"DAS PARLAMENT" Interview mit Horst Seehofer und Renate Künast
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Vorabmeldung zu zwei Interviews in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 22. Oktober 2007)
- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung -
Seehofer kritisiert Absage des Bauernverbands an Gentechnik-Novelle und plädiert für einheitliche Kennzeichnung von Lebensmitteln
Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst Seehofer, hält die Argumente des Bauernverbandes gegen den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen für „vorgeschoben“. In einem Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag 22. Oktober 2007) sagte der CSU-Politiker: „Der Bauernverband behauptet, er könne deshalb nicht zur Gentechnik raten, weil wir das Haftungsrecht nicht erleichtern.“ Tatsächlich stünden dahinter andere Beweggründe. Der Bauernverband solle „so ehrlich sein und sagen, wir empfehlen es nicht, weil die ganz große Mehrheit der Bauern es nicht will“. Die indirekte Forderung des Verbands nach einer Erleichterung des Haftungsrechts würde nach Ansicht Seehofers „genau eine nachteilige Wirkung für die Bauern haben“, weil diejenigen von ihnen, die nichts mit Gentechnik zu tun haben wollen, viel stärker mit den Folgen der Vermischung konventioneller Pflanzen mit gentechnisch verändertem Material zu kämpfen hätten. Seehofer: „Darum verstehe ich die Argumentation überhaupt nicht.“
Hintergrund der Kritik des Bauernverbandes ist die Entscheidung Seehofers, das Haftungsrecht für Gen-Bauern nicht zu lockern. Danach müssen Gen-Bauern, von deren Feldern der Wind Pollen auf benachbarte Äcker trägt, für den finanziellen Schaden aufkommen, wenn die Nachbarbauern ihre konventionelle Ernte nicht mehr zum sonst üblichen Preis verkaufen können. Kann kein einzelner Verursacher ausfindig gemacht werden, müssen nach dem Grundsatz der „verschuldensunabhängigen gesamtschuldnerischen Haftung“ alle in Frage kommenden Gen-Bauern zahlen.
Im Gespräch mit „Das Parlament“ plädiert Seehofer für ein Monitoring beim Genmais. Nur eine regelmäßige Beobachtung der Entwicklung und rechtzeitiger Erkenntnisgewinn könnten „die Frage beantworten, was es für langfristige Folgen gibt“. Damit reagiere er auf Befürchtungen von Umweltverbänden, dass es beim Anbau von Genmais zu einer schleichenden Verunreinigung von Lebensmitteln kommen könnte. Seehofers Amtsvorgängerin Renate Künast (Bündis 90/Die Grünen) stellte sich in einem Interview für dieselbe Ausgabe von „Das Parlament“ auf die Seite der Bauernverbände. Mit der Novelle des Gentechnikgesetzes, das unter Rot-Grün verabschiedet wurde, wolle die Regierung wichtige Schutzregeln „nun drastisch verschlechtern“. Man wolle etwa aus dem Gesetz streichen, dass der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen „grundsätzlich nicht die gentechnikfreie Landwirtschaft gefährden darf“. Darum protestierten Umwelt- und Verbraucherverbände „zu Recht“ gegen die Änderungen.
Im Hinblick auf die aktuell diskutierte Kennzeichnung von Lebensmitteln wirbt Seehofer für eine einheitliche Kennzeichnung der Lebensmittel mit den wichtigsten Nährstoffwerten, „damit die Leute eine seriöse, einfache Information darüber bekommen, wie viel Zucker, wie viele Fettsäuren und ähnliches in einem Lebensmittel enthalten sind“. Die so genannte Ampel-Kennzeichnung, für die unter anderem Renate Künast wirbt, sei „zu einfach“. Künast wiederum bezeichnet Seehofers Entscheidung für eine freiwillige Kennzeichnung der Lebensmittel durch die Wirtschaft im Gespräch mit „Das Parlament“ als „krass falsch“. Jeder müsse auf den ersten Blick zwischen Grundnahrung und Süßigkeit unterscheiden können, die sei durch die Ampelkennzeichnung gewährleistet, die verbindlich sein müsse. Die Freiwilligkeit „hat bislang zu gar nichts geführt“, derartige Maßnahmen seien „zum Scheitern verurteilt“, so Künast.
