Wie kommen junge Menschen mit Politikerinnen und Politikern ins Gespräch? Am besten auf dem kürzesten Weg: im Internet.
Die Frage lässt man besser erst einmal so stehen. Beim Googlen findet die Suchmaschine 58.000 Einträge zu dem Begriff „mitmischen“. Die Kombination „mitmischen + Politik“ ergibt 15.800 Angebote und bei „mitmischen + Politik + Jugend“ sind es noch 3.280.
Alle drei Suchaufträge stellen ein Internetangebot des Deutschen Bundestages an die Spitze: www.mitmischen.de. Das klingt erst einmal wie ein Versprechen. Lust auf Auseinandersetzung und direkten Kontakt mit Abgeordneten? Dann nichts wie rein ins Netz. Loggt man sich in das Jugendforum des Bundestages ein, ist man schnell Teil einer Community, die großen Spaß daran zu haben scheint, sich die Meinung zu sagen, und wahrscheinlich ein weitaus niedrigeres Durchschnittsalter aufweist als der über fünfzigjährige Bundestag. Logisch, und an sich noch kein Qualitätsmerkmal. Aber auch interessant.
Die Frage ist nicht schlechter als die mit dem Haushalt und Teil einer Werbekampagne, mit der das Jugendforum bekannt gemacht werden soll bei denen, auf deren Einmischung man hofft. Diätenfrage in weißer Schrift auf pinkfarbenem Untergrund, kombiniert mit Streublümchen. Irgendwie schräg das Ganze. Ganz schön mutig vom Bundestag, solche Postkarten und Plakate. Und das alles, weil man sich von Jugendlichen die Meinung sagen lassen will.
Tun sie das auch? Nicht wenige, und zaghaft auch nicht. Und wer sagt den Jugendlichen dann die Meinung? Es gibt auf der Website eine „Fraktion Mitmischen“, das sind Abgeordnete, die das Gespräch suchen. So steht es da geschrieben, und so ist es auch gemeint.
Gegenwärtig gehören achtzehn Parlamentarier dazu, aber die „Fraktion Mitmischen“ wird immer größer. Über jede und jeden aus der „Fraktion Mitmischen“ kann man sich ausführlich informieren. Alle haben einen Fragebogen ausgefüllt. Wenn man den gelesen hat, weiß man mehr über die Absichten, Hoffnungen und Vorhaben der Parlamentarier. Man weiß auch, was sie gern in ihrer Freizeit machen und worüber sie sich bei ihrer Arbeit ärgern. Das ist weitaus mehr als im Handbuch für Abgeordnete steht.
Mitglieder des Bundestages sind nicht weniger neugierig als Jugendliche. Sie wüssten gern, was 18- oder 25-Jährige so denken. Können sie ja jetzt auch. Sie müssen nur ins Internet gehen und zum Beispiel an einem Chat des Jugendforums „Mitmischen“ teilnehmen.
Im September ging es bei einem solchen Chat zum Thema „Biometrie“ ziemlich hoch her. Anwesend im Internetcafé des Bundestages: Gisela Piltz von der FDP-Fraktion, Clemens Binninger von der CDU/CSU-Fraktion und Michael Hartmann von der SPD. 42 Leute im virtuellen Chatroom, die Jugend mit fantasievollen Namen, wie curly, farblos, spargel, wolf18, muenchen01 oder nacktnasenwombat.
Die drei Abgeordneten hauen in die Tasten – mit drei oder vier Fingern nur, aber das ziemlich schnell. Gisela Piltz spricht beim Schreiben, Clemens Binninger lockert die Krawatte ein wenig, Michael Hartmann ruft in den Raum, das sei eine Frage nach seinem Geschmack. Dialog auf verschiedenen Ebenen also.
Digitaler Fingerabdruck, Gesichtserkennung, Iris-Scan – was bringt die Zukunft und wird es was Gutes sein? Die Meinungen gehen weit auseinander, von „Will ich alles überhaupt nicht!“ bis „Das garantiert vielleicht wirklich mehr Sicherheit!“. Alles keine einfachen Fragen und Aussagen: „Warum wollt ihr dafür Kohle ausgeben? Wird George Orwell jetzt doch Realität? Ist das überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar? Ich will kein gläserner Mensch sein. Ich will mich sicherer fühlen. Ich habe keine Angst. Mir macht das Angst.“
Eine Stunde Gespräch zwischen 42 Menschen, davon drei Abgeordnete des Bundestages. Ergebnisoffen, das Gespräch ist wichtig, nicht das Statement. Der Teilnehmer „hotzenplotz“ philosophiert, „isi“ will es genau wissen, „fodleg“ provoziert. Möglicherweise sind hinterher alle klüger oder neugieriger.
