgetreten, nach dem Motto, die UN wird es regeln. Wer die UN kennt, der weiß, dass sie aus 192 Nationen besteht. Die Initiative, sich in den politischen Prozess und den Aufbau der libanesischen Marine einzubringen, muss auch von den einzelnen Nationen ausgehen. Wie soll sonst der Rückzug von UNIFIL eines Tages gelingen?