Rund 46,5 Prozent der Verhafteten wurden wegen des Besitzes von Cannabis geschnappt. Mehr als die Hälfte der zwei Millionen Inhaftierten in den USA sitzen wegen Verstoßes gegen Drogengesetze oder in Zusammenhang mit Drogen begangener Straftaten. Die jährlich wegen Drogenmissbrauch angeklagten Täter beschäftigen insgesamt ganzjährig 400.000 Polizisten und nehmen die Hälfte der Gesamtzeit aller Gerichtsverfahren ein. Rund die Hälfte aller übrigen Straftaten werden zudem nach anonymen Aussagen von befragten Häftlingen ebenfalls unter Einfluss von enthemmenden Drogen verübt.
Entgegen landläufiger Auffassung sind die Drogenkonsumenten mehr Weiße als Afro-Amerikaner; sie beginnen rund zwei Jahre früher mit dem Einstieg. Allerdings werden mehr Afro-Amerikaner im Zusammenhang mit Drogenmissbrauch verurteilt und ins Gefängnis geschickt.
Schätzungen zufolge werden in den USA jährlich zwischen 50 und 100 Milliarden Dollar für illegale Drogen ausgegeben, bei sinkenden Marktpreisen und steigenden Festnahmen. Kokain zum Beispiel ist offenbar - dank der Nähe zu Lateinamerika - stets in mehr als ausreichender Menge vorhanden. Rund eine Million Amerikaner gelten als Kokainabhängig. Fünf Millionen rauchen regelmäßig Marijuana. Das ist, gemessen an der Gesamtbevölkerung, insgesamt eine relativ kleine Zahl von regelmäßigen Drogenkonsumenten. Bevorzugte Droge in den amerikanischen Großstädten ist "Crack-Kokain".
Drogenfachleute haben ausgerechnet, dass die pharmazeutischen Kosten zur Herstellung etwa von Kokain nur zwei Prozent des Marktpreises auf der Straße betragen. Ein Kokainsüchtiger braucht pro Woche etwa 1.000 Dollar zur Befriedigung seiner Sucht. Dafür stiehlt er oft Güter im fünffachen Wert, um sie dann unter Marktpreis so zu verkaufen, dass er auf seine 1.000 Dollar kommt. Ein enormer volkswirtschaftlicher Schaden. Befürworter der Freigabe von Kokain zum Herstellungspreis an Abhängige haben errechnet, dass ein Süchtiger für die gleiche Menge dann nur 20 Dollar benötigen würde. Doch darüber wird in den USA ernsthaft nur auf Websites oder auf Fachkongressen geredet.
Ein Großteil der Drogen in den USA wird gelegentlich konsumiert, mal zum "Ausprobieren" oder auf Partys. Es gibt aber viele Menschen, die illegale Drogen ihr ganzes Leben konsumieren - ohne dass es die Berufskarriere negativ beeinflusst. Insgesamt wird die Zahl jener, die in den USA mit illegalen Drogen "experimentieren" auf jährlich 80 Millionen geschätzt.
In Umfragen geben Amerikaner an, dass sie den Drogenmissbrauch nach der Arbeitslosigkeit als wichtigstes Gesellschaftsproblem einschätzen, da es nahezu jeder mit allgemeiner Kriminalität verbindet. Die erste Gesetzesvorlage gegen Drogenmissbrauch gab es in den USA bereits im Jahr 1914. Schon damals war der Zusammenhang zwischen Missbrauch und Kriminalität offenkundig. Die Rate an Schwerverbrechen ist seit 1965 um 480 Prozent angestiegen. Konnte man vor 50 Jahren noch problemlos um Mitternacht durch den Central Park von New York spazieren, ist dies seit Jahrzehnten ein selbstmörderisches Unterfangen geworden. New Yorker Drogenexperten haben ausgerechnet, dass eine Behandlung der Drogenabhängigen sieben Mal kostengünstiger ist als sie einfach einzusperren. Doch nur für rund die Hälfte der Drogensüchtigen gibt es Entziehungsplätze.
Allerdings können die USA in einem Drogenbereich einen hervorragenden Erfolg verzeichnen. Durch intensive Aufklärung schon im Kindergarten über die negativen Auswirkungen des Rauchens und durch eine nachhaltige gesellschaftliche Ächtung des Rauchens in der Öffentlichkeit ist der Tabakkonsum in den USA in den letzten beiden Jahrzehnten signifikant zurückgegangen. Diese Erfolgsstory zeigt, dass bei entsprechendem Einsatz aller zur Verfügung stehenden Erziehungsmittel ein bemerkenswertes Ergebnis erzielt werden kann, von dem Europa noch weit entfernt ist.
Nach dem drastischen Rückgang des Raucheranteils in den USA erhoffen sich nunmehr Drogenbekämpfungsexperten einen ähnlichen Erfolg bei harten Drogen. "Die Aufklärung über Drogen muss genauso wie über sexuellen Missbrauch bereits im Kindergartenalter beginnen", meint zum Beispiel David Landeryou, Direktor der Key Elementary School in Washington, D.C. "Was in diesem Alter nachhaltig vermittelt wird, hat eine hohe Chance, ein Leben lang haften zu bleiben", so Landeryou.
