Viel Rauch um nichts?
In vielen Nachbarländern gibt es ihn schon: einen umfassenden Nichtraucherschutz. Nach Spanien, Italien, Irland und Frankreich will nun auch Deutschland nachziehen. Doch herrscht Uneinigkeit: Wie weit soll das Rauchverbot gehen? Soll der blaue Dunst generell in der Öffentlichkeit und in Gaststätten verboten sein oder soll es Ausnahmen geben?
Nachdem sich die Koalitionsfraktionen bereits auf ein bundeseinheitliches Rauchverbot geeinigt hatten, hieß es dann, der Bund sei gar nicht zuständig. Das Streitgespräch mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Lothar Binding und dem Drogenbeauftragten der FDP-Fraktion Detlef Parr versucht Klarheit in die verworrene Lage zu bringen. Es stammt aus der aktuellen Ausgabe des Magazins BLICKPUNKT BUNDESTAG.
Blickpunkt Bundestag: Meine Herren, rauchen Sie?
Lothar Binding: Nein. Aber in meiner Jugend war ich zwölf Jahre lang Raucher.
Detlef Parr: Ich bin lange Jahre Leistungssportler gewesen und deshalb bin ich Nichtraucher.
Blickpunkt: Warum, Herr Binding, haben die Koalitionsfraktionen monatelang über einen umfassenden Nichtraucherschutz beraten, wenn der Bund offenbar verfassungsrechtlich gar nicht zuständig ist?
Binding: Es gibt höchst unterschiedliche Gutachten darüber. So halten die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages den Bund für zuständig, das Innenministerium ist gegensätzlicher Auffassung. Wir haben also eine sehr verworrene Gutachterlage. Leider ist es häufig so, dass immer dann, wenn ein Gesetz inhaltlich nicht gefällt, die Verfassungsfrage thematisiert wird, um so eine Regelung erst einmal wieder in Frage zu stellen.
Blickpunkt: Herr Parr, wie ist Ihre Meinung? Hat sich hier das Parlament blamiert?
Parr: Ja, man muss hier schon von einem dilettantischen Vorgehen sprechen. Da tagt eine Arbeitsgruppe wochenlang und die Vorschläge werden wegen verfassungsrechtlicher Bedenken einfach vom Tisch gewischt. Mit der Föderalismusreform war schon seit Juli eigentlich klar, dass das Gaststättenrecht nunmehr Landesrecht ist. So hat die Arbeitsgruppe nur Verwirrung gestiftet.
Blickpunkt: Wäre eine Aufsplitterung des Nichtraucherschutzes auf Länderebene denn überhaupt sinnvoll?
Binding: Nein. Niemand würde verstehen, wenn in einem Dorf diesseits einer Landesgrenze völlig andere Regeln gelten als in der Gaststätte der nächsten Stadt jenseits dieser Grenze. Gesundheitspolitik und Arbeitsschutz sind bundesweite Themen. Wir fordern ja zu Recht gleiche Lebensbedingungen in Deutschland. Deshalb dürfen wir nicht in Bayern oder in Hamburg andere Gesundheitsmaßstäbe anlegen als anderswo. Sonst bekommen wir Arbeitnehmer erster und zweiter Klasse.
Parr: Die Frage nach der Bundeskompetenz besteht zu Recht. Denn der Bund kann eigentlich nur über die Arbeitsstättenverordnung agieren, ansonsten sind die Länder und Kommunen zuständig. Statt sich zu überheben, sollte der Bund eine Regelung favorisieren, die die Betroffenen selbst vornehmen. Das ist immer besser als ein Diktat von oben.
Blickpunkt: Immerhin hatten sich die Koalitionsfraktionen ja schon darauf geeinigt, nicht nur in allen öffentlichen Gebäuden, sondern auch in Gaststätten das Rauchen zu verbieten. Nur in Kneipen, Bars und wohl auch in Cafés sollte der blaue Dunst weiter erlaubt sein.
