Aus den Ergebnissen transkultureller Untersuchungen, aus geschichtlichen Dokumenten und aus archäologischen Funden lässt sich entnehmen, dass psychotrope Substanzen in praktisch allen Gesellschaften, sowohl in solchen mit einfachen Technologien als auch in den komplexesten, bei gesellschaftlichen Anlässen und zu Genusszwecken verwendet wurden, unabhängig von der Epoche, der Religion oder der politischen Struktur.
Vor allem Alkohol, Tabak und Kaffee sind weltweit verbreitet. Darüber hinaus haben viele andere Drogen große Bedeutung in verschiedenen Kulturkreisen erlangt (zum Beispiel: Cannabis, Opiate, Psychopharmaka). Andere Drogen sind nur in ihren Ursprungsgebieten in Gebrauch und ihre Verbreitung ist regional begrenzt (Kat, Betel, Kawa) beziehungsweise im Zuge von kulturellen Kontakten und Unterwerfungen stark zurückgegangen (zum Beispiel: Fliegenpilz, Bilsenkraut). Die Vielzahl der vorhandenen Drogen und ihre unterschiedliche Verbreitung zeigen, dass heute in allen Kulturen eine Drogenvielfalt herrscht und dass das Drogenangebot nicht gleichmäßig genutzt wird, also nicht alle in einer Kultur bekannten Drogen die gleiche Attraktivität besitzen.
Die meisten der heute angebotenen Stoffe sind Importdrogen, denn die weltweiten Kontakte und Handelsbeziehungen haben zu einem verstärkten Austausch von Rauschmitteln geführt. Deutlichstes Beispiel für die Verbreitung einer Importdroge ist der Tabak. Bis zur Entdeckung Amerikas im Jahr 1492 durch Kolumbus war Tabak als Pflanze nur auf diesem Kontinent verbreitet. Anfang des 16. Jahrhunderts gelangte die Pflanze nach Spanien und Portugal und verbreitete sich von dort aus schließlich über ganz Europa und im 17. Jahrhundert in die ganze Welt, so dass Tabak nun schon seit mehreren Jahrhunderten weltweit benutzt wird.
Bemerkenswert ist insgesamt die außerordentliche Diffusionsgeschwindigkeit von Rauschmitteln, welche jene anderer Innovationsgüter deutlich übertrifft. Die bereitwillige Annahme neuer Drogen erfolgt auch gegen den Widerstand staatlicher oder kirchlicher Institutionen.
Die Einführung neuer Drogen ist mit der Entdeckungsgeschichte der außereuropäischen Welt eng verbunden. Vor allem europäische Kolonialmächte hatten häufig ein starkes wirtschaftliches Interesse an Anbau und Verbreitung dieser neuen "Cash-Crops". Die meisten außereuropäischen Kulturen hatten allerdings schon vor dieser Kontaktgeschichte eigene Drogen in Gebrauch. Lediglich der Lebensraum der Inuit erlaubte keine eigene Drogenproduktion.
Da die Verwendung von Drogenpflanzen bis in prähistorische Zeiten zurückreicht, sind die Anfänge des Drogenkonsums heute kaum noch auszumachen. Als älteste Drogen gelten Alkohol und Cannabis, aber schon die Verwendung von Fliegenpilzen wird auf mindestens 7.000 Jahre zurückdatiert.
Bei allen Unterschieden zwischen den Wirkungsweisen der Drogen verschiedener Substanzklassen wie Alkoholika, Opiate, Kokain, Cannabis, Halluzinogene, Kaffee, Valium oder Zigaretten wirken doch alle Drogen auf das Bewusstsein und die psychische Befindlichkeit. Die empfundene Wirkung ist dabei nicht allein von der Pharmakologie der verwendeten Substanzen, sondern auch von verschiedenen inneren und äußeren Faktoren (Set und Setting) abhängig. Drogenwirkungen variieren je nach biologischen, sozial-interaktiven und kulturellen Faktoren. Unterschiedliche kulturelle Konzepte haben viele verschiedene Formen von Drogenkonsum hervorgebracht, die zeigen, dass der Gebrauch verschiedene wichtige Funktionen in persönlichen und gesellschaftlichen Bereichen erfüllt. Um zu verstehen, warum Drogenkonsum eine so große Attraktivität besitzt, ist es hilfreich, die Funktionen von Drogenkonsum kennenzulernen.
Drogenkonsum kann zu einer Steigerung des genussvollen Erlebens beitragen: Er hat hedonistische Funktionen: Dabei kann eine alltägliche Verwendung als Genussmittel gemeint sein oder eine sporadische rauschhafte Ekstase. Hedonistische Funktionen von Drogenkonsum sind aber nicht in jedem Fall gegeben. Vor allem Neulinge müssen oft erst lernen, einen Rausch zu geniessen. Auch Abhängige erleben kaum noch Vergnügen beim Konsum, sondern versuchen Entzugssymptome zu vermeiden. Hier zeigt sich der Januskopf der hedonistischen Funktion: Genuss führt zur Abnutzung und verlangt nach neuen "Thrills".
Identitätsbildende und gruppenstärkende Funktionen von Drogenkonsum sind besonders verbreitet. Die Ausübung und Darstellung von Rollenidentität wird vereinfacht. Gemeinsamer Drogenkonsum markiert Gruppenzugehörigkeit, steigert das Wir-Gefühl und schafft Solidarität weit über den Rausch hinaus. Vor der Entwicklung entsprechender synthetisch hergestellter Pharmazeutika hatten Drogen unerlässliche medizinische Funktionen. Dies gilt insbesondere für Opiate als Schmerzmittel, aber für alle psychotropen Pflanzen sind indigene Rezepte für medizinische Anwendungen bekannt.
