Heinz Lemmermann lässt es gleich sein. Er konzentriert sich auf die Pointen des Kantschen Alltags, die es allen anderslautenden Vorurteilen zum Trotz nicht nur vereinzelt, sondern zuhauf gegeben hat. Dass Kant ein geistvoller Unterhalter war, der wenig über Philosophie redete, ist weitgehend bekannt. Dass sein Alltag voller Gemeinplätze und Marotten eher gewöhnlich ausfällt, trotz vielfältiger geregelter Tagesabläufe, damit versteht Lemmermann mit ironisch satirischem Unterton doch zu überraschen. So soll Kant weder den Frauenzimmern noch der Ehe besonders zugetan gewesen sein. Trotzdem dachte er zweimal in seinem Leben an eine Eheschließung. Er dachte, berechnete Kosten und Nutzen, zögerte zu lange. Da war die eine abgereist, die andere hatte einen anderen.
Als einziger kann sich Steffen Dietzsch in seiner Kant-Biographie auf neues Material stützen. Er schreibt Kants Leben in eine Kulturgeschichte der Stadt Königsberg ein. Die Krönungsstadt Königsberg beherbergte kaum preußischen Hofadel. Ein Verwaltungsstab von etwa 20 Beamten verwaltete um 1720 die Provinz Ostpreußen. Königsberg war eine bedeutende Hafenstadt mit sehr guten Handelsbeziehungen, vor allem nach Lissabon.
Doch vom Luthertum tief geprägt, zieht in die Kö-nigsberger Universität erst um 1750 eine freiere geistige Atmosphäre ein. Dietzsch greift auf bisher unzugängliches Material aus dem erst 1991 im polnischen Allenstein wiederentdeckten Königsberger Universitätsarchiv zurück und vermag damit auch einen neuen Blick auf das Universitätsleben Kants zu werfen.
Dietzsch behandelt auch als einziger der neuen Biographen Kants Verhältnis zum Judentum, in dem sich dessen mühsame Emanzipation im 18. Jahrhundert spiegelt. Langsam zum Studium zugelassen, doch noch bis ins 19. Jahrhundert von der Lehre ausgeschlossen, bilden Juden einen erheblichen Teil von Kants Studenten, die auch wesentlich zur Verbreitung seiner Lehre beitragen. Gerade bei den deutschen Auf-klärern stößt Kant auf große Vorbehalte und er ver-dankt seine erste weitergehende Rezeption in Berlin vornehmlich jüdischen Kreisen. So bietet Dietzsch eine Fülle von neuen Details, behandelt Kants Lehre dabei eher am Rande, stellt sie trotzdem in interessante sozialhistorische Bezüge.
Manfred Geier lässt in seiner Biographie Kants Lehre auch aus seinem Leben hervorgehen. Daher kon-zentriert er sich nicht nur auf den Kant der Kritik der reinen Vernunft, also auf den Kant zwischen deren Erscheinen 1781 und seinem Tod 1804, - in der Zeit, in der alle jene Werke des Philosophen entstehen, die seinen Weltruhm begründen. Dieser kritischen Phase widmet Geier etwa die Hälfte des Buches, das auch als gute Einführung in das Werk Kants taugt.
Immanuel Kant, Sohn eines Riemermeisters, empfindet schon als Jugendlicher seine pietistische Schulausbildung als "Jugendsklaverei". Sein Studium ohne klares Berufsziel finanziert er nebenbei durch geschicktes Billard-Spiel. Nach dem Tode des Vaters 1746 verlässt er die Universität ohne Abschluss. Sechs Jahre lang verdient er sein Geld als Hauslehrer auf dem Land. 1754 kehrt er nach Königsberg zurück und schließt sein Studium durch Arbeiten zur Naturge-schichte und zur Metaphysik ab.
Zwar lehrt er daraufhin an der Universität, doch seine Bewerbung bei Friedrich II. um ein Extraordinariat wird 1756 abschlägig beschieden. Erst 1770 erhält er einen Ruf auf einen Lehrstuhl, aber für Logik und Metaphysik, nicht für Ethik, was er hoffte. Zehn Jahre lang erfüllt hier Kant eine eher lästige Pflicht, weitge-hend ohne zu publizieren. Der Druck auf ihn wächst indes, und so macht er sich unwillig daran, die Kritik der reinen Vernunft - sein Hauptwerk - zu schreiben.
