Lange Jahre galten Klimapolitiker als einsame Rufer in der Wüste, denn so richtig greifbar war die Gefahr der Erderwärmung im Alltag zunächst einmal nicht. Abfall trennen, das versteht jeder. Dass die Sommer ein bisschen wärmer werden, na und? Im Spätherbst im Straßencafé sitzen — wunderbar, da kommt auch zu Hause südliches Flair auf. In diesem Winter, der kein Winter war, ist die Realität bei vielen angekommen. 85 Prozent der Deutschen sehen nach einer Emnid-Umfrage inzwischen die Erderwärmung als „Bedrohung für sich und nachfolgende Generationen”. Die Forderung und Notwendigkeit, für die Lebensqualität unserer Kinder Umwelt und Ressourcen zu schonen, lässt sich auf einen Begriff bringen: Nachhaltigkeit. Sie betrifft alle Lebensbereiche, es geht dabei um den Klimawandel ebenso wie um die Energieversorgung und soziale Fragen. Für den Deutschen Bundestag ist nachhaltige Entwicklung eine echte Querschnittsaufgabe. Denn alle Gesetze sollen dazu beitragen, auch künftigen Generationen die Lebensgrundlagen zu bewahren. BLICKPUNKT BUNDESTAG zeigt, wie das Parlament versucht, die Weichen auf Zukunft zu stellen.
Nie waren die Fakten so erdrückend wie
heute. Auf der Basis genauerer Daten als je zuvor lässt der
neue UN-Klimabericht kaum Zweifel daran, dass der Klimawandel in
vollem Gange ist. In seiner Prognose sagt der UN-Ausschuss IPCC
(International Panel on Climate Change) voraus, dass die Temperatur
auf der Erde bis Ende dieses Jahrhunderts im besten Fall um 1,1 bis
2,9 Grad Celsius und im schlimmsten Fall um 2,4 bis 6,4 Grad
Celsius steigen kann. Flankiert wird die Erderwärmung von
einer Erhöhung des Meeresspiegels um mindestens 18 bis 38
Zentimeter, im ungünstigsten Fall sogar bis 59 Zentimeter.
Weitere Folgen: schmelzende Poleiskappen, das baldige Ende der
Gletscher in den Alpen, die Zunahme von Wetterextremen wie
Hitzewellen und Stürmen, die Ausbreitung von
Dürregebieten, Wassermangel, überflutungen, Artensterben
und viele andere Phänomene mehr.
Neben natürlichen Ursachen geht die rasante Erderwärmung
zu einem guten Teil auf menschliche Aktivitäten zurück.
Seit dem Beginn der Industrialisierung überdreht der Mensch
die Klimaschraube — vor allem durch den Ausstoß des
Treibhausgases Kohlendioxid (CO2), das bei der Energie- und
Wärmeerzeugung durch die Verbrennung der fossilen Brennstoffe
Kohle und Erdöl entsteht und aus Schornsteinen und
Auspuffrohren in die Luft geblasen wird. Fast die Hälfte der
weltweiten von Menschen verursachten CO2-Emissionen gehen auf das
Konto der Industrieländer. Die USA liegen beim
CO2-Ausstoß an der Spitze — dicht gefolgt von China,
das mit mehr als sieben Millionen Fahrzeugen kräftig mithilft,
die Erdatmosphäre aufzuheizen. Klimaschutz und CO2-Reduktion
stehen mittlerweile ganz oben auf der Agenda der internationalen
Politik. Deutschland hat sich dabei auf europäischer und
internationaler Ebene zu einer Reduzierung der
Treibhausgasemissionen im Zeitraum 2008 bis 2012 um 21 Prozent
gegenüber 1990 verpflichtet.
Aber das wird nicht reichen. Die Politik muss alle Hebel in
Bewegung setzen, um das Ruder herumzureißen. Nichtstun
könnte teuer werden, sehr teuer sogar. Sir Nicholas Stern, der
frühere Weltbank-Chefökonom, erwartet eine
Weltwirtschaftskrise, wenn die Ursachen des Klimawandels nicht
bekämpft werden. In einem Gutachten im Auftrag der britischen
Regierung hat Stern errechnet, dass dann Kosten in einer
Größenordnung bis zu 5,5 Billionen Euro auf die
Menschheit zukommen. Schon jetzt müsse rund ein Prozent des
globalen Bruttoinlandsprodukts — 270 Milliarden Euro —
dafür ausgegeben werden, die Erderwärmung zu bremsen. Das
Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat
kürzlich errechnet, dass der Klimawandel allein Deutschland in
den kommenden 50 Jahren bis zu 620 Milliarden Euro kosten
kann.
