Ich lese gerade „Kollaps – Warum Gesellschaften überleben oder untergehen“ von Jared Diamond.
Jared Diamond: Kollaps – Warum Gesellschaften überleben oder untergehen; S. Fischer, München, 2005, 800 Seiten.
Inmitten von Blumen und Obstbäumen sitze ich im Garten meiner französischen Schwiegereltern in der Nähe der Atlantikküste. Wo könnte man besser von der Berliner Hektik Abstand gewinnen, in Ruhe lesen und nachdenken?
Wie alle Ökonomen bin ich fasziniert vom Auf und Ab des Wohlstands verschiedener Gesellschaften und seinen Ursachen, wie sie Adam Smith in „The Wealth of Nations“ (Arbeitsteilung und Handel) oder Mancur Olson in „The Rise and Decline of Nations“ (die Rolle von Interessengruppen) thematisieren. Jared Diamonds „Kollaps – Warum Gesellschaften überleben oder untergehen“ liefert den ökologischen Teil der Erklärung für Aufstieg und Niedergang. Wenn Gesellschaften nicht nachhaltig wirtschaften, sondern ihr Umweltkapital aufzehren, können sie zwar großen Wohlstand erlangen, aber schon kurz nach ihrer Blüte untergehen.
Diamonds Zusammenstellung von ökologisch bedingten gesellschaftlichen Katastrophen von den Maya und den norwegischen Grönlandsiedlern über Ruanda bis Montana (USA) ist beeindruckend: Sie weist in die Zukunft durch die Parallele zwischen den gigantischen Steinstatuen der Osterinsel und den Wolkenkratzern unseres Global Village. Angesichts der Übervölkerung und Ausbeutung natürlicher Ressourcen führen die Häuptlinge der Insel einen Wettstreit mit immer höheren Steinstatuen. Dann kommt es zu kriegerischen Auseinandersetzungen, bis die Steinstatuen zerstört am Boden liegen. Der Gesellschaft gelingt es nicht, gemeinsame Antworten auf die drohende Umweltkatastrophe zu finden. Übrig bleibt über Jahrhunderte eine verarmte Rumpfbevölkerung, die nicht mehr weiß, wie man Steinstatuen aufstellt.
Erst denke ich, Diamond übertreibt mit seinem Vergleich. Doch im Hintergrund dröhnen laut die Bagger, die – direkt hinter dem Garten meiner Schwiegereltern – eine große Schneise für eine neue Autobahn durch die idyllische Landschaft schlagen ...
Foto: Deutscher Bundestag
Erschienen am 25. September 2006
Gerhard Schick, Jahrgang 1972, ist seit 2005 Bundestagsabgeordneter und Mitglied der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Er ist ordentliches Mitglied im Finanzausschuss und im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung.