Bemerkenswert dabei ist, dass Kerry eine signifikant hohe Zustimmung von afro-amerikanischen Wählern erfahren hat, der klassischen Wählergruppe der Demokraten, die sich indes bisher mit keinem der Kandidaten eindeutig identifizieren konnten. Der einzige schwarze Kandidat, Reverend Al Sharpton, scheiterte kläglich.
Wichtig für die Demokraten ist auch, dass der sympathische Mitbewerber Senator John Edwards, der kürzlich South Carolina gewann und in den übrigen Staaten stets gut plaziert hinter Kerry abschnitt, wiederum jeweils auf den zweiten Platz kam.
Mit diesen beiden Johns zeichnet sich ab, dass die oppositionellen Demokraten offensichtlich schneller als erwartet ihr Dream Team für die Präsidentenwahl am 2. November 2004 gefunden haben: den jeweiligen Kandidaten für den Präsidenten und seinen Vize-Präsidenten.
Ein Aufatmen geht durch die Reihen der seit dreieinhalb Jahren hilflos und verwirrt erscheinenden Demokraten. Fast möchte man meinen, das Aufatmen geht durchs ganze Land. Jeder Politologe weiß, eine Regierung ist nur so gut, wie die Opposition. Genau dies empfindet auch der Bürger von der Straße ohne Politikkenntnis. Seit dem zweifelhaften Wahlsieg von Präsident Bush im Januar 2001 wirkte die Partei der Demokraten wie gelähmt. Sie hat den knappen Wahlverlust von Al Gore, der unter ungeklärten Umständen zustande kam, nie richtig verkraftet. Neun Monate später gab es dann am 11. September den Terror-Angriff auf Amerika. Selbst die Ex-First Lady und Senatorin für New York, Hillary Clinton, scharte sich damals angesichts der terroristischen Kriegserklärung hinter den ungeliebten Präsidenten, ebenso Senator Joseph Lieberman, der eigentlich mit Al Gore ins Weiße Haus einziehen wollte. Und auch John Kerry stimmte im Senat einer "Carte Blanche" für die militärischen Feldzüge des Präsidenten in Afghanistan und im Irak zu. Die Opposition war angesichts der weltpolitischen Entwicklungen sichtlich ratlos und hat George Bush schalten und walten lassen.
Die Militarisierung der amerikanischen Außenpolitik unter Präsident Bush ist damit auch den Demokraten anzulasten. Denn für die Beseitigung der Taliban und des Diktators Saddam Hussein bedurfte es auch in Amerika der Zustimmung einer Zwei-Drittel-Mehrheit in beiden Häusern des Parlaments, und die Republikaner sind dort jeweils nur mit einer knappen Mehrheit vertreten.
Die kopflose Mutlosigkeit der Demokraten scheint nun jedoch passé zu sein. Seit dem Beginn der Vorwahlen, also des Auswahlwettbewerbs unter ursprünglich elf demokratischen Kandidaten, ist die Opposition aufgewacht, auch getrieben aus den eigenen Reihen. Es war Howard Dean, der Ex-Gouverneur von Vermont - einem der liberalsten Bundesstaaten der USA - der dem linken Spektrum der Demokraten eine laute Stimme gab. Es war Dean, der als erster Politiker scharf die Politik des Präsidenten angriff, damit aber gleichzeitig auch das eigene schläfrige Parteiestablishment. Bis zum Beginn des Auswahlwettbewerbs unter den Demokraten schaffte Dean es sogar, sich in der amerikanischen Öffentlichkeit als "Frontrunner" der demokratischen Kandidaten zu präsentieren. Damit hatte er den übrigen Kandidaten ordentlich eingeheizt - zu deren Vorteil und zu seinem Nachteil. Denn Howard Dean offenbarte während der vergangenen neun Monate auch beträchtliche Charakterschwächen, salopp formuliert: er hatte Aussetzer. Nicht nur widersprach er sich manchmal geradezu stündlich. Er verschreckte vor allem die Afro-Amerikaner sowie die bürgerlichen Wähler der Demokraten mit seiner demagogischen "Raserei", seiner unkontrollierten "Wut" gegen den Präsidenten und dem ebenso unfassbaren wie unglaubwürdigen Anbiedern an die konservative weiße Wählerschicht in den Südstaaten. Obwohl die Entscheidung um den endgültigen Herausforderer Präsident Bushs noch nicht gefallen ist, kann jetzt schon der Abgesang auf Dean angestimmt werden: sein Beispiel zeigt nachhaltig: "Wut" als Wahlkampfprogramm ist keine ausreichende Strategie.
