Geraten unsere Geheimdienste außer Kontrolle? Entwickeln sie ein unzulässiges Eigenleben? Nach dem Wirbel um die Rolle des BND im Irak-Krieg, seiner Beteiligung an Verhören deutscher Staatsbürger in syrischen Gefängnissen sowie im US-Gefangenenlager Guantanamo und angesichts der Verschleppung des Deutschen al Masri durch den amerikanischen Geheimdienst CIA wird über Rolle und Kontrolle der Geheimdienste diskutiert. Im Streitgespräch mit BLICKPUNKT BUNDESTAG beziehen der CDU/CSUAbgeordnete und frühere Staatsminister Bernd Schmidbauer sowie der innenpolitische Experte der FDP-Bundestagsfraktion Max Stadler Position.
Blickpunkt Bundestag: Herr Schmidbauer, Sie müssen es wissen, denn Sie waren unter Kanzler Kohl sieben Jahre Koordinator der Geheimdienste: Sind diese Dienste unter dem Druck der Terrorbekämpfung außer Kontrolle geraten?
Bernd Schmidbauer: Das sehe ich nicht so. Aber die Welt hat sich verändert: Der Fall des Eisernen Vorhangs, der Zusammenbruch der östlichen Nachrichtendienste, das Erstarken des internationalen Terrors – all das erfordert veränderte Nachrichtendienste. Sie müssen sich der neuen Lage anpassen, dürfen dabei aber nicht unkontrollierbar werden.
Blickpunkt: Sind denn Fehlentwicklungen zu kritisieren, Herr Stadler?
Max Stadler: Ja, die sehe ich durchaus. Allerdings weniger bei den Diensten selbst. Ein sonderliches Eigenleben kann ich dort nicht feststellen. Meine Sorge ist allerdings, dass die Politik unter den veränderten Herausforderungen nicht die richtigen Rahmenbedingungen vorgegeben hat. Ich wünsche mir hier klarere Vorgaben. Die Dienste müssen präzise wissen, was sie dürfen und was nicht.
Blickpunkt: Im Irak-Krieg war das wohl nicht so sehr der Fall. Ist es nicht Doppelmoral, wenn sich die rot-grüne Regierung einerseits lauthals der Kriegsteilnahme verweigert, andererseits der BND den Amerikanern wertvolle Erkenntnisse zuliefert?
Schmidbauer: Ich könnte es mir leicht machen und die alte Regierung kritisieren. Ich bin weit davon entfernt. Alles, was wir derzeit in den Medien lesen, hat sich so nicht abgespielt. Hier wird nur der journalistische Mainstream bedient. Natürlich gilt das Primat der Politik. Die Bundesregierung gibt die Profile vor, in deren engem Rahmen sich die Dienste bewegen müssen. Kein anderes Land aber würde sich eine solch laute Debatte leisten, wie wir sie zurzeit haben. Denn vor lauter Debatten und Untersuchungsausschüssen paralysieren wir unsere eigene Sicherheit. Es ist doch Unsinn, zu kritisieren, dass BND-Leute im Irak waren. Unsere Regierung brauchte doch eigene Informationen über den Krieg. Und dass im BND auch Soldaten sind, ist nun ein absolut alter Hut. Ich könnte noch mehr solch unsinniger Aufgeregtheiten nennen.
Stadler: Na ja, ein bisschen anders liegen die Dinge ja schon, Herr Schmidbauer. Sicherlich sind einige Entscheidungen für sich genommen nicht zu beanstanden. Aber sie sind doch getroffen worden vor dem Hintergrund, dass die damalige Regierung auf keinen Fall etwas mit dem Krieg zu tun haben wollte. Um dieses politische Doppelspiel, um das Auseinanderfallen öffentlicher Selbstdarstellung und tatsächlichem Verhalten geht es. Für die Zukunft aber ist wichtig, wie wir es schaffen, die Sicherheit dadurch zu gewährleisten, dass wir möglichst viele Informationen beschaffen, ohne dabei notwendige Grenzen zu überschreiten. Grenzenlos kann in einer Demokratie weder die Polizei noch ein Geheimdienst agieren. Hier liegt die Aufgabe des Parlaments, für Klarheit zu sorgen.
Blickpunkt: Wie lang muss, wie lang darf denn die Leine sein, an der Geheimdienste in einer Demokratie agieren?
Schmidbauer: Es ist eine schwierige Materie. Die Leine muss, damit die Dienste kein Eigenleben entwickeln, relativ kurz sein. Aber die Dienste müssen auch das Vertrauen der Politik haben. Das ist wichtig.
Stadler: Einverstanden. Nur stößt hier das Parlament auf einige Schwierigkeiten. Denn das zuständige „Parlamentarische Kontrollgremium“ (PKG) tagt geheim; man darf als Mitglied nicht einmal die eigene Fraktionsspitze informieren, obwohl man doch von der Fraktion zur Kontrolle der Dienste beauftragt wurde. Deshalb erinnere ich daran, dass die Dienste und ihre Präsidenten gegenüber dem Parlament eine Bringschuld haben. Sie müssen brisante Vorgänge von sich aus vorlegen.
