Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages führt ein besonderes Amt. Kein anderes Land verfügt über eine vergleichbare, sogar in der Verfassung verankerte Institution. In der Regel wird der Wehrbeauftragte immer dann tätig, wenn ihm Umstände bekannt werden, die auf eine Verletzung der Grundrechte der Soldatinnen und Soldaten oder Verstöße gegen die Grundsätze der Inneren Führung der Bundeswehr schließen lassen. Jede Soldatin und jeder Soldat kann sich mit Beschwerden direkt und ohne Einhaltung des Dienstweges an ihn wenden.
Vor 50 Jahren wurde dieses parlamentarische Amt mit einer Grundgesetzänderung geschaffen. Zeit für eine ausführliche Würdigung: Blickpunkt Bundestag begleitete Reinhold Robbe, den Wehrbeauftragten des Bundestages, bei einem Truppenbesuch in Brandenburg.
Brandenburg an der Havel, Panzergrenadierbataillon 421. Einer von vielen Truppenbesuchen des Wehrbeauftragten. Um 10:30 Uhr fährt der Dienstwagen am Tor der Rolandkaserne vor, die Wache salutiert und lässt den Wagen passieren. Gleich hinter dem Tor steht der Kommandeur bereit und geleitet den Wehrbeauftragten hinüber zum Stabsgebäude.
Für Reinhold Robbe ist es der 27. Truppenbesuch seit seiner Amtsübernahme im Mai vergangenen Jahres. Die Visiten des Wehrbeauftragten bei der Bundeswehr versetzen die Soldaten immer ein wenig in Aufregung. Manchmal kommt es vor, dass er am Kasernentor die Wache erst einmal von seinem Recht in Kenntnis setzen muss, jederzeit und auch unangemeldet der Truppe Besuche abstatten zu können – ein Recht, das als Zivilisten in Deutschland nur er und der Bundesverteidigungsminister haben.
An diesem Tag ist alles gut vorbereitet. Ein umfangreiches Programm wartet auf den Wehrbeauftragten. Nach einem kurzen Vier-Augen-Gespräch mit dem Kommandeur folgen bis in den Nachmittag hinein im Stundentakt Gespräche mit den Soldaten. Erster Termin: die Rekrutenausbildung auf der Hindernisbahn. 14 Mann müssen hier bei minus zehn Grad unter Stahlseilen hindurch robben oder mit Anlauf den Sprung in eine zwei Meter tiefe Grube schaffen.
Der Befehl „Antreten!“ ertönt. Die Rekruten stehen in exakter Reihe. Dann zieht sich der Ausbilder zurück und lässt den Wehrbeauftragten mit den Soldaten allein. Reinhold Robbe stellt sich kurz vor, lange Monologe liegen ihm nicht – er sucht das Gespräch. „Entspricht der Wehrdienst bislang Ihren Erwartungen?“, will Robbe wissen. Die Antworten kommen zaghaft. Anstrengend sei der Dienst – jeden Tag von 7 bis 21 Uhr draußen in der Kälte, das ginge an die Kräfte. Größere Klagen aber gibt es nicht. Die Frage, ob sie denn schon vom Wehrbeauftragten gehört hätten, können die Rekruten bejahen. 90 Minuten habe ein Ausbilder dazu referiert.
Vertrauliche Gespräche
Nächste Station ist das Offizierskasino. Im Gesellschaftsraum versinken zwölf Rekruten in dicken Ledersesseln. Das Gespräch kommt schnell in Gang. Robbe bricht das Eis mit einigen Bemerkungen über Dialekte und seine ostfriesische Herkunft, die seiner Sprache deutlich anzumerken ist. Reihum werden die Soldaten ihre Klagen los. Sie beschweren sich, dass häufig das Essen nicht für alle reicht, dass die Einheit nicht genug Sportschuhe für die Rekruten zur Verfügung stellen kann und dass vier Duschen für 40 Mann doch recht wenig seien. Ein Rekrut berichtet von einem Kameraden, den der Truppenarzt trotz ernsthafter Knieverletzung nicht krankschreiben wollte. Dass ein Elternteil des Soldaten aus Kuba stamme, habe dabei wohl eine Rolle gespielt, mutmaßt er. Robbe bittet den Soldaten, diese Bedenken noch einmal schriftlich formuliert an ihn zu übergeben.