Binding: In der Tat sah es nach den Gesprächen mit den Fraktionsführungen und der Regierung sehr gut aus, dass es auch in Deutschland nun bald einen effektiven Nichtraucherschutz vor dem Passivrauchen geben wird. Ich finde, wir hatten einen sehr guten Kompromiss erzielt: Denn in vielen Bereichen - in Schulen, Universitäten, öffentlichen Gebäuden und Verkehrsmitteln und nun auch in Speisegaststätten und Diskotheken - sollte es ein Rauchverbot geben. Die Einbeziehung der Gastronomie ist deshalb so wichtig, weil dort ja nicht nur Gäste, sondern auch die Beschäftigten dauerhaft einem erhöhten Herzinfarkt- und Krebsrisiko durch Rauch ausgesetzt sind. Außerdem isst man ohne blauen Dunst einfach angenehmer. Ich bedauere, dass wir diese konsequente Überlegung hinsichtlich der Schankwirtschaften und Bierzelte nicht in gleicher Weise im Konsens erarbeiten konnten.
Blickpunkt: Herr Parr, wie ist die Haltung der Liberalen zum Nichtraucherschutz? Brauchen wir da eine neue Gesetzgebung?
Parr: Nein, ich bin da sehr skeptisch. Denn wir sind ja schon jetzt dabei, uns in Deutschland zu Tode durchzuregulieren und die bestehenden Gesetze zu vollziehen. Übrigens besteht in den meisten Bundesländern bereits ein Rauchverbot an Schulen, der Personennahverkehr ist so gut wie rauchfrei. Wir sollten doch zunächst die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten - wie über das Hausrecht - konsequent umsetzen. Ich bin mir mit dem Kollegen Binding durchaus einig, dass wir uns in Sachen Nichtraucherschutz noch stärker engagieren müssen. Worüber wir streiten, ist der Weg dahin. Wir Liberale sind der Meinung, wir sollten statt staatlicher Eingriffe lieber den Weg über Freiwilligkeit, Selbstverpflichtung und über Vereinbarungen gehen, wie sie ja schon der DEHOGA - der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband - mit dem Gesundheitsministerium getroffen hat. Hier sind auch die Gastronomen gefragt. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hat uns gerade wieder ins Stammbuch geschrieben: Nicht jedes Problem braucht ein Gesetz. Deshalb lieber Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung. Damit sind wir schon durchaus erfolgreich. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Seit Jahren gibt es einen Trend nach unten. Inzwischen raucht nur noch jeder Vierte.
Binding: Rauchen schadet aber nicht nur den Rauchern, sondern auch massiv jenen Menschen, die den Qualm ertragen müssen, den Passivrauchern, wie wir sagen. Diesen Menschen gegenüber haben wir eine besondere Verantwortung. Das gilt an erster Stelle denen, die ihren Arbeitsplatz in der Gastronomie haben; immerhin rund eine Million Arbeitnehmer - darunter circa 7.000 Schwangere -, die hier täglich den Gesundheitsgefahren des Passivrauchens ausgesetzt sind. Allein durch das Passivrauchen haben wir rund 3.000 Tote im Jahr. Hinzu kommen jährlich 130.000 Tote durch aktives Rauchen. Das sind doch erschreckende Zahlen!
Parr: Man kann Zahlen immer mit Zahlen und Studien mit Gegenstudien erwidern. Auf diese Diskussion sollten wir uns nicht einlassen. Hier geht es nicht um Gleichgültigkeit, sondern um verfassungskonformes Handeln. Man muss doch Bedenken von Verfassungsrechtlern ernst nehmen. Die Arbeitsgruppe sollte eigentlich in der Lage sein, Vorschläge zu machen, die nicht schon aus formaljuristischen Gründen scheitern.
Blickpunkt:Blickpunkt: In Gaststätten geht man freiwillig, um mit anderen zu kommunizieren. Muss da gleich der große Hammer des Rauchverbots geschwungen werden?
Binding: "Müsste" nicht. Wenn das vernünftige Miteinander wirklich freiwillig funktionierte, bräuchten wir keine neuen Regeln. Wir sehen aber, dass es eben nicht funktioniert. Das hängt damit zusammen, dass Rauchen eine Sucht ist und viele nicht mehr frei entscheiden können, ob sie in einem Moment rauchen oder nicht. Als Raucher denkt man zwar immer, man könne jederzeit aufhören. Aber darauf angesprochen, wird erwidert, nicht hier und jetzt, später, vielleicht ab morgen.
