Dass die Partei "gut drauf" ist, wie es der künftige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering am 6. Februar zum Zustand seiner Partei bemerkte, war nicht zu überhören. An jenem Freitag verkündeten Bundeskanzler Gerhard Schröder und Fraktionschef Franz Müntefering der überraschten Öffentlichkeit den Führungswechsel, der Schröder "nur" noch Kanzler sein lassen und Müntefering "auch" noch zum Parteivorsitzenden machen soll. Viele SPD-Kollegen, die den Kurs der rot-grünen Regierungsmannschaft oft kritisch begleitet hatten, schienen von einem neuen Optimismus beflügelt und kommentierten den Schritt entsprechend. Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck etwa würdigte den Wechsel an der Parteispitze als verantwortungsvolle Entscheidung: "Franz Müntefering ist der bestmögliche Nachfolger für Gerhard Schröder im Amt des Parteivorsitzenden." Die Sprecherin der SPD-Linken, Andrea Nahles, sprach von einer "guten Entscheidung, weil sie Stabilität in die Partei bringt". Aus Sicht des Führungsduos Schröder und Müntefering mussten Teile der SPD jedoch als zu "gut drauf" erscheinen, nämlich dann, wenn ihr neuer Optimismus sich an Hoffnungen einer politischen Kurskorrektur knüpfte und in neue Spekulationen um die inhaltliche und personelle Gestaltung der angestrebten Reformen mündete. Genau das sollte mit dem Wechsel an der Parteispitze nicht erreicht werden.
Die Entscheidung, das Amt des SPD-Vorsitzenden neu zu vergeben, bedeute keineswegs, vom Weg der "Agenda 2010" abkommen zu wollen. Schröder und Müntefering ließen bereits während der entscheidenden Pressekonferenz am 6. Februar keine Zweifel aufkommen: "Es wird eine Aufgabe sein, die das Jahrzehnt in Anspruch nimmt", stellte der 64-jährige Fraktionsvorsitzende die Perspektive klar. Und weiter: "Dazu möchte ich meinen Beitrag leisten und möchte mithelfen, dass in der Partei und in der Öffentlichkeit dieser Prozess in seiner Bedeutung erkannt wird und auch die nötige Unterstützung gewinnt." Auf diese Loyalität konnte sich Schröder bisher und kann er sich wohl auch in Zukunft verlassen: "Es gibt eine nahtlose Übereinstimmung, was die Notwendigkeit und die Inhalte des Reformprozesses angeht, zwischen Franz Müntefering und mir", verkündete der Bundeskanzler. Es gehe jetzt darum, durch die neue Arbeitsteilung die Schwierigkeiten in der Vermittlungsarbeit innerhalb der SPD zu überwinden.
Die ersehnte Ruhe wollte sich jedoch in den Tagen darauf nicht so recht einstellen. Dafür sorgte unter anderem die zweite Personalveränderung innerhalb der SPD-Spitze: Die Ablösung des wenig erfolgreichen Generalsekretärs Olaf Scholz durch den Berliner Bundestagsabgeordneten und Kanzler-Freund Klaus Uwe Benneter. Allein dessen enge Beziehung zu Schröder, die ihren Ursprung in der gemeinsamen Zeit bei den Jusos in den 70er-Jahren hat, macht aber keinen erfolgreichen Generalsekretär. Im Gegenteil, manche Genossen bewerteten gerade diesen Umstand als kritisch, sahen einen wirklichen "Neuanfang" an der Spitze der Partei gefährdet. Abgesehen von seiner schillernden Vergangenheit als "Benni Bürgerschreck", dessen Sympathien für die DKP einen zeitweisen (1977-1983) Parteiausschluss zu Folge hatten, ist Benneter eher ein unbeschriebenes Blatt.
Auch die parteiinterne Kritik am Reformkurs ebbte zu Beginn der vergangenen Woche, drei Tage nach dem überraschenden Coup, noch nicht ab. Im Gegenteil, es schien, dass sie dadurch neuen Aufwind bekommen hätte. Andrea Nahles forderte ein "klares sozialdemokratisches Profil", und der jetzige Juso-Chef Niels Annen verlangte, künftig bei den Reformen stärker auf soziale Gerechtigkeit zu achten. Der nordrhein-westfälische SPD-Vorsitzende Harald Schartau forderte Korrekturen bei den Abgaben zur Krankenversicherung, und auch Stimmen, die nach einer Kabinettsumbildung riefen, wollten nicht verstummen.
Bei den Fraktions- und Präsidiumssitzungen am Montag und Dienstag letzter Woche wiederholten Schröder und Müntefering energisch ihre Appelle zur Disziplin und konsequenten Fortsetzung des Reformkurses und hatten dazu allen Grund. Während zunächst noch Gerüchte um einen Rückzug von Wirtschaftsminister Wolfgang Clement aus der Parteispitze auftauchten und sich dann zerschlugen, machte sich danach Verkehrsminister Manfred Stolpe unbeliebt, als er vage von Situationen sprach, die eine Kabinettsumbildung möglich machen könnten. Nach dem erneuten Machtwort beruhigte sich die öffentliche Debatte - zumindest vorläufig.