Schmidbauer: Da stimme ich dem Kollegen Stadler zu. Das Parlament darf nicht aus den Medien von schwierigen Fällen erfahren, sondern muss von der Regierung informiert werden. Natürlich muss dabei strikte Geheimhaltung gesichert sein. Das ist ein schwieriger Spagat.
Blickpunkt: Kanzlerin Angela Merkel hat bei der Zusammenarbeit westlicher Nachrichtendienste einen „Prozess der Harmonisierung“ eingefordert. Was ist darunter zu Herr Schmidbauer? Wer soll sich an wen angleichen?
Schmidbauer: Der 11. September 2001 hat doch deutlich gezeigt: Wir bestehen nicht gegen den Terrorismus, wenn wir international nicht kooperieren. Zunächst im europäischen Verbund, aber natürlich auch darüber hinaus, besonders mit den Amerikanern. Ohne diese Kooperation werden wir keinen Erfolg haben.
Blickpunkt: Nun sind einige ausländische Dienste „robuster“ als unsere und legen etwa bei der Folter keine so enge Elle an wie wir. Ist das ein Problem bei der Kooperation?
Stadler: Sie berühren ein schwieriges Problem. Natürlich ist internationale Zusammenarbeit dringend notwendig. Aber für uns muss das Folterverbot gelten. Deshalb dürfen unsere Behörden keine Gewalt anwenden bei Vernehmungen. Ebenso muss ein Verwertungsverbot gegenüber Erkenntnissen aus anderen Quellen gelten.
Schmidbauer: Nehmen wir an, wir haben Kenntnis von einem Täter schlimmster Art, der der Hauptbeschaffer einer terroristischen Organisation ist. Und nehmen wir weiter an, dass wir Zugänge zu diesem Mann haben und Befragungen zur Sicherheit in unserem Land machen können. Wenn wir darauf verzichten, machen wir uns spätestens schuldig, wenn ein neues Attentat geschieht. Wir müssen doch abwägen: ein paar Tausend Tote oder irgendwo einen Hinweis zu verwenden, der das verhindern kann. Natürlich können wir aber nicht wegsehen, wenn gefoltert wird.
Blickpunkt: ... was aber ja wohl geschehen ist.
Schmidbauer: Da stehen wir vor einem Spagat, der ungeheuer schwierig ist. Dennoch ist er zu bewältigen: Wir halten Menschenrechte ein, aber wir müssen verwerten dürfen, was möglicherweise durch andere auch unter Folter ans Licht gekommen ist.
Stadler: Klar ist, dass wir nicht aktiv unseren Behörden erlauben dürfen, Gewalt anzuwenden. Und wir dürfen auch nicht Beamte zu Vernehmungen in Situationen schicken, die folterähnlich sind. Das darf man nicht ausnutzen. Aber es wäre in der Tat weltfremd, auf eine wichtige Information von außen zu verzichten, die einen Terroranschlag verhindern könnte.
Blickpunkt: Noch einmal zurück zur Einbindung der Geheimdienste in eine demokratische Kontrolle. Reichen die bisherigen Instrumente aus?
Schmidbauer: Die Instrumente sind gut, wenn wir sie schärfen. Wenn wir die PKG besser ausstatten, etwa was Akteneinsicht oder die Vernehmung von Beamten anlangt. Auch ein unmittelbares Zugangsrecht zu den Diensten wäre vorstellbar. Ich glaube auch, dass dies kommen wird. Eine solche Verschärfung der Kontrollmöglichkeiten bedeutet aber nicht, dass sich unsere Dienste selbstständig gemacht hätten.
Stadler: Ich glaube, eine bessere Kontrolle ist auch im Interesse der Dienste selbst. Denn sie haben dann bei ihren Aktionen eine größere Rückendeckung. Deshalb wäre es richtig, wenn sich die Arbeit der PKG auf die wirklich brisanten Themen konzentriert. Für Alltagsthemen ist die Zeit zu kostbar. Außerdem darf es nicht ohne Konsequenzen bleiben, wenn die Bundesregierung nicht oder zu spät informiert.
Blickpunkt: Welchen Anspruch hat denn die Öffentlichkeit, in gewichtigen Fragen zu erfahren, was unsere Geheimdienste machen?
Stadler: Auch hier kann mehr öffentlich diskutiert werden als bisher. Niemand will Geheimdienstinterna öffentlich ausbreiten, denn dann gefährden wir die Arbeitsfähigkeit der Dienste. Aber die politischen Grundsatzentscheidungen gehören ins Parlament.
Schmidbauer: Nichts gegen mehr Transparenz. Sie würde auch zeigen, dass die Dienste zu Unrecht die Prügelknaben sind. Selbstverständlich aber darf Transparenz unsere Sicherheitslage nicht verschlechtern.
Das Gespräch führte Sönke Petersen.
Fotos: Photothek
Erschienen am 27. Februar 2006