Dennoch bleibt Howard Dean eine ernstzunehmende Imponderabilie im weiteren Wahlkampf. Denn er verfügt dank millionenfacher Spenden hauptsächlich aus den linksintellektuellen Kreisen der Vereinigten Staaten über ein ausreichendes Budget, um notfalls als unabhängiger Dritter am 2. November anzutreten. Damit würde er für jedweden demokratischen Präsidentschaftskandidaten die gleiche Gefahr heraufbeschwören, wie es im Jahr 2000 der Präsidentschaftskandidat der amerikanischen Grünen, Ralph Nader, tat. Der konnte damals rund 4,5 Prozent der Stimmen auf sich ziehen und verdarb damit dem Demokraten Al Gore einen eigentlich leichten Wahlsieg über Bush. Noch ist nicht klar, ob Nader auch diesmal wieder antritt. Nur: Sollte Dean sich zu dem Schritt des unabhängigen Kandiaten entschließen - und zuzutrauen wäre ihm das, da er mindestens genauso "wütend" auf die Parteifunktionäre der Demokraten ist wie auf Präsident Bush - dann wird es auch im Januar 2005 keinen demokratischen Präsidenten geben.
Die amerikanische Opposition kann sich jedoch keine Stimmenzersplitterung erlauben. Die Umfrageergebnisse prognostizieren wiederum ein knappes Wahlergebnis - aber nur, wenn lediglich zwei Kandidaten gegeneinander antreten. Andernfalls würde Präsident Bush mit Leichtigkeit die Wahlen gewinnen.
Viele demokratischen Wähler machen sich jedoch nicht nur darüber Sorgen, sondern sie sind auch verärgert über das komplizierte und langwierige Auswahlverfahren um einen endgültigen Präsidentschaftskandidaten. "Das lenkt fast ein halbes Jahr lang von der eigentlichen politischen Auseinandersetzung mit dem Herrn im Weißen Haus ab", klagt symptomatisch die 60-jährige Lehrerin Jane Cumings, die sich als "lebenslange Demokratin" bezeichnet.
Von Wahl zu Wahl wird der amerikanischen Öffentlichkeit bewusster, dass das gesamte Wahlsystem der USA eigentlich nicht mehr zeitgemäß sein ist. Schließlich stammt es aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und basiert seitdem auf Wahlmännergremien. Was damals aufgrund der großen Entfernungen Sinn gemacht hat, wirkt im Zeitalter der Elektronik nur noch schwerfällig. Das beginnt schon damit, dass es noch nicht einmal ein einheitliches System bei den Vorwahlen gibt. In 13 der 50 Staaten zum Beispiel wird der so genannte "Caucus" angewandt. Wörtlich übersetzt ist das eine Volkszählung, gemeint ist damit in Wirklichkeit aber ein Landesparteitag. In Iowa etwa, wo die Vorwahlen begannen, ist ein solcher Landesparteitag vorgeschrieben. Dort stimmen die Delegierten über die Kandidaten ab. In Iowa konnte John Kerry also die Mehrheit des Landesparteitags der Demokraten auf sich vereinigen. Dies birgt indes die Unwägbarkeit in sich, dass bei der späteren Präsidentenwahl im gleichen Bundesstaat noch lange nicht sicher ist, ob die Mehrheit der demokratischen Basis-Wähler auch für den Kandadidaten John Kerry stimmen würde.