Parr: Warum warten wir die freiwillige Vereinbarung zwischen der DEHOGA und dem Gesundheitsministerium nicht ab? Diese Zielvereinbarung für mehr Nichtraucherschutz läuft 2008 ab, dann kann man vernünftig weitersehen. Also etwas mehr Geduld bitte! Ich verweise zudem darauf, was alles heute schon freiwillig geregelt ist: Flüge sind rauchfrei, viele Hotels haben rauchfreie Zimmer und Frühstücksräume, in der Bahn trinke ich Kaffee, ohne vernebelt zu werden - also vieles ist im Gang. Deshalb erscheint mir jetzt ein striktes und totales Rauchverbot unpassend zu sein.
Binding: Ich gestehe dem DEHOGA durchaus zu, sich anzustrengen, die mit der Regierung geschlossene Vereinbarung, in Gaststätten eine gewisse Anzahl von rauchfreien Plätzen zu schaffen, einzuhalten. Nur: Viele Gaststätten sind überhaupt nicht im DEHOGA organisiert. Und selbst, wenn der Dehoga zu hundert Prozent die Zielvorgabe erreichte, bliebe der Schutz der Menschen auf der Strecke: Jeder weiß, dass selbst dann unfreiwillig mitgeraucht wird, wenn in irgendeiner kleinen Ecke des Raumes gequalmt wird. Gase vermischen sich, der Rauch und der karzinogene Feinstaub verteilen sich im gesamten Raum. Man kann Nichtraucher- und Raucherplätze in einem Raum zwar vertraglich, aber nicht räumlich so trennen, dass der Gesundheitsschutz gewährleistet ist.
Blickpunkt: Aber ist nicht auch die geplante Unterscheidung von Gaststätten und Kneipen wirklichkeitsfremd? Wieso darf man in der Eckkneipebei Buletten und Kartoffelsalat weiter rauchen, beim Italiener um die Ecke aber nicht?
Binding: Sie haben Recht. Dieser Vorschlag im Kompromiss ist weder logisch zu erklären, noch mit den Zielen eines allgemeinen Gesundheits- oder Arbeitsschutzes vereinbar. Schon die Unterscheidung zwischen Restaurants und Eckkneipen ist in der Praxis schwierig, weil die Übergänge fließend sind. Es geht aber noch weiter: Nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift ist eine Gaststätte, in der es auch Brötchen und erwärmte Frikadellen gibt, eine Speisegaststätte; wenn nur Nüsse oder Salzstangen ausgegeben werden, ist es eine Schankwirtschaft. Solche praxisfernen Vereinbarungen sind dem Kompromiss zwischen meinen Vorstellungen und anderen, die am liebsten alles so lassen würden, wie es ist, geschuldet. Ich bin froh, dass wir uns wenigstens bei Diskotheken - für mich eine Tanzsportstätte - auf eine gute Lösung verständigen konnten. Denn in Diskotheken würden die Gifte besonders intensiv aufgenommen, weil man sich ja heftig bewegt.
Parr: Ein grundsätzliches Rauchverbot in Speisegaststätten lehne ich ab, denn es sollten auch in Speiserestaurants Entscheidungsmöglichkeiten für die Gastronomen und Wahlmöglichkeiten für die Gäste gegeben sein. So müssen bei ausreichender räumlicher Trennung Raucherbereiche möglich sein. Auch wirksame und effektive Belüftungsanlagen bieten weitere Möglichkeiten des Schutzes. In diesem Bereich des technischen Nichtraucherschutzes hat sich übrigens viel getan. Ein Ausnahmeregelung für Schankbetriebe finde ich eigentlich ganz vernünftig, denn so kann auch die "Eckkneipe" ihre Existenz sichern und im Übrigen hindert es ja keinen Kneipen- oder Bistrobesitzer, trotzdem eine rauchfreie Lokalität vorzuhalten. Problematisch sehe ich allerdings auch, wie eine Trennung zwischen Gaststätte und Kneipe kontrolliert werden kann. Deutschland darf nicht zum Schnüffelstaat werden.
Das Gespräch ist im Blickpunkt Bundestag Februar/2007 erschienen. Es moderierte Sönke Petersen.