Der SPD-Abgeordneten Bettina Hagedorn ist größtmögliche Transparenz wichtig. Dafür investiert sie viel Zeit und Arbeit.
Wenn ich aus einem Stück Gold eine wunderschöne Brosche mache, dann weiß jeder, dass dies eine kreative Leistung ist“, sagt die Goldschmiedin Bettina Hagedorn, und vier Polizisten aus Schleswig-Holstein nicken. „Wenn ich in schwierigster Haushaltssituation neue politische Schwerpunkte in meinem Bereich Familie und Jugend setzen will, ohne nachfolgende Generationen noch stärker zu belasten, dann muss ich durch Einsparvorschläge erst Freiräume schaffen, um das Geld dann an anderer Stelle wieder ausgeben zu können. Das ist oft unpopulär, aber auch eine kreative Leistung“, sagt die Politikerin Bettina Hagedorn. Zwei Polizisten aus Schleswig-Holstein nicken.
Es ist nicht einfach. Auch nicht für eine Vollblutpolitikerin wie Bettina Hagedorn. Politik kann zäh sein und sie kann schwer nachvollziehbar sein. Sie kann wütend machen oder resigniert. Sie kann unverständlich daherkommen und den Eindruck vermitteln, dass alles viel zu langsam geht. Sie kann das Gefühl geben, nur wenig mit einem selbst zu tun zu haben oder viel zu viel, aber nicht ausreichend Gutes.
Das alles kann passieren, wenn man sich nicht immer wieder und so kreativ wie möglich die Mühe macht, zu erklären, zu vermitteln, Entscheidungen zu begründen und Motivationen zu beschreiben. Bettina Hagedorn ist eine, die das weiß. Und deshalb rollt sie den Stein immer wieder nach oben und vergisst nie, dass die Mühen der Ebene oft der Schlüssel zum Erfolg sind. Auf zwei unschätzbare Vorteile kann die 49-Jährige dabei bauen: Sie hat Temperament und sie verfügt über viel Erfahrung.
Beides präsentiert sie den rund zwanzig Besucherinnen und Besuchern aus ihrem Wahlkreis, die bei der Landespolizei arbeiten, an diesem Mittwochmittag in einem schwer unterkühlten Raum im Reichstagsgebäude. Für die Kälte sind die Eisheiligen verantwortlich und ein Fenster, das sich nicht schließen lässt. Das Klima allerdings ist gut. Keine Frage wird von der Abgeordneten abgewiegelt. Nicht die nach der Kapitalismusdebatte und nicht die nach den Ängsten, die Politiker doch angesichts der großen Probleme haben müssten – „Versagensängste“ nennt einer das. „Haushälterin in einer Fraktion und in Regierungsverantwortung zu sein, ist keine vergnügungssteuerpflichtige Aufgabe“, sagt Bettina Hagedorn. Sie breitet die Arme aus, schüttelt den Kopf, so dass die dunkelroten Haare ein wenig durcheinander geraten, und erntet ein Lächeln von vielen. Na, das glaubt man gern. „Aber ich mache seit zwanzig Jahren Finanz- und Haushaltspolitik, und wissen Sie was? Es macht mir Spaß.“
Dieser Tag hat für die Frau aus Schleswig-Holstein, die ehemalige Bürgermeisterin von Kasseedorf, die einstige Amtsvorsteherin Schönwaldes, die Goldschmiedin und Mutter von drei inzwischen erwachsenen Söhnen, die Haushälterin aus der SPD-Fraktion und Berichterstatterin für das Innenministerium im Rechnungsprüfungsausschuss um kurz nach sechs Uhr begonnen. Da ist sie aufgestanden. Ziemlich früh. „Aber wissen Sie was“, sagt sie, „ich stehe seit 25 Jahren so früh auf.“
Kurz vor halb neun beginnt ihre Arbeit im Bundestagsbüro. Wie fast immer trägt Bettina Hagedorn ihr Gesellenstück, eine Kette aus Perlen und Gold, die vielleicht Glück bringt. Man kann es fast glauben, denn auf allen Fotos, die im Büro der Abgeordneten und als Erinnerung an so viele gute Gelegenheiten hängen, trägt sie die Kette. Unterbrochen wird die Fotowand nur durch eine Tafel, auf der kunstvolle Knoten angebracht sind, die Namen wie „Affenfaust“ tragen und von denen die Abgeordnete nicht wenige selbst beherrscht. Schließlich kommt sie von der Küste. Seemannsgarn spinnt sie nicht, aber Seemannsknoten kann sie knüpfen.