Frühwarnsystem Parlament
Für den Deutschen Bundestag kommen
diese alarmierenden Befunde nicht überraschend. Bereits vor 20
Jahren nahm die Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der
Erdatmosphäre” im Parlament ihre Arbeit auf.
„Diese Kommission hat wertvolle Ursachenforschung über
die Wirksamkeit von Treibhausgasen, die Folgen der Zerstörung
der Ozonschicht und der Tropenwälder geleistet, aber auch
erstmals umfassende nationale und internationale Maßnahmen
zum Schutz des Klimas und der Ozonschicht vorgeschlagen. Ihre
Berichte gehören zu den weltweit wichtigsten Vorgaben, auf
denen die Klimaforschung aufbauen konnte”, erinnert sich
Professor Peter Hennicke, heute Präsident des Wuppertal
Instituts für Klima, Umwelt und Energie, der neben anderen
hochrangigen Wissenschaftlern zu den Sachverständigen der
ersten Klima-Enquete gehörte.
Schon damals war klar: Das Klimaproblem ist eng verbunden mit der
Frage nach einer zukunftsverträglichen Entwicklung, die alle
Bereiche unseres Lebens erfassen muss. Wie sichern wir
beispielsweise unsere Energieversorgung durch eine Umstellung auf
erneuerbare Ressourcen und ohne die natürlichen
Lebensgrundlagen weiter auszuplündern? Wie müssen wir
heute wirtschaften, arbeiten und konsumieren, damit auch unsere
Nachkommen die Voraussetzungen für ein Leben in einer sauberen
Umwelt, in Wohlstand und sozialer Sicherheit vorfinden? Wie
können wir die beschämend ungerechte Verteilung der
Lebens- und Bildungschancen zwischen den reichen Ländern des
Nordens und den armen Ländern des Südens
verbessern?
Auf dem UN-Erdgipfel von Rio de Janeiro 1992 hat sich die
internationale Staatengemeinschaft zum Leitbild einer nachhaltigen
Entwicklung bekannt, der Klimapolitik zum internationalen
Durchbruch verholfen und sich mit der Agenda 21 ein globales
Aktionsprogramm gegeben, in dem sich die Unterzeichnerstaaten
verpflichten, nationale Strategien für eine nachhaltige
Entwicklung auszuarbeiten.
Gesetze für Generationen
Der Deutsche Bundestag hat vor allem mit den
Enquete-Kommissionen „Schutz des Menschen und der
Umwelt”, „Globalisierung der Weltwirtschaft”,
„Demographischer Wandel” und „Nachhaltige
Energieversorgung” wichtige inhaltliche und institutionelle
Grundlagen für eine Nachhaltigkeitsstrategie geleistet, die im
April 2002 unter dem Titel „Perspektiven für
Deutschland” beschlossen wurde. Sie beschreibt, in welche
Richtung sich Deutschland entwickeln soll und welche politischen
Weichenstellungen dafür notwendig sind. Bei Klimaschutz und
Energiepolitik konnten so gesetzliche Rahmenbedingungen den
Bundestag passieren, die den Ausbau erneuerbarer Energien wie
Windkraft, Solarenergie und die Biogasnutzung ebenso zur Folge
haben wie hohe Energieeinsparungen bei der Gebäudesanierung
und den Einsatz effizienter Haustechniken. Die Bundesregierung ist
auch der Anregung des Bundestages gefolgt, einen
Staatssekretärsausschuss einzusetzen, der alle Politikbereiche
an der Nachhaltigkeitsstrategie messen soll. Gleichzeitig wurde ein
„Rat für nachhaltige Entwicklung” eingerichtet, in
dem 18 führende Persönlichkeiten wie Ex-Umweltminister
Klaus Töpfer, bis Ende 2005 Direktor des Umweltprogramms der
Vereinten Nationen, und Angelika Zahrnt, Vorsitzende des Bundes
für Umwelt und Naturschutz (BUND), den gesellschaftlichen
Zukunftsdialog vorantreiben.
