Das Parlament: Herr Dadfar Spanta, wie wichtig sind die Parlamentwahlen in Afghanistan für die Demokratisierung des Landes?
Dadfar Spanta: Diese zweiten Wahlen, nach der Präsidentschaftwahl im vergangenen Jahr, sind eine wichtige Etappe auf dem Weg zu einem selbständigen Afghanistan. Ich sage aber auch ganz klar: Der Weg ist noch nicht unumkehrbar. Die Befriedung des Landes kann immer noch scheitern. Zum einen an der terroristischen Gefahr, zum anderen an der verbreiteten Schattenwirtschaft, den darin involvierten Drogen-Bossen, die an Recht und Gesetz vorbei persönliche Interessen zum Schaden des Landes verfolgen.
Das Parlament: Was heißt das für die Politik der Terrorismus- und Drogenbekämpfung?
Dadfar Spanta: Die Bekämpfung der Drogenwirtschaft ist nicht allein ein Sicherheits-, sondern vor allem ein gesellschaftliches Problem. Man muss den Bauern konkrete Alternativen in der Landwirtschaft aufzeigen. Das ist noch nicht in ausreichendem Maß geschehen. Solange zudem aus dem Ausland Reis und Weizen als Hilfsgüter weiter importiert werden, wird es afghanischen Bauern schwer gemacht, auf dem heimischen Markt konkurrenzfähig zu sein. Präsident Karsai hat das im Kabinett und gegenüber der internationalen Staatengemeinschaft wiederholt kritisiert. Was die terroristische Bedrohung angeht, sind wir dankbar und brauchen die Hilfe der Koalitions- und ISAF-Kräfte im Land. Die Ausbildung der afghanischen Armee und Polizei geht zwar gut voran, aber wir sind noch nicht in der, Lage die Probleme im Inneren und an unseren Außengrenzen aus eigenen Kräften zu bewältigen. Das wird noch einige Zeit dauern.
Das Parlament: Deutschland hat eines der größten militärischen Kontingente in Afghanistan, beteiligt sich aber mit seinen Bundeswehrsoldaten nicht aktiv an der Drogenbekämpfung. Was ist ihre Position dazu?
Dadfar Spanta: Zur Jahreswende wird die NATO eine vereinbarte Neuaufteilung der Zuständigkeiten in Afghanistan vornehmen. Deutschland wird dann für weite Teile im Norden des Landes zuständig sein. Dabei kann es immer zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommen, auch mit Drogen-Bossen. Wenn geschossen wird, was wollen sie da machen? Zusehen? Ich denke, Deutschland wird dann um eine aktivere Rolle nicht herumkommen.
Das Parlament: Das Wahlrecht garantiert keine repräsentative Darstellung des Wählerwillens und ist von UN- wie EU-Vertretern als ungenügend kritisiert worden. Auch stehen viele Kandidaten, die nach wie vor mit bewaffneten Milizen in Verbindung gebracht werden, auf dem Wahlzettel. Warum ist es nicht gelungen, das zu verhindern?
Dadfar Spanta: Präsident Karsai hat sich gegen den Rat vieler, auch gegen meinen Rat, für ein Wahlsystem entschieden, das einzelnen Personen statt Parteien den Vorrang gibt. Das hat mit dem Erbe aus der sowjetischen Zeit zu tun, und der Rolle, die islamische und islamistische Parteien bei der Zerstörung des Landes in der Vergangenheit gespielt haben. Es ist auch etwas Populismus dabei. Statt starker Parteien werden wir aller Voraussicht nach im künftigen Parlament - der Wolesi Jirga - eine Ansammlung von Einzelinteressen haben. Die Gesetzgebung und die Mehrheitsfindung werden dann in Hinterzimmern vorbereitet werden und von Gefälligkeiten bestimmt sein. Ich halte das nicht für die beste Lösung. Was die zweifelhaften Kandidaten angeht: Karsai verfolgt seit längerem eine Politik, die darin besteht, möglichst viele politische Kräfte mit ins Boot zu nehmen, anstatt sie außen vor zu lassen. Er will damit einen möglichst breiten Konsens erreichen.
Das Parlament: Wie erfolgreich ist die internationale Staatengemeinschaft bei der Demokratisierung des Landes bisher ?
Dadfar Spanta: In Afghanistan hat 1919 mit König Amanullah eine Modernisierung eingesetzt, deren Auswirkungen - trotz aller Rückschläge - bis heute spürbar sind. Es gibt Werte und Menschenrechte, die ohne Zweifel universelle Gültigkeit besitzen, auch und gerade für Frauen, und deren Umsetzung werden wir weiter verfolgen müssen. Ich setzte mich dafür ein und, die neue Verfassung Afghanistans tut das auch. Natürlich ist unser Land in mancherlei Hinsicht rück-ständig. Im Süden beispielsweise geht es in manchen Gegenden konservativer zu als im konservativen Saudi-Arabien, in den Städten aber geht es vielfach freier zu als dort, auch, was Frauen angeht. Ich denke, eines Tages werden wir in Afghanistan eine Demokratie westlicher Prägung haben. Ich selbst werde das vielleicht nicht mehr erleben, aber meine Kinder. Die Jakobiner zur Zeit der französischen Revolution haben die demokratischen Früchte ihrer Anstrengungen auch nicht selbst ernten können.