EuGH-Urteil zur Dividendenbesteuerung sorgt für Unmut
Berlin: (hib/VOM) Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zur Dividendenbesteuerung hat am Mittwochvormittag im Finanzausschuss bei Abgeordneten wie bei der Bundesregierung Unmut ausgelöst. Nach Darstellung der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium, Barbara Hendricks (SPD), hat das Gericht das bis Ende des Jahres 2000 in Deutschland geltende Vollanrechnungsverfahren im Körperschaftsteuerrecht als Verstoß gegen eine europäische Grundfreiheit, die Kapitalverkehrsfreiheit, gewertet. Die Bundesregierung hatte das damals geltende Recht in einem Gesetzgebungsverfahren im gleichen Jahr geändert mit dem Hinweis, es müsse an EU-Recht angepasst werden. Dabei war das Halbeinkünfteverfahren für die Dividendenbesteuerung eingeführt worden, die seit 2001 in Kraft ist. Nach dem Anrechnungsverfahren hatten nur Anteilseigner, die Dividenden inländischer Gesellschaften bezogen, Anspruch auf eine Steuergutschrift, nicht aber die Bezieher von Dividenden ausländischer Gesellschaften. Dass der EuGH so entscheiden würde, sei für die Bundesregierung keine Überraschung gewesen, sagte Hendricks. Das Recht sei ja im Jahr 2000 gerade mit der Begründung geändert worden, es EU-rechtstauglich zu machen. Nicht gerechnet habe man allerdings damit, dass der EuGH die Rückwirkung des Urteils nicht zeitlich beschränkt hat. Dies habe zur Folge, dass die durch das alte Recht benachteiligten Anteilseigner die Möglichkeit haben, die Steuergutschriften nachträglich geltend zu machen.
Nach Rechtsauffassung der Bundesregierung seien die Voraussetzungen für eine zeitliche Beschränkung der rückwirkenden Anrechnung ausländischer Dividenden allerdings gegeben gewesen, betonte die Staatssekretärin. Das jetzige Urteil könne finanzielle Auswirkungen auf die Haushalte von Bund, Länder und Gemeinden von bis zu 5 Milliarden Euro haben, von denen rund die Hälfte auf den Bund entfallen könnten. Das Urteil bedeutet aus Sicht der Regierung, dass alle 27 Mitgliedstaaten der EU in allen vergleichbaren Fällen nun ihr nationales Recht überprüfen und gegebenenfalls eine Begrenzung der Urteilswirkungen beantragen müssten. Dies sei völlig neu, insoweit sei der EuGH mit diesem Urteil "rechtsschöpferisch" tätig geworden. Eventuelle Steuererstattungen an die betroffenen Anleger seien bislang in der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes nicht berücksichtigt gewesen. Dies werde aber nachgeholt.
Hendricks wies darauf hin, dass Beweislast für die Berechtigung der Steuergutschrift bei den Anteilseignern liege. Es werde ein Antragsverfahren geben, bei dem diejenigen die Erstattung beantragen könnten, deren Fälle bezogen auf diesen Sachverhalt noch offen sind. Die Staatssekretärin erwartet, dass sich die Prüfung der Anträge über Jahre hinziehen wird, auch weil einige Finanzbeamte extra dafür geschult werden müssten. Die Bundesregierung kündigte im Übrigen an, es würden hohe Anforderungen an den Nachweis einer Vorbelastung der Anteilseigner und damit der Berechtigung einer Steuergutschrift gestellt. Dabei würden vergleichbare Maßstäbe angelegt wie bei den Beziehern von Dividenden inländischer Gesellschaften. Hendricks erinnerte daran, dass sowohl die Europäische Kommission als auch zehn andere Mitgliedsländer Deutschland in diesem Verfahren beigetreten seien. Die Bundesregierung habe dem EuGH seit längerem in mehreren Verfahren vorgetragen, dass sie seine Rechtsprechung im Hinblick auf die direkten Steuern ablehne. Zu fragen sei, ob nicht das EU-Recht geändert werden muss, weil sich der EuGH "anmaße", über die direkte Besteuerung Recht zu sprechen.
Nach Ansicht der SPD-Fraktion ist zu prüfen, ob eine Änderung des EU-Vertrages erforderlich ist. Wenn die EU mehr und mehr bundesstaatlichen Charakter annehme und das Gericht derart weittragende Urteile fällen könne, mussten die Staaten überlegen, welche Folgen das für sie habe. Von Unionsseite hieß es, in diesem Fall sei es um nationale Gesetzgebung und nicht um EU-Recht gegangen. Der EuGH entscheide darüber, dass die in einem Staat gezahlten Steuern in einen anderen Staat angerechnet werden müssten, ohne dass zwischen den Staaten ein Clearing-Verfahren in einem Doppelbesteuerungsabkommen bestehen müsse. Die FDP teilte die Grundsatzkritik am EuGH. Dies solle die Regierung auch im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft ansprechen. Damit würden die nationalen Gestaltungsmöglichkeiten ausgehebelt. Die Grünen erinnerten daran, dass die Änderung des Besteuerungsverfahrens im Jahr 2000 gegen den Widerstand der Unionsfraktion habe durchgesetzt werden müssen. Hätte man dies damals nicht getan, wären die finanziellen Auswirkungen nun noch dramatischer. Die Bundesregierung habe die wirtschaftlichen Auswirkungen im Verfahren vor dem EuGH nicht überzeugend dargelegt, hieß es von Seiten der Grünen.
Der Finanzausschuss will das Thema weiter im Auge behalten und sich nach einer Auswertung des Urteils durch die Bundesregierung wieder mit der Problematik auseinandersetzen.