Im Bundestag wird diese Politik nun schon in
der zweiten Wahlperiode vom Parlamentarischen Beirat für
nachhaltige Entwicklung aktiv begleitet. „Nachhaltigkeit ist
eine Querschnittsaufgabe, wir müssen alle Gesetze so früh
wie möglich unter die Lupe der Nachhaltigkeitskriterien
nehmen”, erklärt Michael Kauch, der die FDP als Obmann
im Beirat vertritt. „Das ist ein Zukunftsthema mit
langfristiger Wirkung, das in den Fachausschüssen des
Bundestages noch nicht ausreichend zum Zuge kommt. Dabei haben wir
eine ausgleichende Funktion, weil wir immer möglichst viele
Aspekte im Blick haben.” Der Abgeordnete legt Wert darauf,
die Arbeit der Bundesregierung, etwa die Strategien und die
Indikatoren, die nachhaltige Entwicklungsprozesse dokumentieren,
genau zu verfolgen. Ein Beispiel ist etwa der
Flächenverbrauch, also der Umfang täglich neu bebauter
Fläche, der auf 30 Hektar pro Tag reduziert werden soll. Bis
vor ein paar Jahren wurden in der Bundesrepublik noch 120 Hektar
pro Tag zugebaut, durch die immer neue Ausweisung von
Bauflächen und immer neue Straßen. So sinnvoll die
Reduzierung ist — Kauch hält ein Umdenken in der
deutschen Nachhaltigkeitsstrategie für angebracht: „Es
geht nicht vorrangig mehr um den absoluten Flächenverbrauch,
sondern darum, wie wir die Zerschneidung zusammenhängender
Landschaften verhindern und die Renaturierung anderer Flächen
fördern können.”
Wie wirken sich neue Gesetze für künftige Generationen
aus? Die Gesetzesfolgenabschätzung, der Nachhaltigkeitscheck
für die Qualität der Rechtsvorschriften, ist ein
wichtiges Aufgabenfeld des Beirats. Dabei konzentrieren sich die
Abgeordneten in dieser Wahlperiode besonders auf die Themen
„Demographischer Wandel und Infrastruktur” und
„Generationengerechtigkeit”, sie führen
Anhörungen durch und lassen sich von Experten beraten.
„Ein Schwerpunkt ist die Infrastruktur im ländlichen
Raum. In den dünn besiedelten Flächen Ostdeutschlands
beispielsweise geht es um die Erhaltung der Dörfer, um die
medizinische Versorgung und um die Zukunft der Schulen”, sagt
Lutz Heilmann. Der Jurist aus Lübeck ist im Beirat Obmann der
Fraktion Die Linke.
Internationale Zusammenarbeit ist ihm wichtig. „Wir nutzen
jetzt die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, um uns mit unseren
Kollegen im EU-Parlament und international zu vernetzen”,
erklärt Heilmann. So könne man voneinander lernen und
sich darüber informieren, wie die EU endlich den
Kohlendioxidausstoß durch den Straßenverkehr reduzieren
will, nachdem die freiwillige Selbstverpflichtung der
Automobilhersteller de facto gescheitert sei.
Fachleute aller Ausschüsse
Bis Ende 2020 will die EU den Anteil
erneuerbarer Energien aus Wind, Wasser, Sonne und Biomasse auf 20
Prozent anheben. Nachdem es in Deutschland schon erfolgreich
gelungen ist, die erneuerbaren Energien zu einer ernsthaften
Größe zu entwickeln, sieht der Volkswirt Gerhard Schick,
Obmann der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Beirat, nun
einen besonderen Schwerpunkt beim zukunftsfähigen
Wirtschaften. „Nach der Energie müssen wir auch die
Automobilindustrie in den Blick nehmen und auf spritsparende Autos
und alternative Antriebe drängen. Grüne Marktwirtschaft,
das sind aber auch die kleinen Handwerksbetriebe, die
materialeffizient wirtschaften sollten und so Sparen und
Modernisieren unter einen Hut kriegen.”
Um die praktische Ebene geht es auch seinem Beiratskollegen
Matthias Miersch, Obmann von der SPD-Fraktion. „Das muss
erlebbar und fühlbar sein. Nachhaltigkeit darf kein beliebiges
Thema in Sonntagsreden sein. Zu Demographie und Infrastruktur
gehören zum Beispiel Mehrgenerationenhäuser in den
Kommunen, in denen Menschen Nachhaltigkeit leben können. Das
müssen wir in unsere Planungen einbeziehen.” Solche
Häuser schaffen einen öffentlichen Raum des Miteinanders
in Anknüpfung an frühere familiäre und
nachbarschaftliche Tradition, insbesondere um das Potenzial
älterer Menschen einzubringen und die junge Generation zu
unterstützen.
Miersch und seine Kollegen schätzen besonders die gute
Zusammenarbeit abseits vom alltagspolitischen Schlagabtausch.