Es sind viele kleine Sorgen und Nöte, von denen der Wehrbeauftragte bei seinen Truppenbesuchen hört. Reinhold Robbe kennt die Probleme genau, auch wenn er selbst nie Soldat war. In den 70er Jahren hat er Zivildienst geleistet. Als junger Mensch wollte er nicht einsehen, dass er im Ernstfall auf seine Verwandten in Erfurt oder Chemnitz (damals Karl-Marx- Stadt) hätte schießen müssen. „Ich gehe mit diesem Thema offen um“, erklärt Robbe und fügt hinzu, dass er heute durchaus Wehrdienst leisten würde. Als ehemaliger Verteidigungspolitiker und langjähriger Vorsitzender des Verteidigungsausschusses kennt er die Bundeswehr sehr gut. Und doch hat Robbe auch in seinem ersten Amtsjahr als Wehrbeauftragter noch jeden Tag dazugelernt. Die Truppenbesuche und vertraulichen Gespräche mit den Soldaten bieten Einsichten, die selbst einem Verteidigungspolitiker manchmal verschlossen bleiben: „Ich erhalte heute einen ungeschminkten Eindruck von der Basis. Da ist nichts weichgespült, wie in manchen Berichten, die man als Politiker auf den Tisch bekommt“, sagt er.
Diesen „ungeschminkten Eindruck von der Basis“ braucht der Wehrbeauftragte auch, um sein Kerngeschäft zu erledigen: die Bearbeitung der jährlich etwa 6.000 Eingaben von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Vom Rekruten bis zum General nutzen sie dieses Recht, das es nur in den deutschen Streitkräften gibt – vorbei an den Vorgesetzten eine Eingabe, gleich welchen Inhalts, an den Wehrbeauftragten zu richten.
Es sind diese Petitionen, um die sich die insgesamt fünfzig Mitarbeiter im Amt des Wehrbeauftragten in erster Linie kümmern. „Alle Eingaben, die an mich persönlich gerichtet sind, lese ich selbst“, sagt Robbe. Aber auch über alle anderen Fälle, mit denen das Haus betraut wird, lässt er sich regelmäßig unterrichten. Die Mitarbeiter des Wehrbeauftragten sind Angehörige der Bundestagsverwaltung. Ihre Abteilung „Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages“ gliedert sich derzeit in fünf Referate – entsprechend den ministeriellen Ordnungsprinzipien: So gibt es ein Referat für „Menschenführung in der Bundeswehr/Soldaten im Ausland“ oder für „Fürsorgeangelegenheiten/ Soldat und Familie“.
Geist der Inneren Führung
Nimmt man die Statistik, dann geht es bei der überwiegenden Zahl der Eingaben um Personalfragen und Beförderungen. „Das ist natürlich auch eine Folge der zu knapp bemessenen Stellen bei der Bundeswehr“, erklärt Robbe. Auch wenn er um die Bedeutung der Thematik weiß, meint er: „Ginge es allein um solche Beschwerden, bräuchte man den Wehrbeauftragten vielleicht gar nicht“.
Wenn es allerdings um Verstöße gegen den Geist der Inneren Führung geht, ist eine parlamentarische Kontrollinstanz wichtiger denn je. „Im vergangenen Jahr beschwerte sich zum Beispiel ein Soldat, der von seinem Vorgesetzten gezwungen wurde, einen Kühlschrank zu grüßen. Das verstößt gegen alle Prinzipien der Inneren Führung!“, empört sich der Wehrbeauftragte. Man könnte dieses Dienstvergehen sicher auch disziplinarisch ahnden. Doch im Gegensatz zu einem Anwalt nutzt Robbe in einem solchen Fall andere Wege. „Ich kann die Dienststelle direkt anschreiben und wenn das nichts hilft, die Sache notfalls bis zum Minister eskalieren lassen. Das sind Möglichkeiten, die ein Anwalt zum Beispiel nicht hat.“
Manchmal sei es allerdings auch Aufgabe des Wehrbeauftragten, die Bundeswehr gegen ungerechtfertigte Angriffe zu verteidigen. „Nehmen wir den Fall Coesfeld vor eineinhalb Jahren. Da kam in der Öffentlichkeit der pauschale Vorwurf auf, die Ausbilder der Bundeswehr würden systematisch Wehrpflichtige misshandeln. Als das Ganze in den Medien hochkochte, konnte mein Vorgänger, Willfried Penner, dazu beitragen, die Aufregung etwas aus der Debatte zu nehmen.“ Mit vollem Recht habe Penner den Generalverdacht, unter dem plötzlich alle Ausbilder der Bundeswehr standen, abgewehrt. Auch Robbe ist überzeugt, dass die Bundeswehr keineswegs eine Armee von Schleifern und Drangsalierern ist. Daher sei es nicht angemessen, die Masse der immerhin 12.000 Ausbilder pauschal zu kritisieren.
Parlamentskontrolle
„Es ist auf der anderen Seite aber leider auch eine gesellschaftliche Realität, dass sich kaum jemand für die besonderen Belange der Soldaten interessiert“, so Robbe. Deshalb begrüße er eine Initiative des Bundespräsidenten, der sich öffentlich für eine bessere Würdigung des nicht einfachen Soldatenberufes durch die Gesellschaft ausgesprochen hatte.
