Der neue biometrische Pass soll vor allem eines sein — fälschungssicher. Daher sind Passfoto und bei ab November 2007 neu ausgegebenen Pässen auch die Fingerabdrücke des rechten und linken Zeigefingers auf dem Reisepass digital gespeichert. Ein Datenbestand, den die Sicherheitsbehörden nur zu gern zur Terrorismusbekämpfung und Verbrechensaufklärung nutzen würden. Kein Wunder, dass Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU/CSU) Fotos zu Fahndungszwecken nutzen will. Die Debatte ist hitzig, zusätzlich befeuert durch immer neue Vorschläge. Onlinedurchsuchung auf Computern, Neuregelung des großen Lauschangriffs, Rasterfahndung, die Wiederauflage der Kronzeugenregelung — Vokabeln aus der Wunschkiste der Sicherheitsbehörden prägen die Schlagzeilen.
Innenminister Schäuble forderte
zunächst, dass neben den Passbildern auch die Daten der
Fingerabdrücke vom Reisepass nicht nur auf dem Passchip,
sondern auch bei den Meldeämtern gespeichert werden. Die
Polizei, so Schäuble, solle zu Ermittlungszwecken online
darauf zugreifen können. Die Kritik riss nicht ab. Er plane
einen „Frontalangriff gegen das Grundgesetz”, musste
sich Schäuble vom politischen Gegner anhören.
Mittlerweile scheint die Idee, der Polizei Zugriff auf die
Pass-Fingerabdrücke zu ermöglichen, vom Tisch zu sein,
Schäuble hat seine Forderung nicht aufrechterhalten. Doch die
Debatte um die innere Sicherheit geht weiter.
Wie weit darf der Staat in die Rechte seiner Bürger
eingreifen, um Sicherheit vor terroristischen Anschlägen zu
gewährleisten? Welche Regeln gelten bei der Abwehr von
Anschlägen, also im präventiven Bereich? Was darf die
Polizei bei der Aufklärung von Verbrechen, also bei der
Strafverfolgung? Und grundsätzlicher: Droht die Freiheit, die
die staatlichen Organe eigentlich verteidigen wollen, auf dem Weg
zum Präventivstaat unterzugehen?
Die Mehrheit der Deutschen hat auf diese Fragen seit den
Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA eine klare
Antwort. Es ist immer dieselbe. 24 Jahre, nachdem das
Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil die Deutschen
mit einem aus dem Grundgesetz abgeleiteten Recht auf
informationelle Selbstbestimmung ausgestattet hat, nehmen die
Menschen heute die Einschränkung ihrer bürgerlichen
Freiheiten widerstandslos hin, wenn es um die Sicherheit geht.
Mögen Datenschützer auch klagen, geht es nach dem Willen
der Deutschen, sollen die Ermittler die Kompetenzen kriegen, die
sie brauchen. Auch jetzt unterstützen mehr als 70 Prozent der
Bürger Schäubles Antiterrorpolitik, wie eine Umfrage von
Infratest Dimap Ende April zeigt.
Stufen der Verschärfung
Hauptgrund dafür ist die Furcht vor
terroristischen Anschlägen. Die Gefahr ist real genug, wie die
Terrorwarnung der USA für ihre Staatsangehörigen in
Deutschland vom Ende April erneut zeigte. Gut in Erinnerung ist
auch der Fall der Kofferbomber von Ende Juli 2006, als
Anschläge auf zwei Züge in Dortmund und Koblenz nur durch
Zufall fehlschlugen.
In mehreren Schüben hat die Regierung die Sicherheitsgesetze
seit den Anschlägen vom 11. September verschärft. Das nur
wenige Tage nach den Attentaten beschlossene erste Aktionspaket sah
eine verbesserte finanzielle Ausstattung der Geheimdienste, des
Bundesgrenzschutzes, des Katastrophenschutzes und der Bundeswehr
zur Wahrnehmung von Aufgaben auf dem Feld der Terrorabwehr vor. Das
Religionsprivileg im Vereinsrecht wurde gestrichen, die
Unterstützung ausländischer krimineller Vereinigungen
unter Strafe gestellt. Gegen die Stimmen von FDP und der PDS nahm
der Bundestag Mitte Dezember 2001 ein zweites
Anti-Terror-Gesetzespaket an, mit neuen Befugnissen für
Geheimdienste und Sicherheitsbehörden sowie schärferen
Bestimmungen bei der Einreise von Ausländern und der
Ausweisung von verdächtigen Personen.
Was ist der Anlass für die nun geführte Debatte um einen
weiteren Ausbau von Sicherheitsmaßnahmen? Im Kern sind die
meisten von Schäubles Vorstößen eine Folge der
Föderalismusreform, also der grundlegenden Änderung des
Beziehungsgeflechts zwischen Bund und Ländern, auf die sich
die Große Koalition geeinigt hat. Das Bundeskriminalamt
(BKA), die zentrale Behörde im Antiterrorkampf, hat durch
diese Reform Befugnisse der Landeskriminalämter
übertragen bekommen. Insbesondere kann die Behörde
präventiv, also zur Gefahrenabwehr tätig
werden.
Zugriff auf Passfotos und
Fingerabdrücke (© DBT/Marc Mendelson).
Ein Großteil von Schäubles Vorschlägen dient der Ausstattung des BKA mit Befugnissen für diese Aufgabe. Derzeit liegt ein Arbeitsentwurf aus dem Innenministerium bei Justizministerin Brigitte Zypries (SPD). Schäuble will das Gesetz bis zur Sommerpause durch das Parlament bringen, Zypries bremst erst mal.