Um halb zehn muss die Abgeordnete zur Vertretung einer Kollegin für eine halbe Stunde in den Familienausschuss. Bleibt also eine knappe Stunde im Büro, und die wird für eine ganz große Leidenschaft genutzt: den „Bericht aus Berlin“. Zum 17. Mal schickt die Abgeordnete an diesem Tag einen umfang- und abwechslungsreichen Rechenschaftsbericht von ihrer Arbeit in den letzten Wochen in ihren Wahlkreis. Per E-Mail und per Post bekommen all die, die es wollen, Nachrichten aus Berlin und von ihrer Volksvertreterin im Bundestag. Bis spät in die Nacht hat Bettina Hagedorn an den Texten gesessen.
Jetzt müssen noch ein paar Bilder ausgesucht und ein paar Korrekturen gemacht werden. „Ich habe einen Flächenwahlkreis, 55 SPD-Ortsvereine, da ist es nicht einfach, Kontakt zu halten. Mir ist dieser Bericht sehr wichtig. So wie es mir wichtig ist, über alles, was ich hier tue, was meine Fraktion tut, Rechenschaft abzulegen. Politisches Interesse kommt nicht von ungefähr und braucht Transparenz.“ Nach einer halben Stunde sind alle Beteiligten zufrieden mit dem Ergebnis. Die Mitarbeiterin Gesine Wenzel wird alles fertig machen und rausschicken.
Nach der Vertretung im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist Bettina Hagedorn mit vier Betriebsräten aus ihrem Wahlkreis zum Frühstück verabredet. Darauf freut sie sich, denn die vier – drei Männer und eine Frau – sind auf ihre Einladung hier in Berlin. Die SPD-Fraktion veranstaltet an diesem Tag eine Betriebs- und Personalrätekonferenz. Die beginnt um elf, es bleibt also eine Stunde für das Frühstück zu fünft im Restaurant im Reichstagsgebäude. Danach noch eine schnelle, aber wirklich schnelle Führung durchs Hohe Haus. Bettina Hagedorn bringt „ihre“ Betriebsräte in den SPD-Fraktionssaal, wo die Konferenz stattfindet, und verabschiedet sich. Sie wird später noch mal vorbeischauen, aber erst einmal kommt die Besuchergruppe von der Landespolizei Schleswig-Holstein und hat Anrecht auf eine Stunde Diskussion.
Um 12.15 Uhr kann die Abgeordnete, wie versprochen, bei der Betriebsrätekonferenz vorbeischauen. Hier geht es um Themen wie Kapitalismuskritik und die wirtschaftliche Situation des Landes. Es geht um Arbeitsplatzabbau, Betriebsschließungen, Lohnkürzungen, Arbeitszeitverlängerung und Verlagerung von Produktionsstandorten ins Ausland. Die Betriebs- und Personalräte zeigen sich kämpferisch und machen sich gegenseitig Mut.
Bettina Hagedorn muss nach einer knappen Stunde wieder gehen, um eins beginnt der Haushaltsausschuss. Als Tagesordnungspunkt 13 steht ein Bericht der Bundesregierung zu Verkaufsabsichten der Deutschen Bahn AG im Hinblick auf ihre profitablen Anteile an Scandlines zur Diskussion – ein Bericht, den Bettina Hagedorn am 20. April selbst angefordert hatte. Jetzt bemüht sich die ostholsteinische Abgeordnete, in dieser Sache einen Entschließungsantrag auf den Weg zu bringen, denn betroffen sind in ihrem Wahlkreis 620 Arbeitsplätze. Bis 13 Uhr sind letzte Abstimmungen mit dem Berichterstatter der SPD-Fraktion für Verkehr und dem Sekretariat im Haushaltsausschuss erforderlich. Die Zeit ist also knapp.