Die Interviews im Wortlaut:
„Der Bürger hat Macht“.
Horst Seehofer: Der Verbraucherschutzminister will einen gut informierten Konsumenten und wenig Vorschriften
Welchen Stellenwert hat für Sie der Verbraucherschutz? In Ihrem Ministeriumsnamen kommt er erst an der letzten Stelle.
Wir haben unseren Ministeriumsnamen alphabetisch geordnet. Deshalb haben alle zentralen Zuständigkeiten Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz den gleichen Stellenwert.
Wie weit darf der Staat denn eingreifen, um den Verbraucher zu schützen?
Ich möchte im Verbraucherschutz dann einen starken Staat, wenn es um die Abwehr von Gesundheitsgefahren geht. In allen anderen Fragen, wo es um den vernünftigen Gebrauch von Lebensmitteln oder Bedarfsgegenständen geht, möchte ich starke Bürger, mündige Verbraucher. Das erreicht man durch Information und Aufklärung. Das ist das Grundprinzip unserer Verbraucherpolitik. Gesundheitsgefährdendes Gammelfleisch muss aus dem Verkehr gezogen werden. Die Zusammenstellung einer abwechslungsreichen Ernährung aber ist ohne die Mitwirkung mündiger Verbraucher nicht zu erreichen.
Warum steigen die Lebensmittelpreise so rasant in Deutschland? Nach Milch und Butter sind auch Quark und Käse teurer geworden.
Weil die weltweite Nachfrage nach Lebensmittelprodukten massiv gestiegen ist, weil weltweit die Landwirtschaft eine Multifunktion bekommen hat. Das heißt, der gleiche Grund und Boden wird mehrfach genutzt – für Nahrungsmittelproduktion und Energieproduktion. Zum dritten sind die allermeisten Nahrungsmittelpreise in Deutschland seit einem Vierteljahrhundert relativ stabil geblieben oder sind sogar gesunken. Diese Entwicklung konnte ja nicht endlos so weitergehen, dass Bauern für ihre Arbeit nicht einmal kostendeckende Preise wie bei der Milch bekommen.
Halten Sie die Preiserhöhungen für Milchprodukte von bis zu 50 Prozent für gerechtfertigt?
In dieser Größenordnung und parallel von mehreren Konzernen erscheinen sie mir nicht plausibel. Weil auch bei den Bauern davon am allerwenigsten bisher angekommen ist.
Müssen sich die Verbraucher darauf einstellen, dass viele Nahrungsmittel langfristig teurer werden?
Das wird auf absehbare Zeit so bleiben. Was aber nicht bedeutet, dass die Belastungen für Verbraucher ständig steigen werden. Niemand kann heute genau voraussehen, wie sich die Agrarmärkte in Zukunft entwickeln. Vielleicht werden die Energiepreise sogar stabiler durch eine dezentrale Energieversorgung mit Biogas, Biokraftstoffen und Biomasse. Im Grunde befinden wir uns mitten in einer „grünen Revolution“.
Was können die Konsumenten gegen steigende Lebensmittelpreise tun? Wie groß ist ihre Macht?
Der Verbraucher hat eine sehr starke Macht, vor allem im Lebensmittelbereich, weil er viele Auswahlmöglichkeiten hat. Deshalb ist der Wettbewerb und der Preiskampf im Lebensmittelbereich traditionell sehr stark. Der Verbraucher sollte preisbewusst und qualitätsorientiert einkaufen.
Welche Mittel hat die Bundesregierung, um gegen überhöhte Lebensmittelpreise vorzugehen?
Es gibt das Kartellrecht. Es ist die Aufgabe der Exekutive, zu überprüfen, ob die Wettbewerbsregeln außer Kraft gesetzt wurden, zum Beispiel durch Preisabsprachen. Ich sehe außer der Funktion des Wettbewerbs und einem preisbewussten Einkaufen keine durchgreifenden Möglichkeiten. Gott sei Dank werden in Deutschland die Marktpreise nicht durch die Politik gemacht. Im Bundestag haben derzeit wir ein Gesetz liegen mit einem Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis, um zu vermeiden, dass große Konzerne kleine Betriebe durch Dumpingpreise in die Knie zwingen. Das war eine Konsequenz aus dem Gammelfleischskandal.
