Doch was viel Rumor macht, muss nicht immer Kunst sein. Während es beim MoMA am Ende nur noch um Zahlen, Daten und Rekorde ging, hängt sich auch die Flick-Debatte weniger an den hier gezeigten Positionen und der Präsentation von Kunstwerken auf. Es geht nahezu ausschließlich um die Familiengeschichte des Sammlers. Das Eigentliche - eine der bedeutendsten und umfangreichsten Sammlungen zur Kunst des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts - droht an dieser Debatte zu ersticken.
Dass gestritten wird, tut Not. Denn Friedrich Christian Flick ist nicht irgendein Sammler, sondern Enkel und Erbe Friedrich Flicks - bereits zu Zeiten der Weimarer Republik einer der bedeutendsten deutschen Industriellen und nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten erheblicher Profiteur von "Arisierung" und Zwangsarbeit. Bis zu 60.000 Zwangsarbeiter soll er in seinen Rüstungsunternehmen beschäftigt haben. Und fast noch schlimmer: Ohne Anzeichen von Reue stieg "Flicken Fritz" nach 1950 wieder auf, wie der Phoenix aus der Asche.
Obwohl in Nürnberg zu sieben Jahren Haft verurteilt, baute er nach seiner vorzeitigen Entlassung erneut ein Imperium auf, das in der frühen Bundesrepublik seines Gleichen suchte. Und die Sklavenarbeiter von einst, sie wurden zu Lebzeiten Friedrich Flicks nie entschädigt. "Sollte von 1933 bis 1945 ein Vermögenszuwachs bei mir eingetreten sein", so gab Flick in Nürnberg in einer einmaligen Dreistigkeit zu Protokoll, "so wäre er selbst dann eingetreten, wenn ich während dieser Jahre spazieren gegangen wäre."
Eine unverfrorene Geisteshaltung, die in den Trümmerjahren oft ohne Einspruch durchgewinkt wurde. Mit der Kunstsammlung des Enkels steht sie nun erneut zur Diskussion. Wenige Monate vor Eröffnung schrieb Salomon Korn, stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, an der Sammlung klebe das "Blutgeld" der "Arisierung" und der Ausbeutung von Zwangsarbeitern. Was Korn erzürnte, war die Weigerung des Flick-Enkels, als Privatmann in den Zwangsarbeiterfond einzuzahlen.
Flick reagierte irritiert. Schließlich hätten einstige Firmen des Konzerns durchaus in den Fond eingezahlt und er als Privatmann eine in Potsdam ansässige Stiftung gegen Fremdenfeindlichkeit gegründet. Als ihm schließlich namhafte Stimmen, darunter die des renommierten Sammlers Heinz Berggruen und des Direktors des Jüdischen Museums, Michael Blumenthal, zur Hilfe kamen, in dem sie ihrerseits Korn "Sippenhaft" vorwarfen, legte dieser nach. Nun sah er in Berlin gar den Boden bereitet für eine hypothetische Göring-Collection.
Der Zenit der Debatte war überschritten, und die Argumente wurden immer verholperter. Nicht nur, dass der Sammlung "Weißwäsche" der Historie vorgeworfen wurde, es ging gar soweit, dass man den Chef-Kurator der Ausstellung, Eugen Blume, als Holocaustleugner zu verunglimpfen suchte. Was als notwendige Auseinandersetzung über die Verantwortung der Nachgeborenen begann, endete nicht selten in einer unproduktiven Diskurskeiferei.
Und die Kunst? Sie schwieg! Als trauten viele ihr tatsächlich nicht mehr zu, als der ästhetische Kitt zur Aufhübschung einer Familiengeschichte zu sein, wurde über diese erst gesprochen, als am vergangenen Dienstag die Sammlung im Hamburger Bahnhof in Berlin eröffnet wurde. "Kunst", so Kulturstaatsministerin Christina Weiss vor der Eröffnung, "lässt sich nicht als Geisel nehmen." Wer die 13.000 Quadratmeter, auf denen die Werke der Friedrich-Christian-Flick-Collection in einer ersten Darbietung ausgerollt wurden, in Augenschein nimmt, beginnt dem Inhalt dieser Worte nachzuspüren.
