Regieren wird immer schwieriger, der Reformbedarf immer größer, politische Entscheidungen immer komplexer. Doch wenn die notwendigen Reform-Prozesse in Deutschland nicht voran kommen, dann liegt dies nach Ansicht der Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), Gesine Schwan, auch daran, dass in Politik, Verwaltung und zivilgesellschaftlichen Organisationen Führungskräfte fehlen, "die gezielt für die neuen Herausforderungen ausgebildet werden".
Gleich zwei Projekte, die kürzlich in Berlin vorgestellt wurden, versprechen Abhilfe. Auf den Schools of Governance sollen die Führungskräfte von Morgen das Regieren, Verwalten und Gestalten im öffentlichen Sektor lernen. Die eine wurde von der Hertie-Stiftung initiiert, die andere von der Berliner Humboldt-Universität und der Viadrina, die eine als private Initiative, die andere als Public-Privat-Partnership. "Endlich müssen deutsche Führungskräfte nicht mehr nach Boston, London oder Paris ausweichen", jubelt Stephan Gutzeit, Gründungsmanager der Humboldt Viadrina School of Governance, und auch sein Amtskollege Bernhard Lorentz von der Hertie-School of Governance ist voller Euphorie. "Wir machen etwas völlig Neues", sagt er, "wir bieten eine praxisorientierte, interdisziplinäre und internationale Ausbildung für den Führungskräftenachwuchs." Nicht nur analytische Kompetenzen sollen die Governance Schools lehren, sondern vor allem so genannte ‚skills', Fähigkeiten, wie Gesprächsführung und Verhandlung. Nicht Theorie soll im Mittelpunkt stehen sondern nach amerikanischem Vorbild Case-Studies, Fallstudien.
Die Konzepte der beiden Governance Schools sind sehr ähnlich, die Ansprüche hoch. An bekannten amerikanischen Vorbildern wie der Kennedy School of Government in Harvard oder der Goldman School of Public Policy in Berkeley will man sich messen, die besten Professoren sollen nach Berlin berufen werden, die anerkanntesten Experten aus aller Welt sollen dort unterrichten. Im Mittelpunkt beider Schulen sollen zweijährige Master-Studiengänge stehen. Zunächst der Master of Public Policy, später könnten Master auf Public Administration oder Master of Non-Profit-Organisation-Administration hinzu kommen. Berufsanfänger mit exzellenten Studienabschlüssen und mehrjähriger Berufserfahrung sollen sich bewerben. Zwei Jahre dauert der Studiengang, die Humboldt-Viadrina School will ihn auch berufsbegleitend anbieten.
Im Herbst wird es los gehen. An der Humboldt Viadrina School of Governance können sich dann die ersten 20 Studenten für den Master-Studiengang einschreiben. In ein paar Jahren sollen an der Schule 60 Studenten von zwölf Professoren betreut werden. Die Hertie-School startet zur selben Zeit zunächst mit einem siebentägigen Executive Seminars "zur systematischen Einführung in Probleme moderner Governance". Erst ein Jahr später kommen die ersten Studenten. Nach der derzeitigen Planung werden im Jahr 2007 etwa 15 Professoren für rund 100 Studenten aus ganz Europa, vor allem auch aus Osteuropa, da sein. Finanziert wird die Universität ausschließlich privat. 25,6 Millionen Euro hat die Hertie-Stiftung für den Aufbau der Governance-School bereitgestellt. Die privaten Förderer, die ein Wissenschaftsmanager im Auftrag der Humboldt-Universität und der Viadrina für Spenden im insgesamt zweistelligen Millionenbereich gewonnen hat, wollen ungenannt bleiben. Aber auch die beteiligten Universitäten kostet das Projekt nichts, so versichert Stephan Gutzeit. Doch vom Anspruch zur Realisierung ist es noch ein weiter Weg, so manche ambitionierte private Universität, wie etwa die Universität Witten-Herdecke oder die International University Bremen, waren letztendlich doch auf öffentliche Gelder angewiesen. Auch ein hohes Ausbildungsniveau müssen beide Initiativen erst noch unter Beweis stellen. Das weiß auch Stephan Gutzeit: "Wir haben den Anspruch, Führungseliten auszubilden, ob wir eine Eliteuniversität werden, das muss der Markt entscheiden."
