Kontroverse um die richtige Tourismusstrategie von morgen
Berlin: (hib/VOM) Die Erfolgskonzepte von gestern und heute sind nicht unbedingt die von morgen. Mit diesen Worten fasste die Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Tourismusverbandes, Claudia Gilles, am Mittwochabend eine Diskussion des Tourismusausschusses mit Professor Björn Bloching von Roland Berger Strategy Consultants zusammen. Bloching hatte den Abgeordneten die Entwicklung zeitgemäßer Tourismusstrategien anhand einer Strategie erläutert, die er für das Land Schleswig-Holstein entwickelte. Qualitätssicherung, mehr Service, Individualität und Förderung der Infrastruktur im Deutschlandtourismus seien nicht falsch und müssten weiterbetrieben werden, forderte Gilles. Auf der anderen Seite müsse man auch überlegen, wie möglichst viele angesichts des raschen gesellschaftlichen Wandels und eines im Inland nicht mehr größer werdenden Kuchens auf ihre Kosten kommen können.
Blochings Aussagen waren bei den Abgeordneten nicht auf uneingeschränkte Zustimmung gestoßen. Die klassische Zielgruppe für den Schleswig-Holstein-Tourismus sei in den 70er-Jahren die vierköpfige Mittelstandsfamilie gewesen, die es heute nicht mehr gebe. Heute gehe es darum, Kräfte zu bündeln, neue Zielgruppen zu suchen und langfristig zu planen. In der deutschen Provinz sei abseits vom boomenden Städtetourismus noch viel Altes, Mittelmäßiges und nicht Zielgruppenspezifisches zu finden. Die klassische Zwei- und Drei-Sterne-Pension sterbe mit einer Auslastungsquote von 20 bis 25 Prozent einen "klassischen Tod". Der deutsche Tourismus müsse aus dieser Mittelmäßigkeit heraus. Erforderlich sei eine neue strategische Ausrichtung, auch angesichts einer schleichenden Erosion im privaten Nebenerwerbstourismus. Die Wertschöpfung pro Kopf habe abgenommen, das Geld am Markt fehle. Der Tourismus sei kein Käufermarkt mehr. Viele hätten noch nicht verstanden, so Bloching, dass die touristischen Akteure anders agieren könnten, weil die Zielgruppen andere geworden seien. Beispielsweise riet er von einer Broschüre für Radtourismus ab, die sowohl den gut verdienenden Yuppie, die Familie mit dem Astra Caravan und den so genannten "Best Ager" ansprechen wolle. Diese Zielgruppen bräuchten jeweils eine spezifische Ansprache. Für Bloching kommt es darauf an, erst auf Zielgruppen zu setzen und dann erst auf Themen. In allen anderen Branchen werde dies so gemacht, nur im Tourismus nicht. "Ihr müsst heraus aus der altmodisch verstaubten mittelmäßigen Ecke", sagte der Professor.
Von Unionsseite hieß es zunächst, Blochings Aussagen seien "alter Wein in alten Schläuchen". Schleswig-Holstein habe einen enormen Investitionsstau und sei ungeeignet als Beispiel für den Deutschlandtourismus. Für die SPD ist die "Zielgruppen-Debatte voll durch". Sie betonte statt dessen das Produkt in Verbindung mit dessen Qualität. Dieses Produkt müsse ein Preis-Leistungs-Verhältnis haben. Beispielsweise setze die Deutsche Zentrale für Tourismus bei ihrer Auslandswerbung voll auf das Themen-Marketing. Zielgruppen sollten über Themen angesprochen werden, so die SPD. Die FDP hielt dagegen Blochings Thesen für "erfrischend". 2006 habe einen Zuwachs im Deutschlandtourismus gebracht, allerdings nur durch große boomende Highlights, während in bestimmten Regionen und bei bestimmten Hotelarten kein Boom mehr vorhanden sei. Die Linke sprach sich in Urlaubsgebieten für eine ähnliche "soziale Durchmischung" aus, wie sie für Wohngebiete gewünscht sei. Nach ihrer Ansicht propagiert Bloching, dass die Porschefahrer und die Radfahrer zusammen Urlaub machen sollten, und die Trekkingradfahrer wieder getrennt von den Hollandradfahrern.