Wie in Bruce Naumans Video "Raw Material", in dem ein Mensch in hoher Geschwindigkeit unentwegt um seine eigene Körperachse gedreht wird, vermag diese Kunst die Argumente beider Seiten mit einem Mal schwindlig zu drehen. Eine Sprache, der man zuvor stets das Wort abgeschnitten hatte, beginnt sich hier in voller Wucht zu entfalten. Denn es wird jene Moderne gezeigt, die in ihren Brüchen und Differenzen das letzte Jahrhundert entscheidend geprägt hat und die ohne die barbarische Zäsur Auschwitz so nie denkbar gewesen wäre.
Schon die Darbietung in den vom Architekten Wilfried Kühn umgestalteten Rieckhallen verdeutlicht, dass die gut 2.500 Werke der Friedrich-Christian-Flick-Collection nicht das Dekor eines historischen Schandflecks sein wollen. Dieser läuft vielmehr an allen Orten des Ausstellungsparcours mit. Die Verstrickungen, Unsagbarkeiten und Auswirkungen von Geschichte und Gegenwart werden letztlich mit jedem Kunstwerk neu transportiert.
Da sind zum Beispiel die gut 70 Werke Bruce Naumans. Der amerikanische Video- und Installationskünstler hat sich in seinen Arbeiten nicht nur immer wieder mit den Strukturen räumlicher und symbolischer Machtverhältnisse auseinander gesetzt. Er macht diese in seinen begehbaren Skulpturen geradezu physisch erlebbar. Und vielleicht ist es kein Zufall, dass gerade Naumans Arbeiten in Umfang und Präsentationsdichte einen Schwerpunkt der Sammlung bilden.
Überhaupt sind es immer wieder Arbeiten, die sich mit den Themenfeldern Gewalt, Autorität und Ohnmacht auseinander setzen. Etwa die legendären Fotografien Larry Clarks aus den 70er-Jahren, die um die Brutalität und Erbarmungslosigkeit in der westlichen Jugendkultur kreisen, oder jüngere Arbeiten des Turner-Preisträgers Wolfgang Tillmanns. Dieser hat sich auf einer Serie "Soldiers" mit der Präsenz eines militärischen Bildvokabulars in den Massenmedien beschäftigt.
Im Gegensatz zu den beiden anderen Sammlungen des Hamburger Bahnhofs, den Sammlungen Marx und Marzona, mag die des Friedrich Christian Flick eine geringere ästhetische Dichte aufweisen. Hier ist nahezu jede künstlerische Position vertreten, die in den letzten 30 Jahren von sich reden gemacht hat. Von Marcel Broodthaers bis zu Daniel Richter, von den Re-Fotografien eines Richard Prince bis zu den Großflächenfotos von Thomas Struth. Eines aber ist diese Sammlung, die Flick für sieben Jahre als Leihgabe den Staatlichen Museen übereignet hat, mit Sicherheit nicht: inhaltlich willkürlich.
Besonders dem Kurator Eugen Blume ist es zu danken, dass die Werke neben der ihnen innewohnenden Kraft immer auch eine zweite narrative Ebene bekommen. In einer Hängung von 17 Kapiteln hat er versucht, eine "Erzählung von den Befindlichkeiten des Menschen" zu entfalten. Diese reicht vom "Schöpfungsmythos" bis zu "Körpereinschreibungen".
In einer Abteilung, die unter den symbolischen Titel "Raststätte" gestellt wurde, hängt eines der unprätentiösten, dafür aber aussagekräftigsten Werke dieser einmaligen Sammlung. Tief im Kellergeschoss der Rieckhallen, entdeckt der Besucher eine der vielleicht bedeutendsten Arbeiten Martin Kippenbergers. Schon zur Zeit ihrer Entstehung war sie als ein ironisch-verspielter Kommentar auf einen leichtfertigen Umgang mit Symbolen und auf die Verantwortung von Kunst gedacht. Der Titel des Gemäldes, das nicht viel mehr zeigt als schwarz-rot-weiße Balken, die auf verspielte Art ineinander verschachtelt sind, holt an diesem Ort zu neuer Schlagkraft aus. Er lautet: "Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken."
Friedrich-Christian-Flick-Collection im Hamburger Bahnhof. Di - Fr 10:00 - 18:00 Uhr; Sa 11:00 - 22:00 Uhr; So 11:00 - 18:00 Uhr. Die Eröffnungsausstellung läuft bis zum 23. Januar 2005. Invalidenstraße 50 - 51. Berlin.