Zwar informierte der Bahnchef Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee über seine Pläne, nicht aber den rot-roten Senat unter dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Als die Umzugspläne bereits publik waren, kam er dem Gesprächswunsch von Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) nach, während Klaus Wowereit per Telefon alle möglichen Sozialdemokraten in der neuen Bundesregierung anrief, um Mehdorns Umzugsplan zu stoppen. Nicht ganz erfolglos. Nach dem Nein der Bundesregierung aus "strukturpolitischen Gründen" erklärte Wowereit: "Berlin bleibt der am besten geeignete Standort für die Zentrale der Bahn."
Am Potsdamer Platz ist die Bahnzentrale nur Mieter. Der Mietvertrag läuft 2010 aus. Außerdem ist dem Bahnvorstand sowohl die Miete zu hoch als auch der Arbeitsplatz zu klein geworden. Denn von den 20.000 Bahn-Arbeitsplätzen in Berlin und Umgebung, womit die Bahn der größte Arbeitgeber in der Bundeshauptstadt ist, entfallen rund 1.000 auf die Hauptverwaltung. Und für diese sucht Mehdorn schon seit längerem eine neue geeignete Bleibe.
An Möglichkeiten mangelt es freilich nicht. Da ist zum einen der neue Hauptbahnhof mit seinen Bürotürmen. Aber auch am Nordbahnhof (einer S-Bahnhaltestelle) verfügt die Deutsche Bahn über reichlich Grundstücke, auf denen sich jederzeit eine neue Bahnzentrale errichten ließe. Doch offensichtlich fühlt sich Mehdorn in der Bundeshauptstadt nicht mehr wohl und strebt deshalb nach Hamburg.
Hamburger Hafen und Hochbahn kann Mehdorn gut gebrauchen, um aus dem noch 100-prozentigen Bundesunternehmen einen der größten Logistiker der Welt zu machen. Doch diesmal scheint er den Bogen mit den Berlinern überspannt zu haben. Auch wenn er nach wie vor verkündet, die Verhandlungen seien ja noch gar nicht abgeschlossen und erst im Frühjahr 2006 wisse man Näheres über den endgültigen Standort der DB-Zentrale. Aber an dem Nein des Bundeskabinetts wird er nicht vorbeikommen.
Bei den jüngsten Auseinandersetzungen zwischen dem Senat und der Deutschen Bahn AG darf nicht übersehen werden, dass Berlin mit einer Arbeitslosenquote von mehr als 18 Prozent auf jeden Arbeitsplatz angewiesen ist. Außerdem steht der Regierende Bürgermeister unter dem starken Druck der Opposition im Abgeordnetenhaus. CDU, FDP und Grüne werfen dem rot-roten Senat vor, nicht genügend für die Ansiedlung neuer Unternehmen zu tun. Schließlich kann Berlin nicht nur von seiner Hauptstadtfunktion leben. Dafür sind zu viele industrielle Arbeitsplätze nach der Wende weggefallen, nämlich weit mehr als 200.000.
Für den Chef der CDU im Berliner Abgeordnetenhaus, Nicolas Zimmer, handelt es sich bei dem zunächst einmal durch die Bundesregierung beigelegten Streit um einen "Warnschuss". Er ist überzeugt ist, dass das Nein der Bundesregierung allein der neuen Bundeskanzlerin Angela Merkel zu verdanken sei. Diese aber sei nicht immer zur Stelle, wenn der Regierende Bürgermeister Fehler mache. Soll heißen, die Opposition wirft Wowereit und dem Senat vor, sich nicht genügend um die Firmen zu kümmern, die in Berlin ansässig sind oder für einen Umzug an die Spree zu gewinnen seien. Für Volker Ratzmann von den Grünen im Berliner Landesparlament befindet sich der Senat nicht am "wirtschaftspolitischen Puls der Zeit".
Der Vorsitzende der FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Martin Lindner, zeigt sich entsetzt, wie der Regierende Bürgermeister mit einem großen Unternehmen wie der Bahn umgehe, und für die CDU ist das Verhältnis zwischen Landesregierung und Bahn "zerrüttet", was schnellstmöglich aber wieder in Ordnung gebracht werden müsse. Die SPD sieht das freilich alles ganz anders. Sie habe alles getan, um die Bahn in Berlin zu halten.