„Im Beirat sind nicht nur Abgeordnete aller Fraktionen
vertreten. Weil hier Vertreter aller Fachausschüsse
zusammensitzen, können wir die vielen Aspekte unserer
Schwerpunktthemen verknüpfen und Vorschläge für
konkrete Maßnahmen in den Bundestag einbringen.” Diese
fachübergreifende Sicht wird auch wichtig sein, wenn sich der
Beirat frühzeitig in den Prozess der Fortschreibung der
nationalen Nachhaltigkeitsstrategie einbringt, zu der die
Bundesregierung alle zwei Jahre einen Fortschrittsbericht
vorlegt.
Staatsziel Nachhaltigkeit
Dabei wird das Parlament mit eigenen Ideen
und einem eigenen Profil hervortreten, wie CDU/CSU-Obmann Andreas
Scheuer deutlich macht. „Wir Parlamentarier zeigen uns neben
der Bundesregierung sehr selbstbewusst in der Formulierung der
Nachhaltigkeitsziele. Schließlich geht es um langfristige
Entwicklungen weit über den nächsten Wahltag hinaus
— und nicht zuletzt auch um die finanziellen Auswirkungen von
politischen Entscheidungen. Im Beirat gibt es keine heiligen
Kühe, denn viele von uns jungen Abgeordneten werden sich im
Jahr 2020 fragen lassen müssen, ob sie im Sinne unserer
Nachkommen entschieden haben”, sagt der junge
Politologe.
„Generationengerechtigkeit im Grundgesetz verankern”,
fordern nun etwa 100 meist junge Abgeordnete in einem
interfraktionellen Antrag, der in Kürze in erster Lesung im
Bundestag beraten werden soll. Der schleppende Schuldenabbau des
Staates, die überlastung der Sozialversicherungssysteme sowie
Raubbau an natürlichen Ressourcen gingen zu Lasten der
künftigen Generationen. Auch mehr Investitionen in Bildung und
Forschung fordern die jungen Abgeordneten. Die Aufnahme der
Staatsziele „Generationengerechtigkeit” und
„Nachhaltigkeit” und die entsprechende änderung
der Artikel 20 und 109 des Grundgesetzes soll, so die Absicht, den
Gesetzgeber und alle anderen Staatsgewalten darauf verpflichten,
Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit in Politik und
Gesellschaft zu verwirklichen.
Interview Ernst-Ulrich von Weizsäcker: „Das Beste ist das Preissignal”
Text: Marianne Wollenweber
Bilder: Picture-Alliance, Deutscher Bundestag
Erschienen am 22. März 2007
„Wir sehen uns als Anwälte für die Lebenschancen
künftiger Generationen. Wer Prioritäten für die
Menschen von morgen setzen will, der muss auch bereit sein,
Einschränkungen heute durchzusetzen. Für uns gilt das
Prinzip Verantwortung in der Politik.”
Günter Krings (CDU/CSU) Vorsitzender des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung
Der Begriff Nachhaltigkeit kommt ursprünglich aus der Forstwirtschaft: Wer so viele Bäume fällt, wie nachwachsen können, sorgt dafür, dass der Wald für die künftige Nutzung zur Verfügung steht und auf Dauer seinen Wert behält. Man kann auch sagen: Es ist nachhaltig, von den Zinsen zu leben, statt vom Kapital. Es ist nachhaltig, die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten, die Wirtschaft durch mehr Umweltschutz und innovative Technologien voranzubringen und dabei gleichzeitig Wohlstand und sozialen Fortschritt zu sichern.
„Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.”
Bericht „Unsere gemeinsame Zukunft” der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (Brundtland-Kommission), 1987
Das Reichstagsgebäude und die umliegenden Bundestagsbauten sind mit umweltschonender und ressourcensparender Technik ausgestattet. Im Reichstagsgebäude sorgt in der Mitte der Glaskuppel der rüsselförmige Trichter mit seinen 360 Spiegeln für die Nutzung des Tageslichts im Plenarsaal. Fotovoltaikanlagen auf dem Süddach des Reichstagsgebäudes und auf den Dächern des Paul-Löbe- und des Jakob-Kaiser-Hauses dienen als saubere Stromquelle. Kernstück des ökokonzepts sind die Blockheizkraftwerke. Ihre Motoren arbeiten mit Biodiesel, der aus Raps gewonnen wird. Nach dem Prinzip der Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung wird die bei der Stromerzeugung entstehende Abwärme zum Heizen der Parlamentsgebäude genutzt. Durch diese Technik können die Kraftwerke für die Parlamentsbauten rund 50 Prozent der Elektroenergie und 100 Prozent der Wärme und Kälteenergie liefern.
Webseite: www.bundestag.de/bau_kunst/bauwerke
Parlamentarischer Beirat für
nachhaltige Entwicklung
Informationen auf der Website des Bundestages:
Webseite: www.bundestag.de/parlament/gremien/beiraete