Wortlaut der Reden
Uwe Lühr, FDP | Wolfgang Börnsen (Bönstrup), CDU/CSU >> |
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In vielen Diskussionsbeiträgen heute ist darauf Bezug genommen worden, daß mit der Entscheidung für Berlin oder gegen Bonn im wesentlichen auch die Interessen der Menschen in den fünf neuen Ländern berührt werden. Meine Damen und Herren, ich muß Ihnen sagen: Das, was wir hier heute veranstalten, verstehen die Menschen in den fünf neuen Ländern zum großen Teil nicht. Menschen, die sich um ihre Existenz kümmern, die Probleme mit den täglichen Abläufen und mit dem nächsten Tag haben, haben kein Verständnis dafür, daß wir hier eine so ausufernde Debatte zu diesem Thema führen. Insofern ist die Interessenlage sehr differenziert. Ich war eigentlich sehr stolz darauf, als Angehöriger dieses Hohen Hauses das Gefühl zu haben, daß bei allen Unterschieden in der politischen Argumentation im wesentlichen alle Mitglieder dieses Hauses die höchste Priorität unseres politischen Handelns darin sehen, daß wir sobald als möglich den Ausgleich im sozialen Gefälle zwischen den beiden zusammengewachsenen Teilen Deutschlands zustande bringen. Insofern ist die Frage: Bonn oder Berlin? zum jetzigen Zeitpunkt eine völlig unnötige Frage. Ich habe hier das Problem, in meinem kurzen Beitrag den politischen Spagat zu machen als einer, der im Innersten davon überzeugt ist, daß auf lange Sicht Berlin als Hauptstadt natürlich auch Sitz von Regierung und Parlament sein wird. (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]) Aber ich sage in aller Deutlichkeit auch: nicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Denn wir alle haben hier erst jüngst die Debatte über den Bundeshaushalt geführt. Wir alle wissen, wie angespannt die finanzielle Situation des Bundes ist. Ich bin nicht bereit, zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch nur eine einzige Mark dafür auszugeben, daß ein funktionierendes System, wie es hier in Bonn existiert, nur aus Prestigegründen nach Berlin umgelenkt wird. (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [FDP]) Insofern wäre ich sehr froh gewesen, wenn der Kompromißvorschlag von Herrn Innenminister Schäuble hier heute auch auf der Tagesordnung gestanden hätte. Er ist leider nicht zur Abstimmung vorgesehen. Es ist heute auch gesagt worden, die Abgeordneten seien in ihrer Entscheidung frei und sollten sich nicht von den Interessen ihres Wahlkreises leiten lassen. Meine Damen und Herren, ich muß das für mich verneinen. Ich muß mich sehr wohl für die Interessen der Menschen in meinem Wahlkreis, egal ob sie mich gewählt haben oder nicht gewählt haben, einsetzen. Ich bin für die Bürger dort hier in diesem Parlament, und insofern muß ich mich nach meinem besten Wissen und Gewissen auch für ihre Interessen einsetzen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Ich will Ihnen ganz kurz die Situation schildern, in der sich die Bürger in meinem Wahlkreis -- mein Wahlkreis ist Halle -- befinden. Monatlich verlassen mehrere hundert Bürger diese Stadt in Richtung Westen. Wenn wir heute hier die Entscheidung für Berlin fällen, dann wird auf Grund des einsetzenden Booms, der übrigens schon stattfindet und nicht erst von dieser Entscheidung abhängt, ein zusätzliches Potential an Menschen aus meiner Region in Richtung Berlin abwandern; eine Erscheinung, die ich in der Tat die letzten 15 Jahre erleben mußte und die für die Region, aus der ich komme, nicht segensreich war. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) Da das alles Menschen sind, die im besten Schaffensalter stehen -- das sind nicht Alte, und das sind nicht Kinder --, frage ich Sie: Wer soll dann bitte den notwendigen Aufbau in der Region, aus der ich komme, bewältigen? Es ist heute viel von Föderalismus die Rede gewesen. Der Föderalismus hat in der alten Bundesrepublik starke, hervorragende Städte hervorgebracht, Städte, die auch davon gelebt haben, daß sich Bonn auf den Regierungssitz beschränkt hat. (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Deswegen soll das Parlament ja nach Berlin!) -- Das Parlament vergesse ich natürlich nicht. -- Es sind -- das ist heute schon mehrfach erwähnt worden -- viele Hauptstädte verschiedenen Charakters entstanden. Ich bin eigentlich nicht bereit, den großen Städten im Osten Deutschlands diese Chance zu ihrer eigenen Entwicklung zu nehmen, indem diese große Zentrale Berlin entsteht. (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU und der SPD) Es ist schon ein wenig kurios. In meinem politischen Werdegang nach der Wende habe ich es im übrigen immer mit Hauptstadtentscheidungen zu tun. Ich habe als Bürgermeister der Stadt Halle -- glauben Sie mir, wir haben darum genauso verbissen und vielleicht noch härter gekämpft -- die Entscheidung zwischen Halle und Magdeburg miterlebt. (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Und verloren! -- Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Dessau nicht zu vergessen!)Ich habe damals mit allem Einsatz natürlich für Halle gekämpft, aber ich habe, als die Entscheidung durch den Landtag Sachsen-Anhalts für Magdeburg gefallen war -- die war sehr, sehr knapp, sicherlich so knapp wie die heutige Entscheidung werden wird --, (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Ihr werdet auch heute verlieren!) sofort gesagt, daß ich als Demokrat dieses Ergebnis respektiere. Mein großer Wunsch und meine Bitte ist, daß wir alle, die wir aus meiner Sicht heute in großer Sachlichkeit um dieses Problem gestritten haben und Argumente ausgetauscht haben, auch morgen noch miteinander reden können, egal ob wir zu den Gewinnern oder zu den Unterlegenen gehören. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU und der SPD) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Wolfgang Börnsen. |