Sylvia Bohn arbeitet im Bereich „Bilder und Fotografien“ des Parlamentsarchivs. Sie ist eine Schatzsucherin und bringt Ordnung in die Angelegenheiten.
Sylvia Bohn hat den richtigen Blick. Sie weiß, was ein gutes Foto ist und welches Motiv historische Bedeutung hat. Oder einfach nur eine dokumentarische, die der Vollständigkeit in der Geschichtsschreibung dient. Sie sieht einem Foto an, welchen chemischen Prozessen es ausgesetzt war und ob Gefahr im Verzug ist. Dann wird das Foto außerhalb einer chronologischen Reihenfolge von ihr gescannt, mit Schlagworten versehen, archiviert und somit der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht. Sylvia Bohn ist eine Bilderretterin. Könnte man sagen.
Sie füllt eine riesige Datenbank mit Bildern. Seit der 15. Wahlperiode wird im Deutschen Bundestag, bis auf wenige Ausnahmen, digital fotografiert. 14 Wahlperioden lang ist dies mit analogen Kameras gemacht worden. Papierabzüge, Negative und Dias füllten das Archiv, schwarz-weiß und farbig. Es gibt einen Raum im Marie-Elisabeth- Lüders-Haus, gleich gegenüber von Sylvia Bohns Büro, in dem stehen riesige Rotomaten. Das sind große Archivschränke, in denen eine Art Paternoster verborgen ist, durch den sich die Hängeregister der mit Fotos gefüllten Mappen bewegen lassen.
Tausende und abertausende Momentaufnahmen, über 100.000, sagt Sylvia Bohn, sind es bestimmt. Und sie alle sollen nach und nach digitalisiert, verschlagwortet und bearbeitet werden, wenn nötig. So können irgendwann sämtliche Originale als digitale Bilder zur Verfügung gestellt werden. Das ist für Medien wichtig, für Wissenschaftler, für Buchverlage, für die Webseiten und das Intranet des Bundestages oder anderer Institutionen, für die nationale und internationale Öffentlichkeitsarbeit des Bundestages. Wer etwas sucht und braucht, kann im Internet nachschauen. Ein unschätzbarer Service ist das. Für viele.
Mit Hut und Trenchcoat
Man kann auch anrufen, wenn man etwas braucht, und landet dann oft bei Sylvia Bohn, deren Arbeit nicht nur im Retten und Archivieren von Bildern besteht, sondern die auch Anfragen beantwortet und Bitten erfüllt. Eine Zeitung benötigt zum Beispiel ein Foto aus dem Jahr 1989 von einer bestimmten Plenardebatte. Ein Abgeordneter will für mandatsbezogene Zwecke Bilder für seine Homepage haben, die Deutsche Parlamentarische Gesellschaft sucht für eine Publikation historische Fotos, eine ehemalige Parlamentarierin schreibt ein Buch und sucht dafür Bilder.
Mit der digitalen Bilddatenbank geht das alles natürlich viel schneller und besser als in früheren Zeiten. Sie ist modern, zeitgemäß und unglaublich praktisch. Und trotzdem ...
Wenn man mit der 29-jährigen ausgebildeten Werbefotografin Sylvia Bohn in das Nahmagazin geht, bekommt man einen Eindruck davon, wie sehr sie die hier verborgenen und noch auf althergebrachte Weise archivierten Schätze liebt, die auf Fotopapier gebannten Momente, die Möglichkeiten, die sich eröffnen. „Schauen Sie sich das an“, sagt die junge Frau mit einem Leuchten in den Augen, „diese Fotos von einer Parlamentarierreise nach New York in den 50er- Jahren. Sieht das nicht toll aus?“ Und dann sieht man fünf Abgeordnete, die der Betrachterin den Rücken zeigen und auf die Skyline von NY schauen. Die Männer tragen Hüte und die Frauen Trenchcoats, und das Bild sieht aus wie ein Foto von Arno Fischer, dem berühmten Dokumentarfotografen aus dem Berlin der Nachkriegszeit. „Und hier“, sagt Sylvia Bohn und greift nach einer anderen Mappe. „Willy Brandt, der historische Kniefall. Oder hier, Marie Elisabeth Lüders, nach der dieser Bundestagsbau benannt ist.“
Ja, das sind wahre Schätze. Umso besser, wenn sie nie verloren gehen. Wenn sich eine wie Sylvia Bohn um sie kümmert. Eine, die Fotos liebt und richtig vom Fach ist. Die sich, so sieht es aus, ganz zielgerichtet dahin bewegt hat, wo sie heute ist. Obwohl, Sylvia Bohn war auch eine Flaneurin und ist das vielleicht bis heute geblieben. Sie hat sich ausprobiert und ist immer neugierig gewesen auf das, was kommen und wie es werden wird.
