In jeder Ausgabe stellen wir jeweils ein Mitglied des Bundestages vor, das in der Geschichte der Bundesrepublik eine bedeutende Rolle gespielt hat. Sein Name wird nicht genannt. Lüften Sie sein Inkognito und gewinnen Sie eine Reise für zwei Personen nach Berlin.
In jeder Ausgabe stellen wir jeweils ein Mitglied des Bundestages vor, das in der Geschichte der Bundesrepublik eine bedeutende Rolle gespielt hat. Sein Name wird nicht genannt. Lüften Sie sein Inkognito und gewinnen Sie eine Reise für zwei Personen nach Berlin.
Seine Sonntagsreden waren gefürchtet. Fast jede sorgte für ärger – ob bei den Gewerkschaften, bei der katholischen Kirche, bei befreundeten Nationen wie Frankreich, österreich oder Luxemburg oder bei der eigenen Partei. Sogar das Bundesverfassungsgericht wurde zur Zielscheibe seiner oft impulsiven Kritik.
Doch heimlich zollten viele dem Mann mit dem heißen Herzen Respekt. Er kannte keine taktischen Finessen, keine falsche Rücksichtnahme, keine Patentrezepte. Er verstand Politik im wahrsten Sinne des Wortes als Ringen um die richtigen Lösungen. Dabei war er durchaus offen für Alternativvorschläge und immer bereit, neue Wege zu gehen. Zudem war er einer der farbigsten Redner und zugleich einer der erfolgreichsten Minister der frühen Jahre.
In Porträts des 1897 in Franken geborenen Liberalen wird fast immer erwähnt, dass er Sohn eines Metzgers und Brauers war. Das klingt nach Fleischermesser, nach Bierkrug, nach derbem Zupacken. Doch hinter dem politischen Streiter, der wie kein anderer Politiker seiner Zeit die Gerichte beschäftigte, verbarg sich ein ganz anderer. So schrieb der Journalist Walter Henkels, wenn „die menschliche Liebenswürdigkeit, die persönliche Sauberkeit und die charakterliche Anständigkeit der Bundesminister prämiert werden sollten“, dann würde er wahrscheinlich den ersten Preis bekommen. „Der mittelgroße Mann, hinter dessen funkelnder Brille etwas prüfende und versteckte blaue Augen liegen … könnte ebenso ein Gelehrter sein, der ein Herbarium betreut.“
Soweit der Eindruck eines Zeitgenossen. Doch für eine wissenschaftliche Laufbahn hätte der promovierte Jurist wohl nicht getaugt. Seine wahre Berufung, der Einsatz für die Mitmenschen und das Gemeinwesen, zeigt sich schon früh. Der Teilnehmer des Ersten Weltkriegs schließt sich mit 23 Jahren zu Beginn der Weimarer Republik der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei an. Er gehört 1923 zu den Gründern der Organisation „Der Reichsadler“, die die Republik gegen die Gefahr von rechts verteidigt und später im republiktreuen „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ aufgeht. Während der nationalsozialistischen Diktatur schließt er sich einem liberalen Widerstandskreis an, wird zweimal für kurze Zeit eingesperrt. Er ist mit einer Jüdin verheiratet und scheut sich nicht, sich beim Chef des Geheimen Staatspolizeiamts in Preußen Heydrich persönlich für einen inhaftierten jüdischen Anwaltskollegen einzusetzen.
Sofort nach Kriegsende gehört er zu denen, die versuchen, aus den Trümmern ein demokratisches Deutschland aufzubauen. Als Ortsund Landesvorsitzender seiner Partei beteiligt er sich an der Wiederbegründung des organisierten Liberalismus, arbeitet im Parlamentarischen Rat am Grundgesetz mit und wird 1949 ins erste Kabinett von Konrad Adenauer berufen. Dem Kanzler bereitet er mit seinen verbalen Eskapaden oft Kopfschmerzen. Als Minister hat er maßgeblichen Anteil am Aufbau des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs. Vehement kämpft er gegen die Wiedereinführung der Todesstrafe. Ebenso leidenschaftlich wettert er später gegen Machtansprüche der Gewerkschaften und gegen Adenauers „einsame Entscheidungen“. Im Alleingang versucht er, Moskau für eine Wiedervereinigung Deutschlands zu gewinnen.
Adenauer bildet sein zweites Kabinett 1953 ohne den konfliktbereiten Liberalen, der daraufhin das Amt des Fraktionsvorsitzenden, ein Jahr später auch das des Parteichefs übernimmt. Seine deutschlandpolitischen Vorstellungen spalten schließlich die Fraktion, was der Partei 1957 eine schwere Wahlniederlage beschert. Der Mann „mit den drei Seelen in seiner Brust“, wie er selbst einmal gesteht, verliert seine Parteiämter, nicht aber seinen Kampfesmut. 1960 wird er zum Vizepräsidenten des Bundestages gewählt. Dieses Amt übt er bis zu seinem Tode im Jahre 1967 aus.
Foto: Picture-Alliance
Erschienen am 01. Dezember 2005
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