Manche Sozialdemokraten wollen jetzt, insbesondere nach dem angekündigten Rücktritt Gerhard Schröders vom Bundesvorsitz, einen "spürbar positiven Trend" bemerkt haben. Andere glauben einfach steif und fest daran, "dass es 29. Februar richtig spannend wird". Dass, so SPD-Landessprecher Christoph Holstein, sei nämlich auch das Ergebnis der "täglichen Umfragen an unseren Info-Tischen".
SPD-Spitzenkandidat Thomas Mirow, früherer Bürochef von Willy Brandt und lange Jahre erfolgreicher Wirtschaftssenator der Stadt, ist da schon vorsichtiger - und wohl auch näher an der Realität. "36 Prozent" wären für ihn ein "schönes Ergebnis", gab er unlängst freimütig zu, während sein Widersacher, Amtsinhaber Ole von Beust (CDU), genauso offen ankündigte, er peile 48 Prozent plus X an.
Ein Fall von Größenwahn? Keineswegs, denn eben dieser Wert wird seiner Partei in einer aktuellen Forsa-Umfrage prophezeit, während die Sozialdemokraten nur noch bei 28 Prozent rangieren. Die enorme Popularität des agilen Bürgermeisters, der für die CDU als wandelndes Ein-Personen-Wahlprogramm von Termin zu Termin eilt, macht es dem eher spröde wirkenden Thomas Mirow nicht leicht, mediengerecht auf sich aufmerksam zu machen. Seine Versuche, Ole von Beust zu Auseinandersetzungen um Themen wie die Innere Sicherheit, seine im Eklat auseinandergebrochene Rathaus-Ehe mit Ronald Schill oder die Situation an Hamburgs Schulen und Hochschulen zu zwingen - sie verlaufen oft im Sande.
Stehen sich aber beide dann doch einmal gegenüber, um öffentlich über Inhalte zu streiten (wie jüngst bei einem von der TV-Journalistin Maybrit Illner moderierten Duell), dann fällt es dem Stadtoberhaupt mit seiner lockerflockig-launigen Art leichter, sich in Szene zu setzen. Und das, obwohl sich beide bei solchen Gelegenheiten faktisch immer nur gegenseitig vorhalten, in ihrer jeweiligen Regierungs-Ägide sei alles besser gewesen oder geworden.
Diese Situation zehrt natürlich an den Nerven. Und der Ärger über die momentan so besonders missliche Lage der SPD, die vor dem Regierungswechsel 2001 40 Jahre lang in Hamburg ununterbrochen an der Macht war, mag eine Rolle spielen, wenn Mirows Wahlkampfmanager Michael Neumann plötzlich ganz unhanseatisch gegen Beust lospoltert, ihn als "Blender" und "Versager" beschimpft und das Phänomen seines Erfolgs gar mit dem des "Superstar"-Kandidaten Küblböck vergleicht.
Doch solche Ausfälle haben Seltenheitswert in einem sich bislang vergleichsweise langweilig ausnehmenden Wettrennen, das von Portraitplakaten ohne inhaltliche Botschaft ("Alster, Michel, Ole"), rosenverteilenden Parlamentariern und vor allem dem alles überlagernderen Bundestrend geprägt ist, gegen den der recht trockene Technokrat Thomas Mirow in der Elbmetropole genauso anzukämpfen hat wie gegen den Eindruck vieler Bürger, die SPD habe sich seit ihrer Verbannung aus dem Rathaus nicht wirklich erneuert. Die Partei, so behauptet Mirow fast gebetsmühlenartig bei jeder sich bietenden Gelegenheit, habe aus ihren Fehlern gelernt und vertrete auf vielen Feldern jetzt neue Positionen, zum Beispiel bei der Verbrechensbekämpfung.
Doch Innensenator Dirk Nockermann, Spitzenkandidat der ehemals von Schill geführten "Partei Rechtsstaatliche Offensive" (PRO), hält dem entgegen, die Hamburger SPD sei noch immer "gegen die Ausweisung von dringend unter Tatverdacht stehenden Fundamentalisten und gegen flächendeckende Videoüberwachung". Sollte Rot-Grün wieder an die Macht kommen, so seine dramatische Warnung, "dann kehrt die Kriminalität zurück in die Stadt".
Nicht ganz so spannend wie in früheren Zeiten ist die Schlacht ums Rathaus auch deshalb, weil die kleinen Parteien, sonst als Zünglein an der Waage oft im Mittelpunkt des Medieninteresses, kaum mehr eine Rolle zu spielen scheinen. Die Experten trauen es den beiden bisherigen Koalitionspartnern der CDU, nämlich FDP und PRO, kaum zu, erneut in die Bürgerschaft zu gelangen.
Die Elbliberalen liegen in den Umfragen seit langem unter fünf Prozent, die PRO ohne ihre schillernde Gründungsfigur Ronald Schill sogar nur bei zwei Prozent. Und auch der Comebackversuch des Ex-Innensenators, der durch sein Gebaren die vorzeitige Neuwahl überhaupt erst nötig werden ließ, scheint zum Scheitern verurteilt. Die Partei des Euro-Gegners Bolko Hoffmann (schnell umbenannt in "Pro DM/Schill"), für die Schill nun als Spitzenkandidat antritt, wird von den Hamburgern, der Skandale jetzt mehr als überdrüssig, kaum beachtet; sie erreicht ebenfalls nur Werte von rund zwei Prozent.
Es bleibt die in der Nordmetropole traditionell starke GAL (Grün-Alternative Liste), die mit ihrer Fraktionsvorsitzenden Christa Goetsch, einer von Werbekennern als "pfiffig" beurteilten Kampagne und einem im linken Milieu als Alternative zur ungeliebten SPD-Bundeslinie aufgefassten Politikangebot die Überraschungssiegerin der Wahl werden könnte. Ihre Umfrageergebnisse von rund zwölf Prozent gelten als ausbaufähig. Sollte sich das bewahrheiten, dann könnte es für Mirow mit einer starken Partnerin im künftigen Koalitionsbett und etwas Glück plötzlich doch reichen, die Schlacht ums Rathaus auf der Zielgeraden dadurch noch einmal an Dynamik gewinnen.
Und genau deshalb wittert nun auch die von Beobachtern schon fast abgeschriebene FDP mit ihrem weitgehend unbekannten Frontmann, Bildungssenator Reinhard Soltau, wieder Morgenluft. Er will in der verbleibenden Zeit um Leihstimmen aus dem CDU-Lager werben und versuchen, sich als Garant für eine bürgerliche Regierung zu empfehlen. Denn eine Koalition mit einer der beiden Schill-Parteien hat Ole von Beust bereits kategorisch ausgeschlossen. Ein Bündnis mit der Grün-Alternativen Liste steht für die Christdemokraten wie für die Grünen nicht ernsthaft zur Diskussion.
Fest steht: Während der von manchen schon jetzt zum Wahlsieger ausgerufene Ole von Beust in Wahrheit viel zu verlieren hat, kann sein Widersacher eigentlich nur noch gewinnen.