Sie ist groß geworden in einer kleinen Stadt am Niederrhein. Und als sie fertig war mit der Schule, ist sie in die, wie sie augenzwinkernd sagt, große Stadt Duisburg geflüchtet. Dort hat sie angefangen zu studieren. Sozialwissenschaften erst einmal, denn die Zeit, in der sie unbedingt Grundschullehrerin werden wollte, war schon lange vorbei. Ihren Lebensunterhalt hat Sylvia Bohn damals bei der Deutschen Post verdient, in einem Briefzentrum, wo sie unter anderem Verkehrsmengen- Ermittlungen gemacht hat.
Dieses Leben war kein schlechtes. Es gab eine kleine Wohnung, die Spät-, Früh- und Nachtschichten bei der Post, das Studium und bald das erste kleine und eigene Auto, einen VW-Polo. Praktisch, aber nicht sonderlich schön. Erst ein paar Jahre später wird das erste Traumauto gefahren – ein VW-Käfer, Jahrgang 1967, safrangelb und mit selbst bezogenen Autositzen. Dunkelbrauner Feinkord. Das muss großartig ausgesehen haben.
1997 hat Sylvia Bohn mit dem Studium der Sozialwissenschaften aufgehört und ist nach Berlin gegangen. Auch das war ein Traum, den es zu erfüllen galt. Eine kleine Auszeit in der großen Stadt. Altbauwohnung in Neukölln, Ofenheizung und Zeit zum Nachdenken darüber, was man künftig tun will. Fotografieren lernen zum Beispiel. In Düsseldorf.
Ausbildungsplatz und lernt das Fotografieren zuerst von der Pike auf. Im zweiten Teil der Ausbildung dann kommt sie zu einem bekannten Werbefotografen, für den sie vor allem Objektfotografie macht. Sie begeistert sich für Architekturfotografie, findet ihre eigene Art, Perspektiven festzuhalten, ihren eigenen Blick auf die Dinge eben. Der ihr bis heute wichtig ist. Wenn die Zeit es erlaubt, fotografiert Sylvia Bohn. Weil es Spaß macht und damit die Neugier auf die Welt nicht verloren geht.
2001 ist sie mit der Ausbildung zur Werbefotografin fertig und geht zurück nach Berlin. Sie arbeitet bei Meldepress, einer Fotoagentur, die viel für den Bundestag produziert. Es war ein Zufall, dass die Agentur, gerade als Sylvia Bohn wieder nach Berlin zurückkehrt, eine Fotoredakteurin suchte. Aber ein guter Zufall, der die junge Frau ihrem künftigen Arbeitsplatz näherbringt. Was sie damals noch nicht wissen konnte. Sie fotografiert also für Meldepress im Bundestag Plenardebatten, Pressekonferenzen und andere Termine.
Andere Wirklichkeiten
Danach folgt noch ein kurzer und schöner Abstecher zu Möbel Höffner Berlin, als Studiofotografin. Sylvia Bohn arbeitet hier in einem neuen und jungen Team, das den Auftrag hat, Fotos für ein Prospekt zu produzieren. Sie ist unter anderem für die Bilder von der Weihnachtsdeko zuständig. Sie nimmt die Dekoration mit nach Hause, in die Wohnung ihrer Schwester, und arrangiert hier jedes Stück so lange, bis es perfekt aussieht. Und perfekte Bilder entstehen. Auch das macht Spaß und ist ein interessanter Ausflug in eine andere Wirklichkeit.
Das war im Jahr 2003. In dieser Zeit bekam Sylvia Bohn die Zusage für eine Projektstelle im Parlamentsarchiv des Bundestages, auf die sie sich beworben hatte. Möbel Höffner war nicht schlecht, aber in einem großen Projekt im Bundestag zu arbeiten, hatte auch seinen Reiz.
Im November 2003 fängt Sylvia Bohn im Parlamentsarchiv an, damals noch ansässig am Schiffbauerdamm. Das Projekt: Aufbau eines digitalen Bilderdiensts und Bildarchivs. Im Dezember 2003 beginnt die Pilotphase, und ein hartes Stück Arbeit nimmt seinen Lauf. Inzwischen ist das Projekt aus den Kinderschuhen heraus, es gibt bereits rund 25.000 digitale Bilder. Solche, die schon digital fotografiert und archiviert wurden, und solche, die zusätzlich noch im Original auf Papier in einem der Rotomaten lagern. Für bestimmte Zwecke wird auch heute noch analog fotografiert.
Sylvia Bohn liebt ihre Arbeit. In ein paar Wochen wird sie trotzdem eine längere Pause machen. Sie erwartet ein Kind. Wenn sie nach der Elternzeit zurückkehrt an ihren Arbeitsplatz, wird der digitale Bildbestand gewachsen sein. Und noch immer werden unzählige Schätze in den Rotomaten lagern, die darauf warten, digitalisiert, archiviert, öffentlich zugänglich gemacht zu werden. Und gerettet. Vor Vergessen und Verfall.
Text: Kathrin GerlofDigitaler Bilderdienst/Bildarchiv
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