Kaum etwas von dem, was Regierung und Opposition sich am 7. September im Plenum gegenseitig vorzuwerfen hatten, war nicht schon längst auf unzähligen Wahlkampfauftritten auf den Marktplätzen der Republik verkündet worden - und entsprechend routiniert wurden die Reden gehalten. Der Ton nahm an Schärfe jedoch deutlich zu. Schröder attackierte seine Herausforderin während seiner 45-minütigen Regierungserklärung hart und warf ihr vor, einen "völlig verkehrten Weg" einzuschlagen. Die von der Union geplante Senkung der Ökosteuer bei einer gleichzeitigen Erhöhung der Mehrwertsteuer sei ein "riesiger Betrug" - und auch die Darstellung der Arbeitsmarktstatistiken durch die Union im Wahlkampf sei eine Fälschung und verlogen. Das geplante Steuermodell des CDU-Finanzexperten Paul Kirchhof sei "in einer Weise sozial ungerecht, die kaum noch zu überbieten ist".
Kanzlerkandidatin Angela Merkel konterte Schröders Ausführung mit dem Vorwurf, es sei dem Regierungschef "nicht einmal im Ansatz gelungen", ein Konzept für die Zukunft aufzuzeigen, vielmehr sei Rot-Grün "grandios gescheitert". Die Regierung habe es in den vergangenen Jahren nicht vermocht, die Arbeitslosigkeit zu senken oder Bürokratie abzubauen. Schröder habe seine Chance gehabt - sei aber an seiner Partei, sich selbst und seiner Wahrnehmung der Realität gescheitert. Die Union hingegen werde Deutschland einen Neuanfang ermöglichen. Merkel betonte auch, sie werde sich nicht "davon abbringen lassen", dass eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU falsch sei. Eine Haltung, die ihr scharfe Kritik von Außenminister Joschka Fischer einbrachte: Damit "versündige" die Herausforderung sich "an den Sicherheitsinteressen Europas und Deutschlands". Merkel habe nicht den "kühlen Kopf" und "die Fähigkeit zur Analyse", die sie als Kanzlerin bräuchte. Merkel werde am 18. September die "Mehrheit nicht bekommen", denn man werde klarmachen, dass "ökologische und soziale Erneuerung" die Alternative zu "einer Politik der kalten Herzen und der Systemveränderung von rechts" seien.
Auch FDP und CSU warfen der Regierung Versagen vor. FDP-Chef Guido Westerwelle bilanzierte, Gerhard Schröder habe das Land "schlecht regiert". Auch sein Finanzminister Hans Eichel, von Westerwelle als "der Lehrer aus Kassel" bezeichnet, sei gescheitert - während "der Professor aus Heidelberg" es "in jedem Falle besser machen" werde. CSU-Chef Edmund Stoiber dankte Gerhard Schröder dafür, dass er dem Land ein Jahr Rot-Grün "erspart" habe. In den sieben Jahren seiner Regierungszeit habe er viele Versprechen gemacht und gebrochen. Er habe immer wieder Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit angekündigt und erklärt, Deutschland habe die Talsohle durchschritten - die Menschen seien diese "Täuschungen" leid. Die einzige Alternative sei nun Schwarz-Gelb. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement warf der Opposition vor, sie brauche das "Krisengerede" für den Wahlkampf. Doch damit sei Schluss: "Die Situation bessert sich und die Bürgerinnen und Bürger nehmen offensichtlich wahr, dass sie sich ändert."
Die unterschiedlichen Einschätzungen spiegelten sich auch in den Anträgen der Fraktionen, über die am Ende der Debatte abgestimmt wurde: Während der - angenommene - Antrag von SPD und Grünen den optimistischen Titel trug "Deutschland auf Wachstumskurs halten, die soziale Erneuerung fortsetzen, standhaft für den Frieden - für mehr Arbeit, Sicherheit und Menschlichkeit", waren die - abgelehnten - Anträge der Opposition mit "Sieben Jahre Rot-Grün - Deutschland braucht den Neuanfang" und "Ehrliche Abschlussbilanz als grundlage einer neuen Politik für Wachstum, Arbeit und Sicherheit" überschrieben.