Seit 1990: Gesamtdeutsches Parlament
Erste Sitzungen im Reichstagsgebäude
Zu seiner ersten Sitzung kommt der gesamtdeutsche Bundestag bereits am 4. Oktober 1990, also einen Tag nach der Vereinigung Deutschlands, im Berliner Reichstagsgebäude zusammen.
Zu den Mitgliedern gehören die im Jahre 1987 gewählten Bundestagsabgeordneten sowie 144 von der Volkskammer gewählte Abgeordnete. Mit der Vereidigung von fünf bisherigen DDR-Politikern als neue Bundesminister ohne Geschäftsbereich wird auch sofort die erste gesamtdeutsche Regierung gebildet.
Die ersten gemeinsamen Wahlen finden am 2. Dezember 1990 statt. Mit Bundeskanzler Helmut Kohl wird die Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP fortgesetzt. Während die konstituierende Sitzung des Bundestags am 20. Dezember noch in Berlin stattgefunden hat, kehrt der auf 662 Mitglieder angewachsene Bundestag für seine weiteren Sitzungen nach Bonn zurück.
Zusammenwachsen von Ost und West
Der neue Plenarsaal in Bonn wird Ende 1992 Tagungsstätte des Deutschen Bundestages. Auch wenn sich äußerlich in den parlamentarischen Abläufen und Verfahren wenig ändert, bedeutet die Aufnahme der parlamentarischen Arbeit nach der Vereinigung in gewisser Weise einen Neuanfang.
Denn nun gilt es, die Aufgabe der Integration der beiden Teile Deutschlands zu einem politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Ganzen zu bewältigen.
Im Vordergrund steht das zunächst kontrovers diskutierte Thema der Finanzierung der Einheit. Die zu leistenden Aufbauarbeiten verlangen die Bereitstellung gewaltiger Finanzmittel.
Mit dem Abschluss eines "Solidarpakts der Vernunft" zwischen Bund und Ländern und der Erhebung eines Solidaritätszuschlags zur Lohn-, Einkommens- und Körperschaftssteuer werden die Voraussetzungen für die Finanzierung dieser Aufgaben geschaffen.
Neue Aufgaben innerhalb der EU und der NATO
Der Bundestag stimmt der Einführung des Euro zu. Mit der Zustimmung der Alliierten Siegermächte hat Deutschland wieder die volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten.
Damit wächst auch Deutschlands Verantwortung für die Weiterentwicklung der Europäischen Union (EU). Deutschland wird zu einem Motor für den weiteren europäischen Vereinigungsprozess, sowohl bei den Verhandlungen über die Wirtschafts- und Währungsunion als auch beim Abschluss der Verträge von Maastricht und Amsterdam, die eine Vertiefung und strukturelle Verbesserung der EU vorsehen.
Eine neue Aufgabe für den Bundestag ist auch die Entscheidung, ob sich deutsche Soldaten außerhalb des NATO-Gebietes an friedenserhaltenden bzw. -stiftenden Einsätzen beteiligen sollen. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet, dass solche Einsätze mit dem Grundgesetz konform sind. Der Bundestag stimmt 1995 einem Bundeswehreinsatz in Kroatien und Bosnien zu.
Wechsel zum rot-grünen Regierungsbündnis
1998 bereiten die Wähler Helmut Kohl und seiner Koalition nach 16 Regierungsjahren eine klare Niederlage. Die SPD geht mit ihrem Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder als stärkste Partei aus der Wahl hervor und kann zusammen mit Bündnis90/Die Grünen eine rot-grüne Regierungskoalition bilden.
Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik führt damit ein Votum der Wähler unmittelbar einen Wechsel aus der Opposition in die Regierung herbei. Erstmals ist keine Partei an der Regierung beteiligt, die schon vorher an der Regierung als Koalitionspartner beteiligt war. Und erstmals seit 1976 ist mit Wolfgang Thierse wieder ein Sozialdemokrat Präsident des Bundestages.
Die PDS kann mit 36 Mandaten 1998 erstmals in Fraktionsstärke in den Bundestag einziehen und erhält entsprechend parlamentarischer Gepflogenheiten auch einen Sitz im Präsidium.
Umzug von Bonn nach Berlin
Bereits 1991 beschließt die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten, dass Berlin Hauptstadt und Sitz des Parlaments sowie der Regierung ist.
Im selben Jahr entscheidet der Ältestenrat des Bundestages, dass das Reichstagsgebäude für die parlamentarische Arbeit wiederhergestellt und genutzt werden soll. Nach einem internationalen Bauwettbewerb erhält der britische Architekt Sir Norman Foster den Auftrag zum Umbau des Gebäudes.
Am 19. April 1999 wird das vor allem im Innern erneuerte Reichstagsgebäude mit einer feierlichen Plenarsitzung eröffnet. Rund einen Monat später tritt hier die Bundesversammlung zusammen und wählt Johannes Rau zum neuen Bundespräsidenten.
In der Sommerpause findet dann der Umzug des Bundestages von Bonn nach Berlin statt. Und am 7. September 1999, dem 50. Jahrestag der ersten Sitzung des Parlaments, beginnt der Bundestag mit seiner Arbeit in Berlin.