Herr Thierse, können demokratische
Entscheidungsprozesse im Bundestag überhaupt noch vermittelt
werden?
Aber natürlich! Die strengen Regeln, nach
denen der Bundestag Entscheidungen trifft, dienen dem Ziel, dass
diese Entscheidungen nachvollziehbar sind und die
Öffentlichkeit daran teilhaben kann. Wir geben uns selbst
einige Mühe, Journalisten und Bürgern über das
Internet, eine Wochenzeitung, Pressemitteilungen und
Bundestagsnachrichten über alle Stadien der Gesetzgebung und
Beschlussfassung zu informieren.
Was müsste sich Ihrer Meinung nach
in der politischen Berichterstattung ändern?
Man darf nicht alle Medien und alle
Journalisten über einen Kamm scheren. Davon abgesehen
wünsche ich mir viel mehr Berichterstattung, mehr Trennung von
Bericht und Meinung und viel weniger Häme, Empörung und
Skandalisierung von Nachrichten über Parlament und
Regierung.
Inwieweit beeinflussen die Medien
politische Entscheidungen und ihre Vermittlung?
Das ist sicher in jedem Fall unterschiedlich.
Die Mehrzahl der Entscheidungen dürfte fast ohne Kenntnisnahme
und entsprechend ohne Einfluss durch die Berichterstattung der
Medien erfolgen. Das ist übrigens auch nicht in Ordnung! Bei
anderen greift die mediale Empörung schon Platz beim ersten
Referentenentwurf und lässt so keine gelassene
Entscheidungsvorbereitung mehr zu. Grundsätzlich gilt:
Demokratische, parlamentarische Entscheidungen sollen im Dialog mit
der Öffentlichkeit – also auch unter deren Einfluss
– entstehen.
Müssen nicht auch Politiker ihre
Anliegen mediengerecht vermarkten, um wahrgenommen zu
werden?
Ja. Dabei sollte man aber darauf achten, dass
das öffentliche Amt, das man inne hat, nicht beschädigt
wird.
Sollte Politik nicht auch unterhaltend
sein?
Manchmal ist sie das, wenn gute Reden gehalten
werden oder eine Entscheidung spannend ist. Aber in der Regel sind
wir nicht dazu da, das verständliche
Unterhaltungsbedürfnis zu befriedigen, sondern im Ausgleich
von Interessen und mit gehörigem Abstand von Lobby- und
Medienkampagnen über die öffentlichen Angelegenheiten zu
entscheiden.
Foto: Deutscher Bundestag.