Die neu aufgeflammte Elite-Diskussion kommt den Initiatoren allerdings gerade recht. Eine ganze Universität an die Weltspitze zu führen, sei äußerst schwierig und teuer, so Stephan Gutzeit, eher sei der Aufbau einzelner, exzellenter Reformfakultäten zu schaffen. Nicht einmal die Studiengebühren von bis zu 10.000 Euro pro Jahr sollen potentielle Studenten abschrecken. Stipendien sollen dafür sorgen, dass die Immatrikulation nicht vom Geldbeutel abhängt. Auch die Hertie-Stiftung garantiert zunächst für fünf Jahre, dass alle ausgewählten Bewerber, die die "Notwendigkeit einer Unterstützung" nachweisen, ein Stipendium für die Studiengebühren und den Lebensunterhalt erhalten.
Natürlich sind solch ambitionierte Projekte nicht unumstritten. Zumal sich die drei großen Berliner Universitäten mit erheblichen Mittelkürzungen durch das überschuldete Land Berlin konfrontiert sehen. 75 Millionen Euro müssen diese bis zum Jahr 2009 in ihren Etats einsparen, 23,3 Millionen Euro davon betreffen die Freie Universität. Zwischen 80 und 90 Professorenstellen muss die FU streichen, schon warnt FU-Präsident Dieter Lenzen die Berliner Politik davor, Universitäten der Stadt "kaputt zu sparen". Das Otto-Suhr-Institut (OSI) der FU-Berlin, das mit etwa 3.000 Studenten größte Politikwissenschaftliche Institut Deutschlands, muss in den kommenden Jahren vier seiner 18 Professorenstellen abbauen, dem Institut für Soziologie droht gar die Schließung.
Dementsprechend polemisch kommentierte denn auch der OSI-Professor Elmar Altvater in einem Zeitungsbeitrag die Gründung beider Governance Schools. Nur weil an öffentlicher Bildung gespart werde, hätten private Anbieter eine Chance, so Altvater, dabei biete das Curriculum der Hertie-School nur, "was ein Student der Politikwissenschaft in den Grundsemestern zu lernen hat", spottet er und fragt sich, ob so Studenten an die Hertie-School zu locken sind, "wenn doch an der FU-Berlin mindestens so gut Fragen der Governance studiert werden können, ohne derzeit dafür Studiengebühren löhnen zu müssen". "Wir sind längst eine Eliteuniversität", sagt dagegen der Direktor des Otto-Suhr-Instituts, Bodo Zeuner. Tatsächlich erlebt die Politikwissenschaft an der FU einen regelrechten Run, der Numerus Clausus beträgt mittlerweile 1,3. Schon jetzt kann man dort den Master "Internationale Beziehungen" anstreben, andere Masterstudiengänge sollen in Zusammenarbeit mit anderen Universitäten folgen. Die Reform des Otto-Suhr-Instituts schreitet voran, der Bachelor als dreijähriger, praxisorientierter Studiengang ist als Alternative zum fünfjährigen Diplomstudiengang eingeführt. Dem so genannten Bologna-Prozess zur Entwicklung eines gemeinsamen Europäischen Hochschulraum zu Folge müssen alle deutschen Universitäten bis zum Jahr 2010 das zweistufige System von Bachelor- und Masterabschlüssen vollständig einführen. Auf den Bachelor als dreijährigen Grundlagenstudiengangs, kann dann ein bereits stark spezialisierter Master folgen. Das Diplom hingegen wird irgendwann abgeschafft.
Der Dekan des FU-Fachbereichs für Politik- und Sozialwissenschaften, Thomas Risse, sieht denn auch in den beiden Governance-Schools keine Konkurrenz, sondern eine Ergänzung. Risse schwebt eine Aufgabenteilung vor. Diejenigen Studenten, die sich auf eine wissenschaftliche oder akademische Laufbahn hin orientieren, machen ihren Master an der Universität, diejenigen, die sich auf bestimmte Berufe vorbereiten wollen, gehen an die neugegründeten Schools of Governance. Frei nach dem Motto, so Thomas Risse, if you can't beat them, join them.