Die Märkte für landwirtschaftliche Produkte sind global geworden. Welche Probleme tauchen dabei auf?
Da tobt eine sehr interessante Diskussion in Fachkreisen. Ich erlebe Veranstaltungen, da heißt es, man sollte den ärmsten Ländern auf der Welt einen leichteren Zugang zu den deutschen und europäischen Märkten eröffnen. Am gleichen Tag können Sie eine andere Diskussion erleben, oft mit den gleichen Verbänden, es sei unter Umweltgesichtspunkten nicht verantwortlich, dass wir Lebensmittel tausende Kilometer auf dieser Welt transportieren. Bei solchen Diskussionen stelle ich deshalb gern die Frage: Wie hätten Sie's denn gerne?
Einer der Schwerpunkte Ihrer Verbraucherpolitik ist ein Aktionsplan gegen Übergewicht. Wann werden die Pläne konkret?
Im Herbst. Es geht da um den vernünftigen Gebrauch unserer hochwertigen Nahrungsmittel, nicht um Hungern, und zweitens um ausreichende Bewegung. Wir arbeiten nicht mit Verboten, auch nicht mit dem ständig erhobenen Zeigefinger, sondern mit Aufklärung und Information.
Sie planen auch eine bessere Kennzeichnung der Lebensmittel. Was ist dabei genau vorgesehen?
Wir wollen mit möglichst allen Wirtschaftsbranchen eine einheitliche Kennzeichnung der Lebensmittel mit den wichtigsten Nährstoffwerten erreichen, damit die Leute eine seriöse, einfache Information darüber bekommen, wie viel Zucker, wie viele Fettsäuren und ähnliches in einem Lebensmittel enthalten sind. Das erscheint mir besser als eine komplizierte Lebensmittelkennzeichnung, die einem Medikamentenbeipackzettel gleicht, aber auch besser als eine zu einfache Ampel-Kennzeichnung mit einem roten, gelben und grünen Punkt.
Die Ampel-Kennzeichnung wird unter anderem in Großbritannien getestet. Dabei bekommen Lebensmittel mit hohen Zucker- oder Fettwerten zum Beispiel einen roten Punkt, solche mit niedrigen Werten einen grünen. Wieso lehnen Sie dies ab?
Es gibt Lebensmittel, die einen roten Punkt haben, aber für die abwechslungsreiche Ernährung im richtigen Maße notwendig sind wie zum Beispiel Zucker.
Ihre Vorgängerin Renate Künast hatte bereits den Kampf gegen Übergewicht vor allem bei Kindern aufgenommen. Was ist das Neue an Ihrem Aktionsplan?
Es geht nicht nur immer darum, etwas Neues zu erfinden. Wenn es um Verhaltensweisen der Menschen geht, werden wir nie an einem Punkt ankommen, wo wir sagen können, jetzt haben wir alles geschafft, sondern da müssen wir immer wieder gerade bei Kindern und Jugendlichen ansetzen. Dort wird vieles für das weitere Leben geprägt. Aber auch in der Ernährungswissenschaft gibt es immer wieder neue Erkenntnisse, die wir unter die Leute bringen müssen. Deshalb ist es wie so oft im Leben, dass man etwas tun muss, ohne dass man sagen könnte, an der Vergangenheit ist Kritik zu üben. Man muss ständig etwas tun, jede Regierung.
Haben Sie einen eigenen Tipp für gesunde Ernährung?
Alles, was vom Acker kommt, ist gesund, wie Brot und Salat. Wenn man sich abwechslungsreich ernährt, ist auch Fleisch recht nahrhaft und gesund. Wenn man sich drittens noch bewegt, dann hat man eine lange Lebenserwartung. Früher, nach dem Zweiten Weltkrieg, hatten wir zu wenig zu essen und genug Bewegung. Heute haben wir genug zu essen und zu wenig Bewegung. Diesen Konflikt im Alltag zu beachten, fördert das Wohlbefinden und die Lebenserwartung.
