Ausschuss für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Anhörung)/
Berlin: (hib/KOS) Eine intensive Aufklärung über gesunde
Ernährung schon im Unterricht sowie mehr Sport- und
Bewegungsmöglichkeiten in der Schule und im öffentlichen
Raum sollen dem bei Kindern und Jugendlichen verstärkt zu
beobachtenden Phänomen des Übergewichts und der Fettsucht
entgegenwirken. Diese Forderung erhoben die Sachverständigen
am Montag bei einer Anhörung des Ausschusses für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Als
vorbildlich stellte Beate Zelazny vom Wiesbadener Kultusministerium
eine Initiative vor, wonach alle hessischen Schulen verpflichtet
sind, die Gesundheitsförderung in ihr Unterrichtsprogramm zu
integrieren und dabei mit Fachverbänden wie etwa den
Verbraucherzentralen zu kooperieren. Erika Lenz vom Deutschen
Landfrauenverband plädierte sogar dafür, Hauswirtschaft
zu einem eigenständigen Schulfach zu machen, um Heranwachsende
auf kreative und praktische Weise zu gesunder Ernährung
anzuregen und in diesem Zusammenhang im Umgang mit Geld
einzuüben. Laut Gerhard Rechkemmer von der
Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel
hat sich Übergewicht unter jungen Leuten mittlerweile massiv
verbreitet. Nach Angaben Edmund Fröhlichs, der bei einer
Spezialklinik in Bad Orb arbeitet, gibt es bundesweit jährlich
rund 15.000 Fälle von Fettsucht bei Jugendlichen. Wie
Rechkemmer erläuterte, können selbst in jungen Jahren
bereits Folgekrankheiten eines stark überhöhten Gewichts
auftreten, etwa Diabetes, Herz-Kreislauf-Schäden oder
Osteoporose. Susanne Languth vom Bund für Lebensmittelrecht
und Lebensmittelkunde wies in ihrer schriftlichen Stellungnahme
darauf hin, dass der von der Brüsseler Kommission EU-weit auf
30 Prozent geschätzte Anteil von Übergewichtigen unter
Kindern und Jugendlichen auf die Bundesrepublik nicht zutreffe:
Nach Erhebungen des Robert-Koch-Instituts seien hierzulande 15
Prozent der Drei- bis 17jährigen als übergewichtig
einzustufen. 78 Prozent dieser Altersgruppe seien als normal- und
sieben Prozent als untergewichtig einzuordnen. Als Kernproblem
bezeichnete es Christel Rademacher von der Deutschen Gesellschaft
für Ernährung, den Anteil energieärmerer
Lebensmittel wie etwa Obst und Gemüse bei der Ernährung
zu erhöhen. Schließlich hätten die modernen
Lebensgewohnheiten dazu geführt, dass der Mensch weniger
Energie benötige. Es müsse gelingen, das Gleichgewicht
zwischen Energiezufuhr und -verbrauch neu auszutarieren. Zelasny
betonte, dass ein Zusammenhang zwischen gesunder Ernährung und
schulischem Lernerfolg existiere. Sylvia Becker-Pröbstel
sprach sich dafür aus, bei der Gestaltung der von Schulen
organisierten Verpflegung Schüler und Eltern mit
einzubeziehen, um nicht zuletzt "soziale Risikogruppen" auf diesem
Weg anzusprechen. Wie andere Experten forderte die Oecotrophologin
mehr "Bewegungsräume" in Kitas, in Schulen und im
öffentlichen Raum. Jugendliche müssten auch
außerhalb von Vereinen Fußball spielen können.
Thilo Bode von der Assoziation "foodwatch" unterstrich, dass eine
gute Ernährung von Kindern und Jugendlichen auch von der
Einkommenslage der Eltern abhänge. In 20 Prozent der deutschen
Haushalte fehle es am nötigen Geld für qualitativ
wertvolle Lebensmittel. Das Anliegen von
Aufklärungsbemühungen müsse es sein, so Erik Harms
von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin,
Heranwachsende zu einem eigenverantwortlichen Umgang mit
Ernährung und Bewegung zu befähigen. "Verbote schaffen
Vorlieben, Gebote schaffen Aversionen", warnte der Kinderarzt. Auch
Raimund Geene mahnte, statt mit Verboten mit "positiven
Botschaften" zu arbeiten. Man dürfe Betroffene auch nicht
stigmatisieren, hob der Professor von der Hochschule
Magdeburg-Stendal hervor. Kritisch äußerte sich Geene
zur öffentlichen Debatte über dieses Thema, die wie in
den USA zusehends von einer "medialen Hysterisierung" des Problems
geprägt sei. In den USA habe dies die Verbreitung von
Übergewicht nicht verhindert, sondern möglicherweise noch
beschleunigt.