Die weit häufigere Form der Kandidatenauswahl ist dann die "Primary", also eine echte Wahl mit Stimmenabgabe in einem Wahllokal, zu der indes nur die als "Demokraten" registrierten Wähler ihre Stimme abgeben können. Dieses System hat die entscheidende Schwäche, dass es suggeriert, ein Kandidat sei in der Lage, einen Bundesstaat für sich zu gewinnen, zum Beispiel jetzt angesichts von John Kerrys Sieg in Virginia. Bei der späteren Präsidentenwahl aber kann es durchaus passieren, dass der Republikaner George W. Bush im konservativen Südstaat Virginia eine überwältigende Mehrheit der Gesamtwähler für seine Partei einfährt. Denn Kerrys "Wahlsieg" in den Vorwahlen in Virginia ist nur anhand der eingetragenen Demokraten berechnet worden.
So geht es in den Vorwahlen also zunächst nur darum, möglichst viele Partei-Delegierte zu gewinnen. Ihr Stimmenanteil berechnet sich wiederum nach der Bevölkerungsdichte eines jeweiligen Bundesstaates. Diese Delegierten, insgesamt werden es mehr als 4.000 sein, wollen sich dann vom 26. bis 29. Juli 2004 in Boston auf dem Parteitag der Demokraten versammeln und den Präsidentschaftskandidaten wählen. Dabei sind alle Entsandten verpflichtet, ihre Stimmen jenem Kandidaten zu geben, in dessen Namen sie entsandt wurden.
Obwohl damit im Vorfeld dank akribischer Auszählung der Anzahl der Delegierten, die jeder Kandidat für sich in der Vorwahl gewinnen konnte, klar sein sollte, wer der eigentliche Sieger ist, kann es Überraschungen geben. Denn - noch nicht kompliziert genug - gibt es zudem 802 "Superdelegierte", bestehend aus den demokratischen Senatoren, Abgeordneten im Repräsentantenhaus, den demokratischen Gouverneuren aus den Ländern sowie bestimmten Vertretern des Parteiapparates, was der Endrechnung eine gewisse Unsicherheit verleiht.
Theoretisch läge in der dadurch entstehenden Situation die Chance eines Außenseiters. Angenommen, John Kerry würde die Mehrheit der Delegierten aus den Ländern gewinnen, aber Hillary Clinton tauchte plötzlich als "Dea ex machina" in Boston auf, dann könnten jene Superdelegierten gemeinsam mit den Delegiertenstimmen der Gegner Kerrys der Ex-Präsidentengattin zur überraschenden Kandidatur verhelfen.
Damit ist in der gegenwärtigen Situation allerdings nicht zu rechnen. Der hochdekorierte Vietnamveteran John Kerry und sein möglicher Runningmate, aus dem Süden, John Edwards, beglücken mit ihren Vorwahlerfolgen die demokratische Partei und die Wähler dermaßen, dass nur noch ein letzter Schritt fehlt, um beide zum endgültigen Dream Team zu küren. Und das könnte der zweite so genannte "Super Tuesday" sein. Zum zweiten Mal wird nämlich an einem Dienstag, dem 2. März, in mehreren Bundesstaaten gleichzeitig abgestimmt. Am 2. März entscheiden die demokratischen Wähler in den bevölkerungsreichsten "Super Staaten" Kalifornien und New York sowie einer weitern Reihe kleinerer Staaten darüber, welcher Kandidat ihre Zustimmung findet. Gewinnt Kerry auch diesen "Super Tuesday", ist die Vorwahl endgültig entschieden. Zwar laufen in den verbleibenden Bundesstaaten die Primaries noch bis zum 8. Juni, aber erfahrungsgemäß steht Anfang März der Kandidat der Opposition fest. Es sieht deshalb ziemlich gut aus für die John-Johns.