Worauf sollten Kinder besonders achten bei der Ernährung?
Auf einen weitgehenden Verzicht auf Fast Food. Sie sollten auf Obst, Brot und gesunde Schulverpflegung achten. Aber es darf zwischendurch auch mal was anderes sein.
Bio-Produkte werden zurzeit immer beliebter. Warum können die Bauern in Deutschland die große Nachfrage nicht stillen?
Im Verbraucher- und Handelsbereich gewinnt Bio zunehmend an Akzeptanz, auf der anderen Seite ist die Umstellung von konventionellem Landbau zum Bio-Landbau nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen. Zu Bio gehört ja mehr als nur das Etikett. Das ist nicht nur eine Denkweise, eine Lebensform, sondern auch eine Wirtschaftsform, die verlangt eine große Umstellung.
Was sind für Sie die Vorteile von Bio-Produkten? Der Öko-Landbau war ja ein Steckenpferd Ihrer Vorgängerin Künast.
Bio-Produkte sind zweifelsohne hochwertig und gesund, aber ich würde deshalb nicht den Gegensatz herstellen, dass konventionelle Produkte für die Bevölkerung nachteilig sind. Bio bedeutet, den ganzen Naturkreislauf von der Erzeugung bis zum Verbraucher möglichst umweltschonend zu gestalten. Selbstverständlich sind aber auch die konventionellen Produkte gesund und hochwertig.
Der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen ist in Deutschland sehr umstritten. Der Deutsche Bauernverband rät Landwirten von Anbau von Genmais ab. Warum können Sie die Bauern mit Ihrem Entwurf für ein neues Gentechnikgesetz nicht überzeugen?
Der Bauernverband behauptet, er könne deshalb nicht zur Gentechnik raten, weil wir das Haftungsrecht nicht erleichtern. Das ist eine vorgeschobene Behauptung. Der Bauernverband sollte so ehrlich sein und sagen, wir empfehlen es nicht, weil die ganz große Mehrheit der Bauern es nicht will. Die indirekte Forderung des Bauernverbands, das Haftungsrecht zu erleichtern, würde ja genau eine nachteilige Wirkung für die Bauern haben, weil dann diejenigen, die mit Gentechnik nichts zu tun haben wollen, in stärkerem Maße auf den Folgen der Auskreuzung (Anm. d. Red.: der Vermischung von konventionellen Pflanzen mit genverändertem Material) sitzen bleiben würden. Darum verstehe ich die Argumentation überhaupt nicht.
Das Bundesamt für Naturschutz hat in einer Studie mögliche Risiken für die Umwelt beschrieben. Teilen Sie die Befürchtung von Umweltverbänden, dass es zu einer schleichenden Verunreinigung von Lebensmitteln kommen kann?
Die Konsequenz des Bundesamts für Naturschutz ist ja unter anderem, dass wir wegen der möglichen Langzeitwirkungen ein Monitoring beim Genmais vorschreiben sollten. Genau das habe ich getan. Denn nur eine regelmäßige Verfolgung der Entwicklung und ein rechtzeitiger Erkenntnisgewinn kann die Frage beantworten, was es für langfristige Folgen gibt.
Das Interview führte Marc-Oliver von Riegen.
„Eine gehörige Skepsis“
Renate Künast: Die Grünen-Fraktionschef hält den Aktionsplan Ernährung ihres Nachfolgers als Verbraucherschutzminister für falsch
Seit der Veröffentlichung Ihres Buches „Die Dickmacher“ sind drei Jahre vergangen. 2006 wuchs der Bio-Markt nach Angaben des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft um 18 Prozent. Haben die Deutschen umgedacht?
Insgesamt kann man schon von einem Ökoboom sprechen. Der existiert sicher auch deshalb, weil wir den Anstoß und das Geld für etwas gegeben haben, das richtig ist. Und es ist erst der Anfang zur Ökologisierung der Lebensmittelproduktion.
Was verstehen Sie darunter?