Als das Amt des Wehrbeauftragten vor 50 Jahren geschaffen wurde, spielten derartige Fragen kaum eine Rolle. Damals ging es vor allem darum, das Prinzip der Inneren Führung, das für die Bundeswehr entwickelt wurde, auch wirklich in der Truppe zu verankern. Für Verstöße dagegen sollten die Soldaten ein wirksames Beschwerderecht erhalten. Der Wehrbeauftragteist neben dem Parlamentsvorbehalt für Bundeswehreinsätze und dem ständigen Recht des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschuss zu tagen, Ausdruck der parlamentarischen Kontrolle über die Bundeswehr. Aufgrund dieser Befugnisse des Bundestages spricht man in Deutschland auch von einer „Parlamentsarmee“.
Heute sieht sich Robbe auch als „Anwalt“ der Soldaten. Die Ansprüche an die Bundeswehr seitens der Politik seien enorm gestiegen. Allein die Auslandseinsätze mit knapp 7.000 Soldatinnen und Soldaten belasten die Streitkräfte bis an die Grenze ihrer Kapazität. Seit 15 Jahren hat die Truppe eine Reform nach der anderen zu bewältigen. Und der angestrebte Umbau von der einstigen Verteidigungsarmee hin zur flexiblen Einsatzarmee ist noch keineswegs abgeschlossen.
„Die Bundeswehr braucht dringend eine Phase der Konsolidierung und Erholung, ihre Angehörigen brauchen Planungssicherheit“, ermahnte Robbe Mitte Januar die Abgeordneten, als er im Plenum den Jahresbericht 2004 vorstellte. Der Jahresbericht, vor allem die Debatte darüber im Plenum und nicht zuletzt der besondere Platz des Wehrbeauftragten im Plenarsaal zeugen von dem Gewicht, das der Bundestag der Arbeit des Wehrbeauftragten beimisst. Im Verteidigungsausschuss wird er ohnehin regelmäßig gehört und zu seiner Einschätzung befragt.
An der Belastungsgrenze
Robbes Stimme hat auch deshalb Gewicht, weil er ständig bei der Truppe ist. Nicht nur viele der Standorte im Inland, auch die Einsatzgebiete in Afghanistan, in Bosnien, im Kosovo und in Djibouti hat er schon besucht. Die Standards, die die Bundeswehr im Einsatz für ihre Soldaten liefert, können aus seiner Sicht nicht hoch genug sein. „Die Soldaten müssen im Einsatz die bestmögliche Ausrüstung erhalten“, sagt er. „Und wer im Einsatz verwundet wird, wie jüngst die beiden Feldwebel in Afghanistan, der muss auch optimal medizinisch versorgt werden.“
Wie schwer die Truppe an Belastungen trägt, darum geht es auch bei den Grenadieren in Brandenburg. Im vergangenen Jahr waren Teile des Bataillons im ISAF-Einsatz in Afghanistan. Einige Soldaten meinen, darauf nicht optimal vorbereitet worden zu sein. Sie wünschen sich vor allem einen wirklich ausreichenden Englischunterricht und eine bessere, frühzeitige Abstimmung beziehungsweise Zusammenstellung der einzelnen Einsatzkontingente. Ein junger Feldwebel hat noch ein anderes Anliegen. Der Soldat beklagt fehlendes Gerät am Standort und reicht dem Wehrbeauftragten eine Liste mit Ersatzteilen, auf die er schon lange wartet.
Aus solchen Berichten hat Robbe längst die Konsequenz gezogen, dass der Bundeswehr momentan keine zusätzlichen Belastungen mehr zuzumuten sind. Er findet dabei deutliche Worte – auch in der Öffentlichkeit. „Ich glaube nicht, dass ein großer, robuster Einsatz, also ein Einsatz mit 500 bis 1.000 Mann, für die Truppe derzeit zu verkraften ist“, äußerte er sich kürzlich zu einem möglichen Kongo-Einsatz der Bundeswehr.
Die Soldaten des Panzergrenadierbataillons 421 werden das aufmerksam registrieren. Ende 2006 steht für sie wieder ein Einsatz in Afghanistan an. Ein Jahr später wird das Bataillon aufgelöst. Die Zivilbediensteten am Standort, aber auch viele Soldaten gehen einer ungewissen Zukunft entgegen. Auf den Wehrbeauftragten wird dann möglicherweise einiges an Arbeit zukommen.
Text: Matthias RumpfReinhold Robbe und seine Vorgänger – die Wehrbeauftragten seit 1959:
1959-1961: Helmuth von GrolmanE-Mail:
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