Ethan A. Nadelmann vom Lindesmith Center, einem New Yorker Institut für Drogen-Politik sieht einen ersten Erfolg. Seit den 80er-Jahren sei ein signifikanter Rückgang im Konsum von Marijuana und Kokain in den USA festzustellen, obwohl sich das Angebot dieser Drogen quantitativ erhöht habe. Dennoch sei eine total drogenfreie Gesellschaft eine Illusion. Es liege offenbar in der Natur des Menschen, sich Rauschmittel und Hallozinogene herzustellen und zugänglich zu machen. Deshalb sei es seiner Meinung nach nötig, nicht nur gegen Drogenkonsum zu erziehen, sondern auch zu lernen, mit Drogen und Drogensüchtigen umzugehen, und zwar so, dass sie am wenigsten Schaden für die Allgemeinheit anstellen können.
Ein namhafter Kritiker des 1986 erklärten "War on Drugs" ist Kurt Schmoke, einst langjähriger und erster schwarzer Bürgermeister von Baltimore, einer Hochburg von Afro-Amerikanern. Als erster Bürgermeister der USA wagte er es, die Freigabe illegaler Drogen zu favorisieren, um so den Drogenmarkt zu entkriminalisieren. Namhafte Mitglieder seiner eigenen Partei, der Demokraten, nannten ihn deshalb den "gefährlichsten Mann der USA". Noch heute fordert der engagierte Politiker ein Ende der "Zero Tolerance" und eine US-weite Debatte über den Umgang mit Drogen. Diese Debatte wird tatsächlich USA-weit geführt, allerdings außerhalb der offiziellen politischen Kreise.
Doch nicht nur Wissenschaftler und Lokalpolitiker, sondern vor allem eine steigende Zahl an Polizisten fordern ein Umdenken in der amerikanischen Drogenpolitik, die nun seit fast 30 Jahren keinen nennenswerten Erfolg verzeichnet. Joseph D. McNamara, einst Polizeipräsident von drei der größten Städte der USA, machte auf einem Symposium der Princton Universität klar: "Solange eine bestimmte Menge Heroin oder Kokain im Herstellungsland 500 Dollar kostet und im Endabnahmeland USA 100.000 Dollar, wird die Polizei im Kampf gegen Drogen stets das Nachsehen haben." Aber es gibt auch andere Polizisten, deren stramme Haltung in der Öffentlichkeit Beifall findet. Jene, die tatsächlich glauben, dass sie sich in einem Krieg befinden. Die Gegner sind die Dorgedealer.
So lief vor einigen Jahren ein Statement des einstigen Polizeipräsidenten von Los Angeles, Daryl Gates, durch die amerikanische Presse: Er sagte vor dem US-Senat, dass seiner Meinung nach Drogenkonsumenten erschossen werden sollten. "Wir sind in einem Krieg, nicht wahr?" untermauerte er seine Haltung.
Weil solche Äußerungen keine Einzelfälle innerhalb des Polizeiapparates darstellen, sondern weit verbreitet sind, kommt es immer wieder zu Polizeiskandalen und Vorwürfen: dass Polizisten Drogendealer schwer misshandeln, ausrauben, töten. Wenn nicht zufällig das Video-Band eines Dritten solche Polizeiexzesse dokumentiert, werden die Übergriffe der "Polizisten an der Front" von ganz oben gedeckt.
Da wird im Übereifer ein 75 Jahre alter Schwarzen-Prediger in Boston von einem bis an die Zähne bewaffneten Überfallkommando verhaftet, weil ein Informant der Polizei einen falschen Tipp gab. Der Prediger stirbt vor Aufregung an einem Herzinfarkt. Ein Rancher in Californien wird bei einem ähnlichen Polzeieinsatz erschossen. Ihm war vorgeworfen worden, er baue Marijuana an. Der Vorwurf erwies sich als falsch, doch der Mann war tot.
Außerdem stellen für eine Reihe von Polizeibeamten die riesigen Mengen an sichergestellten Drogen und Drogengeldern selbst oft genug eine Versuchung dar. Dabei ist der Umfang der kriminellen Energie innerhalb der amerikanischen Polizeibehörden ebenso verblüffend wie seine Reichweite. In New Orleans hat eine Polizistin ihre Kollegin erschossen, um einen befreundeten Drogendealer zu schützen. In Washington, D.C., Atlanta und in den Neu-England-Staaten wurden ermittelnde Polizisten verhaftet, weil sie selbst konfiszierte Drogen aus dem Polizeischrank stahlen und außerdem Bestechungsgelder annahmen. All diese Vorfälle werden billigend als "Kollateralschäden" in Kauf genommen. Sie ändern an der grundsätzlich harten Haltung gegenüber Drogendealern und -abhängigen gar nichts. Der "War on Drugs" geht weiter.
Josef-Thomas Göller war lange Jahre USA-Korrespondent für "Das Parlament".