Zunächst einen höheren Anteil an öko-zertifizierten Lebensmitteln, das Verbot von Pestiziden sowie eine Eingrenzung und keine Subventionierung von konventionellen und klimaschädlichen Anbaumethoden. Ökologisierung bedeutet aber auch etwas für die Verarbeitung. Wir müssen uns fragen, wieso wir Millionen Hektar in Südamerika für Fleisch-Weidehaltung und Sojaanbau abholzen anstatt einen Wald zu schützen, den wir unter C02-Gesichtspunkten dringend brauchen. Auch die Verarbeitung der Lebensmittel hat mit Ökologie zu tun, ebenso wie die so genannten Foodmiles, also die Kilometer, die ein Lebensmittel auf dem Weg zum Verbraucher zurücklegt.
Die Bio-Supermarktkette Basic stoppte kürzlich nach heftigen Protesten von Kunden und Lieferanten den Verkauf weiterer Aktien an den Discounter Lidl. Schaden die Discounter der Ökobewegung?
Bei Discountern und Bio habe ich eine gehörige Skepsis. Natürlich ist es richtig, dass in Supermärkten Bioprodukte vorhanden sind, denn wir wollen ja mit ökologischen Lebensmitteln in die Menge gehen. Meine Sorge ist allerdings, dass durch das Geld der Discounter die Philosophie verändert wird und die Idee hinter der Bio-Bewegung abhanden kommt. Damit meine ich, dass dann auch Ökoprodukte rund um den Globus transportiert werden, „regional“ nicht mehr die erste Wahl ist und die Vielfalt der Sorten verloren geht. Und ich befürchte, dass die Discounter und ihr Geld mit einer großen Marktmacht die Preise drücken, so dass die Produzenten keine fairen Preise mehr für ihre Produkte bekommen.
Sind wir dann nicht auf dem Weg zu einer „Öko-Elite“ vor den Supermarktregalen?
Es ist schon richtig, dass die Anbaufläche vergrößert wird und dass sich möglichst alle Kunden diese Produkte leisten können. Allerdings muss man bei dem Preisvergleich immer bedenken: Aktuell ist Bio teurer, aber mein Ziel ist mittelfristig, dass die Privilegien des konventionellen Anbaus nach und nach abgebaut werden. Das ändert dann auch die Preisdifferenz. Heute kriegt man ja für Raubbau noch Subventionen und Steuergelder hinterher geworfen. Außerdem, zieht man die Belastungen des konventionellen Anbaus für die Artenvielfalt, den Klimawandel und die Belastung der Gewässer in Betracht, dann bezweifle ich sehr, dass Bio teurer ist.
Halten Sie die jüngsten Preiserhöhungen bei Lebensmitteln für gerechtfertigt?
Die wachsende Weltbevölkerung und die Rohstoffknappheit bedingen eine stärkere Nachfrage nach Lebensmitteln. Abgesehen davon gibt es im Lebensmittelbereich immer Leute, die sich mit Knappheiten noch eine goldene Nase verdienen wollen. Vielleicht muss man die Frage nach den Preisen auch umkehren, eventuell sind die Lebensmittel beispielsweise in Frankreich nicht teurer, sondern die Menschen geben einfach mehr dafür aus. In Deutschland frage ich mich manchmal, welchen Wert eigentlich Genuss oder Geschmack noch haben.
Das von Ihnen eingeführte deutsche Biosiegel genießt laut jüngsten Umfragen die höchste Glaubwürdigkeit bei den Verbrauchern. Macht das geplante neue europäische Siegel trotzdem Sinn?
Ich habe die Entscheidung für den Zwang eines einheitlichen europäischen Siegels nicht verstanden, weil es sowieso kein Mensch kennt. Warum verdrängt man etwas, das sich sehr gut etabliert hat? Man muss nun abwarten, wie sich das entwickelt, denn zahlreiche Nachbarländer haben ebenfalls eigene Siegel, die ja weiterhin auch zusätzlich auf die Lebensmittel gedruckt werden können.
Stichwort Kennzeichnung von Gammelfleisch. Behindert die EU-Politik die nationale Lebensmittelsicherheit?