Religiöse Funktionen von Drogenkonsum sind dann gegeben, wenn durch den Rausch beziehungsweise die Opfergabe das subjektive Empfinden des Kontaktes oder der Kommunikation mit einer spirituellen Welt entsteht. Auch wenn in den modernen Hochreligionen solche Formen der spirituellen Belehrung und Erbauung abgelehnt werden, spielen sie doch in verschiedenen archaischen, klassischen und auch zeitgenössischen Gruppierungen eine maßgebliche Rolle.
Drogenkonsum hat ökonomische Funktionen, indem er kommerzielle Profite für Produzenten, Händler und Mittelsmänner schafft. Legale Drogen sorgen für fiskalische Einnahmen von erheblicher Höhe. Bei illegalen Drogen sind die wirtschaftlichen Funktionen besonders offensichtlich mit politischen Funktionen verknüpft, denn Illegalität macht Drogen teuer, und die erwirtschafteten Schwarzgelder werden häufig in andere illegale Geschäfte investiert. Insbesondere der Zusammenhang zwischen Drogen- und Waffenhandel beziehungsweise Unterhalt von Armeen und die Finanzierung terroristischer Aktivitäten sind aus vielen Krisenregionen bekannt. Die wirtschaftlichen und politischen Funktionen des Drogenkonsums werden in der Regel nicht von den Konsumenten genutzt, sondern eher von anderen, welche die Konsumenten als Einnahmequelle entdeckt haben. Die wirtschaftspolitischen Möglichkeiten der Ware Droge werden vermutlich auch in Zukunft dafür sorgen, dass ein entsprechender Absatzmarkt bestehen bleibt.
Bis ins 16. Jahrhundert war Drogenkonsum anscheinend vielerorts ein integraler Bestandteil des religiösen und kulturellen Lebens. Die soziale Kontrolle der Gemeinschaft, der Respekt vor der spirituellen Kraft der Substanz oder auch reduzierter Zugang haben suchthafte Konsummuster weitgehend verhindert. Mit aufkommender Dominanz des Christentums wird religiöser Drogenkonsum dämonisiert und verboten. Gleichzeitig beginnt die Kosmopolitisierung und Industrialisierung von Drogen als Handelswaren. Dieser Prozess ist im Zuge einer stufenweisen Globalisierung bisher nicht abgeschlossen.
Die Geschichte der Sucht in Europa und Nordamerika kann grob drei Phasen unterschieden werden:
Dass Drogen suchtauslösend sein können, wurde zuerst für Alkohol (1772), später für Morphium (1873) und Kokain (1880er-Jahre) entdeckt. Ausschlaggebend für diese "Entdeckungen" war die Neuentwicklung des Branntweins, der, genau wie später Morphium und Kokain eine chemische Aufarbeitung zur Potenzierung der ursprünglichen Wirkung darstellt. Auch die miserablen Lebensbedingungen vieler Industriearbeiter (zeitweilig wurde der Lohn auch in Branntwein ausbezahlt) in Europa sowie der Unterworfenen in den Kolonien und die zahlreichen Kriege trugen zu einer Ausbreitung suchthafter Konsummuster mit Ventil- und Kompensationscharakter bei.
In zahlreichen Kulturen außerhalb des euro-amerikanischen Kulturkreises kam die Bekanntschaft mit Sucht zusammen mit den frühen Kolonialkontakten. Eine Entsprechung zu europäischen Phasen der Suchtentwicklung könnte unterscheiden zwischen: vorkolonialer Phase (Drogenkonsum im religiösen und sozial-interaktiven Rahmen wird als normales Verhalten akzeptiert); kolonialer Phase (erzwungene Übernahme christlicher Paradigmen, gleichzeitig massive Einfuhr neuer Drogen); moderner Phase (Übernahme westlicher medizinischer Paradigmen).
Allerdings kann nicht von einer vollständigen Übernahme "westlicher Werte" in Bezug auf Drogenkonsum ausgegangen werden.
Der Kulturhistoriker Rudolf Gelpke, der die Einstellungen zu Drogen im Orient und Okzident verglichen hat, konstatiert eine Geringfügigkeit der Unterschiede der außereuropäischen Hochkulturen gegenüber der modernen westlichen Zivilisation. Diese "Kultur des weißen Mannes" dominiere zunehmend die internationale Kulturlandschaft und führe zu einer puritanisch geprägten Einheitskultur, die durch ihre aggressive Dynamik auffalle. Insbesondere in der ablehnenden Haltung zu Rausch und Ekstase unterscheidet sich danach die westliche Kultur von den meisten anderen. Während andere Kulturen den Umgang mit veränderten Bewusstseinszuständen oftmals als Kontakt mit der spirituellen Welt von ihren Mitgliedern geradezu verlangen, wird dieser Bereich in der westlichen Welt tabuisiert und ausgeklammert. Erst diese Ausgrenzung und die damit verbundene Unkenntnis geeigneter Umgangsformen macht Drogen zu jenen Monstern, als die sie heute vielfach dargestellt werden.
Dr. Andrea Blätter arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) der Universität Hamburg.