Otto Fricke trifft Paula Visser bei „ZIK — zuhause im Kiez” in Berlin-Kreuzberg
Bei dieser Geschichte lohnt es sich, mit dem Ende anzufangen. Am Ende nämlich beschließen der FDP-Abgeordnete Otto Fricke und die Sozialarbeiterin Paula Visser, einmal für einen Tag beim jeweils anderen ein „Praktikum” zu machen. Otto Fricke säße dann in der Krisenberatung des gemeinnützigen Wohnprojekts für Menschen mit HIV, Aids oder Hepatitis C in der Pankstraße in Berlin. Und später käme Paula Visser für einen Tag in das Berliner Büro des Abgeordneten. Hier Krisenberatung, da im weiteren Sinne Lebenshilfe. Das könnte für alle Beteiligten interessant sein.
Otto Fricke ist ein neugieriger Mann. Wenn ihm jemand etwas zu erzählen hat, konzentriert er sich ganz auf die Situation und diesen Moment. Das spürt, wer mit ihm redet. Paula Visser ist nicht minder neugierig. Das Leben der Holländerin — „halbe Holländerin”, sagt sie — zeichnet keine gerade Linie. Obwohl am Ende alles darauf hinauslief, mit und für Menschen zu arbeiten. Vielleicht ist das eine Gemeinsamkeit zwischen einer Krisenberaterin und einem Abgeordneten. Bei beiden kann Arbeit nicht Selbstzweck sein. Und beide müssen sich in ihrer Arbeit für andere Menschen ins Zeug legen.
Bis die 1975 in Luxemburg geborene Paula Visser zu dem Wohn- und Lebenshilfeprojekt „ZIK — zuhause im Kiez” kam, sind verschiedene Lebensstationen zu beschreiben. Ihre Eltern lernten sich in Luxemburg kennen. Die Mutter kam aus Deutschland, der Vater aus den Niederlanden, und so wuchs Paula Visser zweisprachig auf. Als sie zehn war, ging die Familie nach Hongkong, dort besuchte Paula eine deutsche Schule. Mit 16 entschied sie sich, zu einer Freundin nach Australien zu gehen. Rückkehr nach Hongkong mit 18. Ein Jahr später starb der Vater, und Paula Visser ging mit dem Freund aus Hongkong und dessen Eltern nach Berlin. Paula Visser hatte 1994 einen holländischen Pass, ein australisches Abitur, das in Deutschland nicht anerkannt wurde, und eine Menge von der Welt gesehen.
Otto Fricke trifft Paula Visser bei
„ZIK — zuhause im Kiez” in Berlin-Kreuzberg
(© DBT/studio
kohlmeier)
Otto Fricke sitzt in dem großen, hellen und sehr freundlich wirkenden Raum in der Reichenberger Straße an einem Tisch mit Paula Visser, hört zu und stellt Fragen. Man ist schnell zum „du” übergegangen.
ZIK ist ein in mancher Hinsicht einmaliges Projekt. Seit vielen Jahren wird hier Menschen mit HIV, Aids oder Hepatitis C geholfen, die wegen ihrer Erkrankung Unterstützung brauchen, denen es schlecht geht, weil die Krankheit fortgeschritten ist, die oft auch drogenabhängig oder psychisch krank sind, die keine Wohnung haben und kein Geld und von denen viele an ihrer Krankheit sterben. Hier werden diese Frauen und Männer aufgefangen, aufgenommen, betreut, gepflegt, getröstet. Knapp 500 Menschen leben in einem der von ZIK betreuten Wohnprojekte, vielen anderen ist bei der Suche nach Wohnraum und bei der Lösung ganz alltäglicher und oft existenzieller Probleme geholfen worden.
Bevor Paula Visser zu ZIK kam, hat sie in Berlin eine Erzieherinnenausbildung gemacht und danach noch eine zur Sozialarbeiterin. Angefangen hat sie hier als Praktikantin. „Bist du denn noch oft in den Niederlanden?”, fragt Otto Fricke. „Wahrscheinlich seltener als du”, sagt Paula Visser und lächelt. Otto Fricke hat sich schon geoutet als jemand, der begeistert Urlaub an holländischen Stränden macht und dort mit seinen Kindern Sandburgen baut. „Ich kann nicht am Strand sitzen und nichts tun. Also baue ich Sandburgen.” Der Grundstein für die Affinität des 1965 in Krefeld geborenen FDP-Abgeordneten zu den Niederlanden wurde schon im Kindesalter gelegt. Otto Fricke schaute meist holländisches Fernsehen. Während des Studiums lernte er die Sprache richtig. „Von der Mentalität her sind sich die Deutschen und die Holländer sehr ähnlich”, findet er. Außerdem habe er die Erfahrung gemacht, dass viele gesellschaftliche Entwicklungen, die man in Holland beobachten könne, kurze Zeit später in Deutschland ähnlich abliefen.
So passiert es, dass man im Gespräch mit dem Haushaltspolitiker Fricke auch wirklich irgendwann bei der Haushaltspolitik landet. Bei Verschuldung und Schuldenabbau — das Sprechtempo des Abgeordneten wird schneller. Man redet über das Leben mit Hartz IV. Paula Visser hat es selbst einige Zeit bewältigen müssen, und einfach war dies nicht. Man kommt auf die Bürokratie in Jobcentern zu sprechen, auf die Verzweiflung, die einen dann manchmal überkommt, wenn keiner mehr die Durchführungsbestimmungen versteht. So landet man wieder bei denen, die zu ZIK kommen, weil sie Hilfe brauchen. Die darauf angewiesen sind, dass eine wie Paula Visser oder einer wie ihr Kollege Robert Kliem, der mitdiskutiert am Tisch, die unbewältigbar erscheinenden Dinge in die Hand nimmt. Die alltäglichen Auswirkungen von Politik sind dem Abgeordneten Fricke nicht unbekannt. Er ist Anwalt. In seine Kanzlei kommen Menschen mit ganz alltäglichen kleinen und großen Verzweiflungen. Aber man kann, trotz aller Erfahrung, immer noch lernen. So kommen der Abgeordnete und die Sozialarbeiterin auf die Idee mit dem Praktikum.
Otto Fricke nimmt sein Buch „Hector und die Entdeckung der Zeit” und verabschiedet sich. „Ein schönes Buch”, sagt er. „Ich lese sonst zu viel Zahlen.”
Fläche: 41.528
Quadratkilometer
Einwohner: rund 16,4 Millionen
Währung: Euro
Hauptstadt: Amsterdam
Regierungssitz: Den Haag
Amtssprachen: Niederländisch, Friesisch
Staatsform: parlamentarische Monarchie
Nationalhymne: Het
Wilhelmus („Das Wilhelmus”)
Kfz-Kennzeichen: NL
Telefonvorwahl: +31
EU-Mitglied seit: Gründungsmitglied
(Römische Verträge 1957)
Nationalfeiertag: 30. April
(Königinnentag)
Interessant: Die Hauptstadt Amsterdam wurde auf
Pfählen erbaut, da es erst in etwa 10 Meter Tiefe festen Grund
gibt.
Fraktion: FDP
Geboren: 21. November 1965 in Krefeld
(Nordrhein-Westfalen)
Wohnort: Krefeld
Ausbildung: Studium der Rechtswissenschaften
Beruf: Rechtsanwalt
Familie: verheiratet, drei Kinder
Stv. Vorsitzender der Deutsch-Niederländischen
Parlamentariergruppe
otto.fricke@bundestag.de
www.otto-fricke.de
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Text: Kathrin Gerlof
Erschienen am 11. Mai 2007