Fall Kurnaz: Steinmeier sagt am 8. März aus - Zwei Sondersitzungen
Berlin: (hib/KOS) Mit Hilfe von zwei Sondersitzungen am 22. und 26. Februar sowie der Vernehmung von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) bereits am 8. März will der Untersuchungsausschuss die Aufklärung des Falls Murat Kurnaz beschleunigen. Das Gremium prüft, ob hiesige Behörden und die deutsche Regierung eine Mitschuld am Schicksal des aus Bremen stammenden Türken haben, der unter Terrorverdacht geraten und deshalb zwischen Februar 2002 und August 2006 im US-Lager Guantanamo inhaftiert war. Am heutigen Donnerstag befragen die Abgeordneten zunächst hinter verschlossenen Türen drei Bedienstete deutscher Geheimdienste, die Kurnaz im Herbst 2002 in Guantanamo verhört haben, am frühen Abend soll ein US-amerikanischer Anwalt des Deutsch-Türken öffentlich aussagen. Nach dem heute neu beschlossenen Zeugenprogramm werden in den nächsten Sitzungen zunächst neben Mitarbeitern von Ministerien und Kanzleramt die ehemaligen und heutigen Chefs der Geheimdienste befragt, bevor am 1. März mit Ex-Außenminister Joschka Fischer (Grüne) und am 8. März mit dem früheren Innenminister Otto Schily (SPD) sowie Steinmeier die politisch Verantwortlichen auftreten. Eine Anhörung von Kanzleramts-Minister Thomas de Maizière (CDU) ist für einen späteren Zeitpunkt avisiert.
Vor Beginn der nichtöffentlichen Vernehmung der drei Geheimdienst-Repräsentanten kam es vor den Medienvertretern zu einem Schlagabtausch zwischen den Obleuten der Fraktionen zur Frage, ob im Herbst 2002 ein Angebot von US-Seite zur Freilassung von Kurnaz existierte und wie dessen Gefährlichkeit bzw. Ungefährlichkeit zu jener Zeit einzuschätzen war. Das dreiköpfige deutsche Team habe, so Thomas Oppermann (SPD) unter Verweis auf Erkenntnisse aus den Akten, nach dem Verhör des Türken eine differenzierte Einschätzung abgegeben. Einer der Geheimdienstmitarbeiter habe Kurnaz uneingeschränkt als ungefährlich eingestuft, ein anderer habe dieses Urteil hingegen nur unter Vorbehalt gefällt und weitere Überprüfungen für notwendig gehalten. Der SPD-Politiker sagte, im Herbst 2002 hätten die USA eine Freilassung von Kurnaz offenbar nicht erwogen. Auch im Jahr 2006 habe kein offizielles Angebot des Pentagon zur Überstellung des Türken vorgelegen, die USA hätten vielmehr weiterhin "massive Schwierigkeiten" gemacht angesichts der Bemühungen der jetzigen Regierung um eine Freilassung von Kurnaz. Es müsse geklärt werden, so Oppermann, ob am Rande des Verhörs im Herbst 2002 auf Guantanamo deutsche und US-Geheimdienstler die Idee entwickelt hätten, Kurnaz nach Deutschland zu entlassen und in der norddeutschen Islamistenszene als V-Mann einzusetzen.
Der FDP-Abgeordnete Max Stadler bezeichnete die für Donnerstag geladenen Zeugen als "hoch qualifizierte" Geheimdienstmitarbeiter. Der Liberale warf SPD-Politikern vor, neuerdings in öffentlichen Äußerungen diese Personen als "durchgeknallte Agenten" abqualifizieren zu wollen. Es sei zudem ein "absurdes Argument", dass man 2002 angeblich noch nicht habe wissen können, wie schlimm es in Guantanamo zugehe. Die rot-grüne Regierung, so Stadler, habe seinerzeit "in einer zugegebenermaßen schwierigen Situation" entschieden, dass Kurnaz in Guantanamo bleiben solle. Hans-Christian Ströbele (Grüne) gab sich überzeugt, dass sowohl die drei deutschen Vernehmer wie die US-Seite Kurnaz damals nicht als Sicherheitsrisiko eingestuft haben. Bei den Bewertungen der drei hiesigen Geheimdienstvertreter handele es sich nicht um "Agentengewäsch", sondern um eine "solide Einschätzung". Bei deren heutiger Befragung müsse geklärt werden, wie hochrangig die Ebene gewesen sei, auf der die USA im Herbst 2002 eine Freilassung des Türken in Aussicht gestellt haben. Wolfgang Neskovic von der Fraktion der Linkspartei kritisierte, dass aufgrund des aktuellen "politischen Drucks" Außenminister Steinmeier bereits Anfang März und damit zu früh angehört werden soll. Stattdessen hätte man vor dessen Auftritt sämtliche Verantwortliche vernehmen sollen, die fachlich mit dem Fall Kurnaz befasst waren. Neskovic drückte die Befürchtung aus, Steinmeier werde bei seiner Befragung in öffentlicher Sitzung nur "wolkige blumige Erklärungen" abgeben, zu den Kernfragen indes nur hinter verschlossenen Türen Stellung nehmen. Aus Sicht von CDU-Obmann Hermann Gröhe belegt das am Donnerstag beschlossene Zeugenprogramm, dass der Ausschuss zügig, aber sachorientiert arbeiten wolle. Man setze nicht auf "Effekthascherei", weswegen Steinmeier nicht schon Anfang Februar geladen werde.
Die beiden Sondersitzungen müssen noch von Bundestagspräsident Norbert Lammert genehmigt werden, woran man im Ausschuss jedoch nicht zweifelt.