Noch bis in die 70er-Jahre hinein folgt Kant Newtons Auffassung, der die Natur wissenschaftlich mit mathematischer Berechnung erkennen will, wie sie an sich ist ohne irgendeine subjektive Brechung oder subjektive Grenze des Vernunftvermögens. Diese Zeit schildert Manfred Geier äußerst spannend. Dagegen basiert für die Kritik der reinen Vernunft die naturwissenschaftliche Erkenntnis auf der dem Menschen eingeborenen Vernunft. Diese strukturiert die Erfahrung derart, dass der Mensch die Naturgesetze zu erfassen vermag. Insofern bleibt für Kant auch naturwissenschaftliche Erkenntnis subjektiv bedingt. Das ist Kants Einsicht, die seine kritische Phase ab 1781 prägt und die seinen philosophischen Weltruhm begründet.
Erst danach kann er sich wieder ethischen und politischen Fragen zuwenden. Wenn man sich auf Geschichte und Tradition nicht mehr verlassen kann, weil man aufklärerisch die Moral von Vorurteilen und haltlosen metaphysischen Begründungen befreien will, dann - das ist Kants große ethische Einsicht - bleibt nur die Suche nach einer rein vernünftigen Begründung der Moral. Kants berühmtes Moralgesetz, der kategorische Imperativ, verlangt von einer moralischen Maxime, dass sie verallgemeinerbar sein müsse, dass sie also ohne Einschränkung, ohne Nutzen und ohne Hintergedanken gilt: Ich folge der Maxime "Du sollst nicht töten!" nicht, weil ich bisher bloß keine Gelegenheit dazu hatte, oder weil ich ein guter Mensch sein will, sondern schlicht und einfach, weil man nicht tötet. Geier schildert einen menschlichen und lebendigen Kant, der seine Lehre gegen zahllose Widerstände beharrlich fortsetzt.
Die umfänglichste der drei Biographien, der Band von Manfred Kühn, schildert ausführlich das Leben Kants, beispielsweise den eleganten jungen Magister, der sich zwischen 1755 und 1764 an den französischen Aufklärern orientiert und auch die französischen Manieren übernimmt, an denen er noch bis ins hohe Alter festhält. Knapp die Hälfte des Buches widmet Kühn der akribischen Darstellung von Kants Werkentwicklung seit 1780 und geht dabei auf die meisten Werke aus dieser Zeit ein.
Allerdings beschränkt sich Kühn keineswegs auf die philosophischen Gehalte, sondern entwickelt diese aus den geistigen und politischen Geschehnissen der Zeit heraus. Kant, der der französischen Revolution mit großer Sympathie begegnet, sieht sich beispielsweise in diesen Jahren doch selbst vor allem durch eine antirationalistische, von der Sekte der Rosenkreuzer beeinflusste Religionspolitik Friedrich Wilhelms II. bedroht. Dessen Auffassung, dass Religiosität die Sittlichkeit fördert, antwortet Kant 1793 mit seiner Schrift "Die Religion innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft".
Ihre Vorrede beginnt mit dem Satz: "Die Moral, so fern sie auf dem Begriffe des Menschen als eines freien, eben darum aber auch sich selbst durch seine Vernunft an unbedingte Gesetze bindenden Wesens gegründet ist, bedarf weder der Idee eines anderen Wesens über ihm, um seine Pflicht zu erkennen, noch einer andern Triebfeder als des Gesetzes selbst, um sie zu beobachten."
Steffen Dietzsch
Immanuel Kant. Eine Biographie.
Reclam Leipzig, 2003; 368, S., 24,90 Euro
Manfred Geier
Kants Welt. Eine Biographie.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2003; 350 S., 24,90 Euro
Manfred Kühn
Kant - Eine Biographie.
Aus dem Englischen von Martin Pfeiffer.
C.H. Beck Verlag, München 2003; 639 S., 29,90 Euro
Heinz Lemmermann
Punkt 5 Uhr früh beginnt das Leben.
Der oft skurrile Alltag des Immanuel Kant
(1724 - 1804), leicht satirisch kommentiert.
Donat Verlag, Bremen 2003; 112 S., 10,- Euro