Während des Zweiten Weltkriegs wurden etwa zwölf Millionen Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt. Sklavenarbeit habe eine gesellschaftliche Dimension besessen, sagt Ulrich Herbert, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Freiburg. Die Beschäftigung von ausländischen Zwangsarbeitern beschränkte sich aber nicht nur auf Großbetriebe, "sondern erstreckte sich von der Verwaltung auf die gesamte Wirtschaft, vom Kleinbauernhof bis hin zur Reichsbahn, den Kommunen und Rüstungsbetrieben, aber auch den privaten Haushalten, die eines der mehr als 200.000 begehrten sowjetischen Hausmädchen einsetzten".
Gleichwohl waren es vor allem Großbetriebe, die von der Zwangsarbeit finanziell profitierten. 55 Jahre mussten vergehen, bis es für die überlebenden Opfer zu einer individuellen Entschädigung kam. Auf Initiative der rot-grünen Bundesregierung wurde im Jahr 2000 die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" gegründet. Die Bundesrepublik und Vertreter der deutschen Wirtschaft verpflichteten sich, zu gleichen Teilen insgesamt 5 Milliarden Euro aufzubringen, wenn im Gegenzug dauerhaft Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen in den USA gegen Schadensersatzklagen hergestellt würde. Später wurde der Anteil der Wirtschaft um weitere 50 Millionen Euro aufgestockt.
Anfangs wurde die Stiftung in der Öffentlichkeit unter anderem von den Opferverbänden heftig kritisiert. Doch mittlerweile ist davon nichts mehr zu lesen oder zu hören. Hans-Otto Bräutigam, derzeit Vorstandsvorsitzender der Stiftung, erklärt das mit der öffentlichen Wahrnehmung: Viele dächten, "das läuft doch alles ganz gut. Die Sache ist unter Dach und Fach, es ist jetzt nur noch eine Abwicklung."
Bis heute sind rund 6.500 Unternehmen der Stiftungsinitiative der Wirtschaft beigetreten. Anfänglich ließen sich jene 2,5 Milliarden Euro nur quälend langsam einsammeln, zu deren Einzahlung in den Stiftungsfond sich die deutsche Wirtschaft verpflichtet hatte. Und das, obwohl die Gelder steuerlich abzugsfähig waren. Vergessen, verdrängen und abwiegeln, so lautete jahrzehntelang die Devise deutscher Unternehmen, wenn es um Ansprüche ehemaliger Zwangsarbeiter ging.
Spät, aber nicht zu spät, habe sich in den Vorstandsetagen ein Sinneswandel eingestellt, bilanziert Bräutigam rückblickend und betont, dass es dafür durchaus des Drucks von außen bedurft habe. Allerdings habe die Stiftungsinitiative von sich aus richtigerweise entschieden, "dass die Firmen, die sich nicht beteiligen, nicht veröffentlicht und an einen Pranger gestellt werden".
Seit Sommer 2000 arbeitet die Bundesstiftung, und sie tut das weitgehend geräuschlos. Bis heute hat sie etwa 4,3 Milliarden Euro an ihre Partnerorganisationen in Polen, Russland, Tschechien, Weißrussland und der Ukraine sowie an die Jewish Claims Conference und die Internationale Organisation für Migration ausgezahlt.
Entschädigt wurden über 1,6 Millionen ehemalige Zwangsarbeiter aus rund 80 Ländern. Ihr Alter liegt heute zwischen 60 und 100 Jahren, das heißt auch diejenigen, die während der NS-Herrschaft Kinder waren und zur Zwangsarbeit gezwungen wurden, haben finanzielle Hilfen erhalten. Darunter die größte Gruppe der osteuropäischen Zwangsarbeiter, vor allem aus Polen, der Ukraine und aus Russland. Gerade sie hatte der NS-Staat und die deutsche Industrie am stärksten ausgebeutet. "Viele dieser alten Menschen leben in beschränkten sozialen Verhältnissen. Für sie ist es wie ein Lottogewinn, dass wir ihnen in ihrer bedrängten Lebenslage helfen", sagt Bräutigams Vorgänger Michael Jansen, der heute im Bundespräsidialamt tätig ist.
Nach Kriegsende wurden viele der Überlebenden in ihren Heimatländern nicht einmal als Opfer anerkannt. Die ehemalige Sowjet-union verdächtigte die Deportierten, Verräter gewesen zu sein. Viele Zwangsarbeiter vernichteten ihre Papiere - aus Angst, um nicht als Kollaborateure stigmatisiert zu werden. Das hatte zur Folge, dass viele Opfer zunächst nicht glaubhaft machen konnten, wann und wo sie Zwangsarbeit geleistet hatten. "Wir haben eine Nachweisproblematik", so Jansen. "Wir haben allerdings auch die gesamte Spannbreite der Möglichkeiten, das Schicksal zu belegen etwa durch Zeugenaussagen."
