Wortlaut der Reden
Bernd Reuter, SPD | Uwe Lühr, FDP >> |
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst dem Kollegen Schäfer sagen, daß er sich irrt, wenn er die Toskana-Fraktion anspricht. Auch hier gibt es keine klaren Verhältnisse. Auch die Toskana-Fraktion ist in dieser Frage gespalten, meine Damen und Herren. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Die Entscheidung des Parlamentarischen Rates, Bonn als Bundeshauptstadt festzulegen, vor allem jedoch die Entscheidung des Deutschen Bundestages am 3. November 1949 gegen Frankfurt/Main als Bundeshauptstadt habe ich als Neunjähriger mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Ich will nicht verschweigen, daß ich damals über diese Entscheidung als vor den Toren Frankfurts Geborener und Wohnender traurig war. Wir haben als Deutscher Bundestag heute eine Entscheidung im Lichte der Erkenntnis von mehr als vierzig Jahren Nachkriegsgeschichte zu treffen. Wer kann denn heute leugnen, meine Damen und Herren, daß wir eine völlig andere Situation als 1949 haben? Was die heute schon vielfach angesprochene Glaubwürdigkeit in der Politik anlangt, kann ich auch für viele Jüngere hier im Hause erklären, daß wir doch zu keiner Zeit irgendwelche Versprechungen abgegeben haben, die wir jetzt einzulösen hätten. Politik zeichnet sich auch dadurch aus, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß man bei besseren Einsichten zu einer Änderung der einmal eingenommenen Haltung kommen kann, in Situationen wie dieser ja sogar kommen muß. Gerade in der heute zu entscheidenden Frage sollten wir uns aber auch um Ehrlichkeit bemühen. Es ist doch sicher richtig, daß bis zum Fall der Mauer am 9. November 1989 kaum ein verantwortlich handelnder Politiker in der Bundesrepublik daran geglaubt hätte, daß er die Vereinigung der Bundesrepublik mit der DDR und West-Berlin noch erleben würde. Geglaubt hat es sicher kaum jemand. Einige haben es mit Sicherheit gehofft. Ich will aber auch erwähnen, daß es einige gibt, die damals andere Überlegungen hatten. (Unruhe) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Abgeordneter Reuter, darf ich kurz unterbrechen. Es ist sehr laut im Saal. Im Hintergrund finden kleine Stehrunden statt. Würden Sie bitte Platz nehmen, so daß sich der Redner verständlich machen kann. Bernd Reuter (SPD): Hieraus, meine sehr verehrten Damen und Herren, folgt die Tatsache, daß das Provisorium Bonn im Laufe der Jahre immer mehr zu einem endgültigen Parlaments- und Regierungssitz ausgebaut wurde. Ich kritisiere das nicht. Ich muß hier jedoch feststellen, daß viele, die sich heute so vehement für eine Verlegung des Parlaments- und Regierungssitzes nach Berlin aussprechen, hierfür in hohem Maße Verantwortung tragen. Ich nehme das Argument sehr ernst, daß wir den Menschen in den fünf neuen Bundesländern und auch in der ehemals geteilten Stadt Berlin bei der Bewältigung der Probleme helfen müssen. Was mir nur nicht einleuchten will, ist die Argumentation, daß eine Entscheidung heute, Bundesregierung und Bundestag in acht bis zehn Jahren nach Berlin zu verlegen, eine Signalwirkung zur Hilfe haben soll. (Beifall des Abg. Rudi Walther [Zierenberg] [SPD] sowie des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [FDP]) Ich habe kein Verständnis dafür, daß wir Milliardenbeträge für einen solchen Umzug ausgeben, die wir für diese Hilfe viel besser verwenden könnten. Über die Höhe dieser Summe möchte ich überhaupt nicht streiten. Nur habe ich während meiner Bonner Zeit eines erfahren: daß alles viel teurer wird als ursprünglich geplant und kalkuliert. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wer nachrechnen will, der soll sich einmal den Faktor Pi zu Gemüte führen: dann wird in Bonn alles 3,14mal teurer, als uns vorher erklärt wurde. Als Anhänger eines föderalen Aufbaus unserer Republik habe ich Angst vor einer riesigen Metropole, die, wie heute schon einige Male ausgeführt wurde, zu einer enormen Sogwirkung führen könnte, mit einer negativen Auswirkung auf die Regionen in unserem Land. Selbstverständlich nehme ich die Entscheidung der zwölf Bundesländer, die sich für Berlin ausgesprochen haben, ernst. Sie paßt allerdings nicht in allen Fällen zusammen mit der ständigen Klage dieser Länder über die von ihnen mitzutragenden Kosten der Einheit. Ihre Entscheidung für Berlin wäre glaubwürdiger, wenn sie auch beschlossen hätten, daß sie willens und bereit sind, dann dafür einen Kostenanteil für den Umzug zu übernehmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wer eine funktionierende Demokratie in unserem Lande will, muß sich heute zu einer Entscheidung durchringen, und zwar nicht zu einem faulen Kompromiß wie dem des Kollegen Geißler, der das Parlament auf eine schiefe Ebene bringt. (Zuruf von der CDU/CSU: Quatsch!) Ich will noch einmal den Art. 2 des Einigungsvertrages in Erinnerung rufen: Hauptstadt Deutschlands ist Berlin. Die Frage des Sitzes von Parlament und Regierung wird nach der Herstellung der Einheit Deutschlands entschieden. Diese Formulierung, meine Damen und Herren, habe ich damals so verstanden, daß ich mich heute in der Tat sowohl für Berlin als auch für Bonn aussprechen kann. Wer dabei von Verrat spricht, verläßt eigentlich die Basis unserer demokratischen Auseinandersetzung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, ich mache daraus kein Geheimnis. Ich spreche mich eindeutig für die Beibehaltung des Sitzes von Regierung und Parlament hier in Bonn aus. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Uwe-Bernd Lühr. |