Die alte Stadthalle im Badischen platzte aus allen Nähten, als sich ein bunter Haufen Delegierter am 12. und 13. Januar 1980 in Karlsruhe einfand, um eine grüne Partei zu gründen. Die Sowjets waren gerade in Afghanistan einmarschiert und die SPD hatte beschlossen, das Atomprogramm der Bundesregierung fortzuschreiben. Die NATO hatte den Doppelbeschluss zur Nachrüstung mit neuen Mittelstreckenraketen verkündet. Hundertausende gingen gegen diese Politik auf die Straßen, demonstrierten gegen Wiederaufbereitungsanlagen und Atomkraftwerke. Kein schlechter Zeitpunkt also für die Implementierung einer grünen Protestpartei. So rief August Haußleitner, einer der ersten Sprecher des Bundesvorstandes, nicht ohne Pathos und die Apokalypse fest vor Augen, in den überfüllten Saal: "Wir erleben in diesem Augenblick den Aufmarsch, das Vorstadium zum dritten Weltkrieg, und da wollen wir uns nicht in Formalitäten differenzieren, da wollen wir die Tore offen halten und in Zukunft zusammenarbeiten!"
Nun, auch bei geöffnetem Tor gibt es vereinzelte Lattenschüsse, und so verlief die Grünen-Gründung nicht ganz ohne Zwist und Hader. Immerhin hatten sich die versprengten Gruppen der Protestszene von links bis rechts mit viel Verve vorgenommen, in nur zwei Tagen ein Statut für die neue Bundespartei zu erarbeiten. Eine "ökologische, basisdemokratische, soziale und gewaltfreie" Alternative zu den etablierten Parteien sollte daraus erwachsen. Angereist waren Kommunisten, Feministinnen und Naturschützer ebenso wie Radikaldemokraten, Wertkonservative und Spontis. Seit Kriegsende hatte sich kein derart breites Spektrum zur Gründung einer neuen Partei zusammengefunden. Die Versammlungsleitung, leidlich überlastet, wurde überhäuft mit Geschäftsordnungsanträgen und Abstimmungswiederholungen, so dass es nur zäh voranging. Ein Schlitzohr stoppte heimlich die große Saaluhr, um zu verhindern, dass Delegierte vor der entscheidenden Abstimmung zu ihren Zügen eilen. Störer hielten den Betrieb zusätzlich auf: Mal erkämpften sich echauffierte Emanzen das Mikrofon und warfen den Grünen "Anti-Feminismus" vor. Mal waren es minderjährige Angehörige einer illegalen "Indianerkommune", Ausreißer-Kinder, welche von den Delegierten lautstark verlangten, die Schulpflicht abzuschaffen und sich für das Recht auf "Ausziehen von zu Hause ab zwölf Jahren" einzusetzen. Besorgt über das Bild der Grünen in der Öffentlichkeit, forderte das Präsidiumsmitglied Wilhelm Knabe die anwesenden Journalisten auf, "das nun nicht als Ausdruck der grünen Aktivitäten zu bringen, wenn das möglich sein sollte".
Doch was sollte eigentlich "Ausdruck grüner Aktivitäten" sein? Und wie konnte die neue Partei organisiert werden? Darüber gab es harte Kontroversen. Fast wäre die Parteigründung an der Frage der Doppelmitgliedschaft gescheitert. Ganz knapp und gegen den Widerstand vieler Kommunisten (der so genannten K-Gruppen) und den Vertretern bunter (alternativer) Listen beschlossen die Delegierten schlussendlich, Mitglied der Grünen könne nur werden, wer keiner anderen Partei angehöre. Mehr Einigkeit bestand beim Verbot der Ämterhäufung und dem - für die Grünen nun schon legendären - Rotationsprinzip. Ein Parteivorsitzender war nicht vorgesehen, vielmehr ein 17-köpfiger Bundesvorstand mit drei gleichberechtigten Sprechern (heute sind es zwei). Und auch das war neu: Als erste Partei empfahlen die Grünen, Frauen und Minderheiten bei Vorstandswahlen paritätisch zu beteiligen. Anprangern wollte man ferner die Missachtung der Menschenrechte, Hunger und Armut in der Dritten Welt, wachsende Arbeitslosigkeit und eine Verschärfung der Umweltkrisen.
90 Prozent der Delegierten stimmten nach dieser ersten Übereinkunft einer Parteigründung zu. Auf dem Parteitag in Saarbrücken im März wurden die politischen Ziele dann konkretisiert. Die Grünen forderten forsch die sofortige Auflösung von NATO und Warschauer Pakt, die allseitige Abrüstung und den sofortigen Verzicht auf Atomenergie. Wertkonservative Kräfte verließen die Partei, die Basisdemokraten gingen gestärkt hervor.
Im selben Jahr traten die Grünen bei den Bundestagswahlen an. Mehr als magere 1,5 Prozent der Stimmen waren nicht drin. In Baden-Württemberg lief es schon besser. Dort schickten die Grünen immerhin sechs Abgeordnete in den Landtag. Doch bis zum bundespolitischen Durchbruch vergingen drei Jahre: Bei den Bundestagswahlen 1983 kam die Öko-Partei auf 5,6 Prozent. 27 links-alternative Abgeordnete saßen nun im Parlament und brachten - nicht nur optisch, durch selbst gestrickte Pullover, pralle Bärte und zottelige Haare - eine andere Farbe in das hohe Haus.