Carlo Schmid ist einer der Politiker, die kaum „auf den Begriff zu bringen“ sind. Demokrat, Jurist, Vater des Grundgesetzes, aber auch Publizist, Literat, engagierter Reformpolitiker, Bundesminister, Bundestagsvizepräsident – die Liste ließe sich endlos weiterführen. Doch die Komplexität der Persönlichkeit Carlo Schmids, und damit seine Rolle im demokratischen Nachkriegsdeutschland, wird sich jeder einfachen Charakterisierung entziehen.
Als Sohn eines Deutschen und einer Französin 1896 in Südfrankreich geboren, bleibt Carlo Schmid zunächst auch nach dem Umzug der Familie 1908 nach Stuttgart französischer Staatsbürger. Schmid schließt sich der Wandervogelbewegung an und zieht als deutscher Freiwilliger, „Kriegs-Mutwilliger“, wie es die erfahrenen älteren Soldaten schon damals nannten, in den Ersten Weltkrieg.
Nach dem Krieg studiert er Jura in Tübingen, besucht politische Versammlungen der Linken, denn „links ist die Herzseite der Menschheit“. Von einer Diktatur des Proletariats will er jedoch nichts wissen, weil aus einer Diktatur für Deutschland nichts „Gutes herauskommen“ kann. Nach seinem Studium wird er Dozent für Völkerrecht und Landgerichtsrat in Tübingen, bis die Nationalsozialisten ihn wegen mangelnder „weltanschaulicher und politischer Zuverlässigkeit“ von allen Berufungen und Beförderungen ausschließen – die Konsequenz seiner Kritik an Hitlers Rassenlehre als einer „Philosophie von Viehzüchtern“.
Im Zweiten Weltkrieg wird er Rechtsberater der deutschen Militärverwaltung in Lille und versucht, die Bevölkerung Frankreichs „vor den Grausamkeiten zu bewahren, denen sie durch gewisse Führerbefehle und nationalsozialistische Heißsporne ausgesetzt war“. Mehrmals verletzt er dabei die „nationalsozialistische ‚Legalität’“, wirklich verändern konnte er jedoch nichts.
Nach Kriegsende lehrt Schmid Recht in Tübingen und wird Landesvorsitzender der SPD in Südwürttemberg. Von 1947 bis 1973 gehört er zur Führungsspitze der SPD; zusammen mit Willy Brandt und Herbert Wehner wird er später die „Reform-Troika“ der Partei bilden. Zunächst jedoch spielt er seine wohl wichtigste Rolle im Nachkriegsdeutschland: Als Vorsitzender des Hauptausschusses sowie Mitglied des Organisationsausschusses und des Ausschusses für die Präambel und die Menschenrechte des Parlamentarischen Rates (1948 bis 1949) ist er maßgeblich an der Entstehung des Grundgesetzes beteiligt.
Carlo Schmid ist von 1949 bis 1972 direkt gewähltes Bundestagsmitglied und war von 1949 bis 1966 und von 1969 bis 1972 Vizepräsident. In den 1960ern wird er Bundesminister für Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder, nach seiner Einschätzung „eine Art Außenminister des Innern“. Von 1969 bis zu seinem Tod 1979 ist Schmid, der die Aussöhnung mit Frankreich als entscheidende Voraussetzung für die europäische Integration ansieht, Koordinator der deutsch-französischen Beziehungen.
Der Politiker Schmid bleibt stets aber auch zugleich Intellektueller. Er arbeitet als Professor, ist Publizist und Mitglied der internationalen Schriftstellervereinigung PEN und erhielt 1967 den Goethepreis der Stadt Frankfurt. 1972 kandidiert er nicht mehr für den Bundestag, zieht sich aus der aktiven Politik zurück und arbeitet an seinen „Erinnerungen“, die er im Sinne eines Bildungsromans und nicht als Memoiren verstanden wissen will. Carlo Schmid, oft als politischer Grandseigneur und „Homme de Lettres“ bezeichnet und bewundert, aber gerade deshalb auch immer ein wenig Einzelgänger geblieben, starb am 11. Dezember 1979 in Bonn.
Text: Georgia Rauer
Fotos: studio kohlmeier, picture-alliance
Erschienen am 15. Dezember 2004