Die Dauer der Zwangsarbeit habe für die Höhe der Entschädigung keine Rolle gespielt, ebenso wenig die heutige soziale Stellung. Ob mehr Frauen als Männer Entschädigungsanträge gestellt haben, das ließe sich, so Bräutigam, derzeit noch nicht feststellen.
Ingesamt hat die Stiftung zwischen zwei Gruppen von Sklavenarbeitern unterschieden: Zum einen KZ-Häftlinge, die während der Haftzeit Zwangsarbeit leisten mussten, vor allem in Auschwitz. Sie bekamen die Höchstsumme von 7.500 Euro Entschädigung. Und es gab jene, die aus den okkupierten Ländern nach Deutschland verschleppt wurden. Sie erhielten einen Betrag von 2.500 Euro.
Die Gelder hätten bislang auch die richtigen Empfänger erreicht, das habe die Stiftung regelmäßig prüfen lassen, wie Bräutigam hervorhebt. Die von Kritikern befürchteten Betrügereien habe es nicht gegeben. Insgesamt sei die Stiftung so schnell und unbürokratisch wie möglich vorgegangen. Was man auch daran erkenne, dass nur fünf Prozent der Leistungsberechtigten Erben bereits verstorbener Zwangsarbeiter seien. Nicht abgerufene Gelder, beispielsweise weil es keine Erben mehr gibt, werden den Partnerorganisationen für soziale Zwecke zur Verfügung gestellt.
In diesen Tagen soll die Verteilung der finanziellen Mittel abgeschlossen sein. Man müsse aber darauf hinweisen, dass es sich bei den Geldern nicht um Wiedergutmachungsleistungen oder Entschädigungen im Sinne eines Rechtsanspruches handle, sondern um "freiwillige Zahlungen", so Bräutigam. Jahrzehntelang hatten sich Unternehmensvorstände erfolgreich geweigert, individuelle Entschädigungen an die überlebenden Opfer zu zahlen - mit der Begründung, man sei zur Beschäftigung von Zwangsarbeitern gezwungen worden. Von daher hätte nur die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolgerin des NS-Staates finanzielle Wiedergutmachung leisten können.
Neben der finanziellen Hilfe kümmert sich die Stiftung in einem Zukunftsfond auch um die Begegnung ehemaliger Zwangsarbeiter mit deutschen Schülern oder die Betreuung von NS-Opfern. Es gibt Stipendienprogramme, die den Nachfahren verstorbener Zwangsarbeiter Auslandsaufenthalte ermöglichen. Anfänglich wurde der Fonds als Werbeaktion der Industrie kritisiert, heute erfährt er vor allem durch die Partnerorganisationen breite Zustimmung.
Es habe Anfragen von Organisationen und Menschen aus der ganzen Welt gegeben, weiß Michael Jansen zu berichten. Es hätten sich Südafrikaner gemeldet, weil es deren Versöhnungspolitik zwischen Schwarz und Weiß angehe. Es gäbe Anfragen aus Chile, die den Umsturz von 1973 thematisierten, sowie Interesse von den nach wie vor weitgehend entrechteten mexikanischen Indios.
All das zeige doch, so Jansen, dass man die Stiftung außerhalb der Bundesrepublik als erfolgreiches Beispiel für das Ringen um Versöhnung wahrnehme.
Trotz der positiven Stiftungsbilanz bleiben grundlegende Fragen nach Gerechtigkeit und Kompensation: Kann es individuelle Gerechtigkeit durch finanzielle Wiedergutmachung geben? Kann ein neues Moped für die ukrainische Zwangsarbeiterin Kompensation sein für ein traumatisiertes Leben? Besteht die Gefahr seitens der Stiftung, die Entschädigung der Zwangsarbeiter sozusagen als eine schnöde Geldangelegenheit zu behandeln? Bedeutet das nicht auch eine Entweihung der Opfer? "Ja, die Gefahr besteht immer", sagt der Vorstandsvorsitzende Hans-Otto Bräutigam, "umso wichtiger ist es, dass eine solche Entschädigungsleis-tung mit einer aktiven und engagierten Erinnerungspolitik verbunden wird."
Bis heute waren und sind die Wiedergutmachungsleistungen der Bundesrepublik Deutschland beachtlich und historisch einzigartig. Und doch gehört es bis heute zur sozialen und psychischen Situation von ehemaligen Zwangsarbeitern, dass nicht auszugleichen ist, was ihnen widerfuhr. "Wer Opfer wurde, blieb es", schrieb einst der 1978 gestorbene Schriftsteller und Auschwitz-Überlebende Jean Améry. "Wer gefoltert wurde, blieb gefoltert."