Chats finden rund acht Mal im Jahr statt. Man kann sie alle auf der Website nachlesen. Zum Beispiel den über die Ausbildungsplatzabgabe. Eine sehr lebhafte Stunde war das. Der nächste Chat vielleicht zum Thema „AIDS“, daran wird noch gearbeitet.
Eine Werbekampagne mit Humor. Der Ältestenrat wird stolz sein. Der Chat ist natürlich nicht die einzige Möglichkeit mitzumischen. Es gibt die Rubrik „Wünsch dir was“, wo spezielle Themen vorgeschlagen werden. Per Mausklick kann man entscheiden, welches Thema das Rennen macht. Es gibt Diskussionsforen, News, Hintergrundberichte und es gibt Punkte. Wer Teil der Community wird, bekommt schon einmal hundert Punkte, und wer viel mitmischt, sammelt noch mehr. Am Ende kann man zum Beispiel eine dreitägige Reise nach Berlin gewinnen. Dann lernt man Abgeordnete der „Fraktion Mitmischen“ kennen. Die wüssten vielleicht auch gern, wer hinter „isi“ und „hotzenplotz“ steckt. Vieles ist möglich.
Weiße Schrift auf grünem Grund mit gestrichelten Streublümchen. Tapeten mit solchem Muster sind wieder richtig teuer geworden. Die Kampagne könnte ein Knaller werden.
Das Portal selbst – anderes Medium als Plakat und Postkarte – bedient sich einer anderen Sprache, sowohl gestalterisch als auch inhaltlich: gute Bilder, logischer Aufbau, prägnante Texte, nachvollziehbare Navigation: „Wir entscheiden, wann wir aufstehen, was wir anziehen und wie laut die Musik ist. Aber wer entscheidet den Rest? Wer gibt vor, dass Alcopops teurer werden und der Ausbildungspakt kommt? Du nicht? Halt, stopp! Mitmischen bietet dir die Chance zu sagen, was du wirklich denkst. Und die Politiker hören dir zu.“ So fängt das Ganze an, wenn man auf die Website geht. Mit einer Aufforderung, die darauf baut, dass wer mitmischen will, sich einmischen muss.
Man möchte möglichst viele junge Menschen erreichen, deshalb geht man mit dem Jugendforum des Bundestages auf die Websites bekannter Jugendmagazine, nutzt Verbreitungswege abseits der üblichen politischen Kommunikation. Die Abgeordneten der „Fraktion Mitmischen“ wissen das zu schätzen. Für sie ist es ein Gespräch der besonderen Art. Übrigens denkt falsch, wer glaubt, dass es sich hier nur um ganz junge Abgeordnete handelt. Hier findet man den Jahrgang 74 genauso, wie den Jahrgang 47. Es geht um das Gespräch, nicht um Nischen. Am Dialog sind viele interessiert.
Hat eine Seite wie mitmischen.de Folgen? Es kann beispielsweise so gehen: Ein Thema wird von den Jugendlichen für wichtig erachtet und durch Abstimmung auf die Agenda diskutierenswerter Fragen gehoben. Dann gibt es dazu eine Umfrage oder ein Votum. Für oder gegen das Erheben biometrischer Daten, für oder gegen höhere Besteuerung von Alcopops. Die Abstimmungsergebnisse werden den Abgeordneten präsentiert. Dann sind sie am Zug. Und wer sich dafür interessiert, ob sie einen Zug machen, und wie der aussieht, kann nachfragen oder sich auf der Website mitmischen.de informieren.
Falsche Hoffnungen werden nicht geweckt – eine Abstimmung auf der Seite mitmischen.de wird kein Gesetz kippen. Aber da steht das Versprechen, dass die Abgeordneten immer mindestens zwei offene Ohren für die Ideen und Anregungen der Jugendlichen haben werden. Gut so. Dann sollte man sie auch beim Wort nehmen. Vor allem aber den Mund aufmachen. Sonst nützen offene Ohren gar nichts.
Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier, Deutscher Bundestag
Erschienen am 18. Oktober 2004
Weitere Informationen unter www.mitmischen.de und dem Jugendmagazin Glasklar. Fragen und Anregungen an erwin.ludwig@bundestag.de