Schäubles Pläne
Was genau hat der Innenminister vor?
Weitgehend unumstritten ist die Neuregelung der Rasterfahndung.
Dabei handelt es sich um eine Fahndungsmethode, bei der Daten aus
unterschiedlichsten Dateien miteinander verknüpft werden, um
Straftäter oder potenzielle Täter zu identifizieren.
Für die Gefahrenabwehr sind derzeit nur die Landespolizeien
zuständig. Schäuble will, dass das BKA künftig
selbst präventive Rasterfahndungen durchführen
kann.
Schwieriger gestaltet sich die gesetzliche Regelung von
Onlinedurchsuchungen auf Computern. Der Bundesgerichtshof hatte
diese im Februar bis auf Weiteres verboten, weil eine gesetzliche
Ermächtigung fehlt. Diese Rechtsgrundlage will die Koalition
nun schaffen. Es ist streitig, ob das BKA präventiv Computer
ausspähen können soll. Ob sich die Polizei auch zur
Strafverfolgung auf fremde Computer einklinken darf, wird ebenfalls
diskutiert. Probleme bereitet zum einen die technische Umsetzung.
Des Weiteren ist umstritten, ob eine Änderung des
Grundgesetzes nötig ist. Hier überlegt Schäuble,
Artikel 13 zu ändern, der die Unverletzlichkeit der Wohnung
garantiert. Die Onlinedurchsuchung, so das Argument, ähnele
dem „großen Lauschangriff”, also dem Abhören
des in der Wohnung gesprochenen Worts mittels Wanzen und
Richtmikrofonen.
Der „große Lauschangriff” ist derzeit zur
Strafverfolgung und zur Gefahrenabwehr zulässig. Neben den
Landespolizeien soll künftig auch das BKA Wanzen installieren
dürfen. Auch in der Durchführung soll sich einiges
ändern. In einem Urteil von 2004 hat das
Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass der „Kernbereich
privater Lebensgestaltung”, also etwa das in der eigenen
Wohnung geführte Gespräch mit der Familie, vor dem
Mithören geschützt ist. Rot-Grün hat das Urteil 2005
so umgesetzt, dass die Überwachung unterbrochen werden muss,
sobald über private Dinge gesprochen wird.
Die Polizei hält das für unpraktikabel. 2005 gab es
deshalb nur noch sechs Lauschangriffe. Die Union will, dass die
Überwachung auch dann weiterläuft, wenn über
Privates gesprochen wird. Später soll ein Richter das Band
abhören und entscheiden, welche Passagen für die Polizei
relevant sind. Justizministerin Zypries hat dies bisher abgelehnt.
Der entscheidende Grundrechtseingriff liege bereits im Aufnehmen
des Gesprächs und nicht erst beim nachträglichen
Abhören.
Leitlinien angekündigt
Auch Schäubles Vorstoß, die Daten
der Lastwagenmaut auch für die Terrorfahndung heranzuziehen,
sorgt für Streit. Obwohl der Bundestag bei der Verabschiedung
des Mautgesetzes dies ausdrücklich untersagt hat, will
Schäuble die Daten, die Aufschluss über Fahrtrouten
geben, zur Aufklärung schwerer Straftaten und zur
Gefahrenabwehr nutzen. Diese Forderung ist nicht neu. Seit 2005 ein
LKW-Fahrer einen Parkplatzwächter überrollte, fordern
Politiker, die Daten auch für Fahndungszwecke zu nutzen.
Justizministerin Zypries sieht darin wenig Sinn. „Wenn ein
mit Sprengstoff beladener LKW in Deutschland zu einem Anschlag
unterwegs ist, sollte man die Polizei losschicken und nicht in
Mautdaten wühlen”, sagt sie.
Schließlich soll auch die Kronzeugenregelung, bei der es
für die Mithilfe bei der Aufklärung einer Tat
„Strafrabatt” gibt, wieder belebt werden. Sie war
für Terroristen 1989 eingeführt und 1994 auf die
organisierte Kriminalität erweitert worden. 1999 lief die
befristete Regelung aus. Seitdem plant die Regierung eine
dauerhafte Regelung für alle Deliktsbereiche. Der
Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD sieht dies
ausdrücklich vor. Kritiker sagen, dass die Kronzeugenregelung
im Milieu islamistischer Terroristen nutzlos sei. Eine
entsprechende Kronzeugenregelung wurde vom Kabinett am 16. Mai 2007
verabschiedet.
Eine lange Liste also, auch wenn der Innenminister sich dagegen
wehrt, von einem „Schäuble-Katalog” zu sprechen.
Dabei treiben ihn längst neue Pläne um. Für den
Herbst plant er, „Leitlinien zur inneren Sicherheit”
vorzustellen. Damit will Schäuble das Weißbuch der
Bundeswehr ergänzen, das Grundlagendokument zur deutschen
Sicherheitspolitik, das im vergangenen Herbst veröffentlicht
wurde. Auch wenn noch unklar ist, wie genau der Inhalt dieses
Papiers aussehen wird, erregen erste Ankündigungen schon mal
die Gemüter: Er wolle die „völlig überkommene
Trennung von innerer und äußerer Sicherheit”
aufheben, sagte Schäuble gegenüber der Presse und
plädierte damit erneut für einen Einsatz der Bundeswehr
im Inneren.
Für Aufregung und grundsätzliche Kontroversen in der
Debatte um die innere Sicherheit ist also weiter gesorgt.
Fortsetzung folgt.
Text: Peter Müller
Erschienen am 30. Juni 2008