Zwischen den vielen schwergewichtigen Themen, die auf der Tagesordnung des Haushaltsausschusses stehen, entwickelt Bettina Hagedorn gemeinsam mit anderen eine Initiative, mit der der Haushaltsausschuss die Bundesregierung auffordert, sich bei einem Verkauf der Scandlines-Anteile für den Erhalt der deutschen Standorte und Arbeitsplätze einzusetzen. Dem Antrag der SPD treten Bündnis 90/Die Grünen und auch die CDU/CSU-Fraktion bei. „Das kann man nicht so einfach hinnehmen“, sagt die Abgeordnete spät am Abend dazu. „Ein Verkauf der jährlich über 30 Millionen Euro Gewinn bringenden Anteile ist doch wirtschaftlich nicht nachvollziehbar.“
Im Haushaltsausschuss sitzt Bettina Hagedorn bis abends kurz nach sieben. Die Tagesordnung ist lang und die Themen sind gewichtig: ein Entwurf für die Europäische Verfassung, über den am kommenden Tag im Plenum abgestimmt werden soll, Hartz IV, Pakt für Deutschland, Bericht zur Situation der Rentenkasse, Infrastrukturinvestitionen, Verkehrswege, Ausbau von Schienenmagistralen. Es stehen Anträge über Anträge auf dem Plan, Gesetzentwürfe, Verordnungen, Berichte, Vorlagen. Alles in allem sind das mehr als 30 Themen.
Aber man schafft es und sogar schneller als gedacht. Das eröffnet eine ungeahnte Möglichkeit. In der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft wird Abschied gefeiert. Der CDU-Abgeordnete Dietrich Austermann aus Schleswig-Holstein verlässt den Deutschen Bundestag, um in der Kieler Landesregierung Ministerverantwortung zu übernehmen. 22 Jahre war er Mitglied im Haushaltsausschuss. Bettina Hagedorn kann nun doch noch wenigstens für eine halbe Stunde und mit allen Haushältern dabei sein. In Kauf nehmen muss sie dafür, etwas später als geplant zum letzten Arbeitstermin des Tages zu kommen.
In der Landesvertretung Schleswig-Holstein tagt seit 20 Uhr die Landesgruppe der SPD-Abgeordneten mit Vertreterinnen und Vertretern der Bundesagentur für Arbeit aus Kiel. Zuvor ertönen im Haus der Landesvertretung, das sich Schleswig-Holstein und Niedersachsen teilen, seltene Klänge. Ein Halali kündet zwar nicht vom Ende einer Jagd, aber vom Abschluss einer Veranstaltung der Interessensgemeinschaft Schweinehaltung Nordwestdeutschland. Und zu sehen ist da noch einer, der heute auch seinen Abschied genommen hat: Peter Harry Carstensen, der neue Ministerpräsident Schleswig-Holsteins, verlässt den Deutschen Bundestag und somit Berlin. So kann das Halali also als mehrdeutig gelten.
Bettina Hagedorn kommt um 20.47 Uhr in die Landesvertretung. Da hat die Runde schon eine ganze Reihe Fragen und Probleme zum Thema Hartz IV diskutiert. Es geht um die Organisation der Agenturen für Arbeit, den Sachstand bei der Umsetzung des so genannten Sozialgesetzbuches II, das Programm für Menschen unter 25, die Zukunft der Jugendaufbau- und Berufsförderungswerke, das Lehrstellenproblem bei Hauptschülern. Die SPD-Abgeordnete hat ihre Fragen vorbereitet und mischt sich schnell in die Diskussion ein. Hier wird man noch eine ganze Weile sitzen – die Materie ist kompliziert und es gibt viel zu besprechen und zu klären.
Draußen haben die Eisheiligen noch mal richtig zugelegt. Es weht ein kalter Wind, und es sieht schon wieder nach Regen aus. Besserung ist erst für den kommenden Tag versprochen. Die Abgeordnete Bettina Hagedorn sieht ein ganz klein wenig müde aus. Ob sie heute und gemeinsam mit anderen Kreatives vollbracht hat, wird sich erst später zeigen. Die Dinge brauchen ihre Zeit. Man darf nur nicht zu geduldig werden. Aber die Gefahr besteht bei dieser Frau auch nicht.
Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier
Erschienen am 17. August 2005