Das farbliche Markieren von Ekelfleisch macht nur europaweit Sinn. Das wäre eine Aufgabe der deutschen EU-Präsidentschaft gewesen. Grundsätzlich aber bietet der europäische Binnenmarkt nur Vorteile.
Wird die geplante Gentechnikgesetzesnovelle verhindern, dass gentechnisch veränderte Nahrung in den Handel kommt?
Mit nationalen Gesetzen können die Länder selbst wichtige Schutzregeln im Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen erlassen. So wurden in meiner Amtszeit zum Beispiel die wichtigen Vorschriften zur Haftung, zum transparenten Standortregister oder zum Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft in das Gesetz reingeschrieben. Diese Regelungen will die Bundesregierung mit der geplanten Novelle nun drastisch verschlechtern. So sollen Schutzziele wieder aus dem Gesetz gestrichen werden, wie etwa, dass der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen grundsätzlich nicht die gentechnikfreie Landwirtschaft gefährden darf. Darum protestieren zu Recht zahlreiche Umwelt- und Verbraucherverbände, die Biobauern und natürlich auch wir gegen diese Verschlechterungen.
Wie beurteilen Sie den Aktionsplan Ernährung von Verbraucherschutzminister Horst Seehofer (CSU) gegen das Übergewicht der Deutschen?
Seehofers Pläne helfen der Wirtschaft, aber nicht den Verbrauchern. Freiwillige Maßnahmen sind zum Scheitern verurteilt. Was wir brauchen, ist eine verbindliche und klare Ampelkennzeichnung. Ich habe in Brüssel erkämpft, dass eine solche Kennzeichnung auf Lebensmittel erlaubt ist. Jeder muss auf den ersten Blick sehen und verstehen können, was ist Grundnahrung, was ist Süßigkeit. Seehofer nutzt diese Möglichkeiten nicht, mit dem Hinweis, die Wirtschaft werde dies schon alleine machen. Das halte ich für krass falsch, denn gerade diese Freiwilligkeit hat bislang zu gar nichts geführt. Es gibt zwar einzelne Kennzeichnungen, allerdings mit verwirrenden Angaben, die keiner versteht.
Was ist mit einem kostenlosen Mittagessen an Schulen?
Ich hoffe, dass sich in dieser Frage etwas tut. Wie wollen wir denn die Vielzahl der kleinen Ingenieure ausbilden, wenn die Kinder mit knurrendem Magen dasitzen?
Wie kann man Kinder an gesundes Essen heranführen?
Ich fordere nach wie vor ein Werbeverbot für Süßigkeiten in dem Zeitraum, in dem Kinder fernsehen. Wie können wir angesichts steigender Diabeteszahlen bei 13-jährigen zulassen, dass etwas beworben wird, von dem erwiesen ist, mehr als ein Stück am Tag ist schlecht. In der Werbung werden haarsträubende Geschichten erzählt. Es wird ja auch nicht das gute alte Butterbrot beworben, sondern jedes Piratenspiel wird mit hochgezuckertem Joghurt oder mit Süßigkeiten belohnt. Die Plastikfiguren in den Schokoladen werden speziell von Psychologen für ein bestimmtes Alter entwickelt. Zusammen mit den Internetangeboten der Firmen für diese Produkte kann man schon von „Kinderfängern“ sprechen. Die Fettleibigkeit ist auf dem besten Weg, Rauchen bei den Todesursachen zu überholen und aus dicken Jugendliche werden dicke Erwachsene. Adipositas wirkt weltweit wie eine Seuche. Schon im Kindergarten sollten Kinder lernen, was Genuss und Geschmack sind.
Was ist für Sie persönlich ein „richtig gutes Essen“?
Ich möchte immer die Region schmecken, in der ich esse, zum Beispiel brauche ich an der Ostsee zum Genießen nicht mehr als einen eingelegten Hering mit Bratkartoffeln. Ein richtig gutes Essen muss auch richtig gut hergestellt sein. Und: Eine alte Apfelsorte oder eine reife, in Deutschland geerntete Erdbeere mit einem Tropfen altem Balsamico-Essig – das ist ein Gedicht.
Das Interview führte Kerstin Münstermann, ddp-Korrespondentin in Berlin.
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