Mit Charme und Musik
Ihre Pflicht ist die Vertretung der
politischen Landesinteressen gegenüber dem Bund, ihre Kür
ist die Werbung für ihre Theater, ihre Festivals, ihre Museen.
Die Vertretungen der Bundesländer in Berlin präsentieren
immer wieder Beispiele ihres ausgeprägten kulturellen Lebens.
Manchmal gelingt dabei auch der Sprung über die deutschen
Grenzen. Als Vorgeschmack auf das am 14. Juli beginnende
„Schleswig-Holstein Musik Festival” mit dem Motto
„Hörbar Ungarn” präsentiert
Ministerpräsident Peter Harry Carstensen eine der
Attraktionen, das Ensemble Ferenc Sebö. Zunächst aber
stellt er „unseren neuen Mann in Berlin”, den neuen
Leiter der Landesvertretung, Olaf Bastian, vor und macht ein paar
Bemerkungen zur Kulturpolitik. „Kultur muss uns Orientierung
in Zeichen des Wandels sein.” Und die Kulturpolitik habe der
Kultur, nicht der Politik zu dienen.
Ein wenig dient sie an diesem Abend aber auch der
Außenpolitik, besser gesagt der
Völkerverständigung. Der ungarische Botschafter
Sándor Peisch beweist seine Norddeutsch-Kenntnisse mit einem
„Moin” und macht die aktuelle Linie ungarischer Politik
deutlich: Früher sei der Ruf seiner Landsleute wegen ihrer
Eroberungspolitik nicht der beste gewesen. „Heute versuchen
wir, mit Musik und Charme die Welt zu erobern.”
Rolf Beck, der Chef des Festivals, berichtet, Ensembleleiter
Sebö habe sich in den frühen 70er Jahren auf den Weg nach
Siebenbürgen gemacht, um in den Dörfern die noch
lebendige bäuerliche Tanzmusik kennenzulernen. In Budapest
habe er das erste öffentliche „Tanzhaus”
veranstaltet und sei zur Leitfigur einer kulturellen Bewegung
geworden. Warum die bäuerliche Tanzmusik heutzutage so viele
Freunde findet, davon können sich die Gäste
überzeugen, als die vier Musiker auf Instrumenten wie
Drehleier, Baligeige, Maultrommel oder Türkenpfeife
jahrhundertealte Volkskunst zum Leben erwecken.
Da Sebö während eines längeren Aufenthalts in
Dresden deutsche Volkslieder gelernt hat, geben sie auch davon
Kostproben, so ”Herrn Pastor sien Kau”. Carstensen
freut sich über die plattdeutsche Weise aus dem Munde der
Ungarn und sagt, bei der Musik sei es wie beim Kochen. Man
müsse es nicht selber können, aber man müsse
hören oder schmecken können.
Förderung von Talenten
Auch der Leiter der sächsischen
Landesvertretung, Michael Wilhelm, stellt immer wieder Beispiele
des kulturellen Lebens des Freistaates und seiner Hauptstadt vor.
In diesem Frühjahr sind das gleich zwei Dresdner
Institutionen, die in Deutschland ihresgleichen suchen, das
Sächsische Landesgymnasium für Musik und die
Staatsoperette. Die künstlerische Direktorin des Gymnasiums,
Uta Vincze, berichtet, dass die Absolventen einerseits das Abitur
und andererseits die Voraussetzung fürs Musikstudium erwerben
können. Zurzeit hat das 1965 gegründete Gymnasium 145
Schüler und Schülerinnen. Hansjörg König,
Staatssekretär im Kultusministerium, meint, es gebe in
Deutschland nur noch in Weimar eine vergleichbare Förderung
von Talenten. Ein Förderverein versuche, Geld in die Kassen zu
bringen, zum Beispiel für Instrumente.
Auf private Unterstützung ist auch die Staatsoperette Dresden
angewiesen, die sich auf das Werk von Johann Strauß
spezialisiert hat. Ein Förderverein ist auf der Suche nach
einem besseren Domizil für das einzige eigenständige
Operettentheater in Deutschland. Eines der Mitglieder des Vereins
ist die Bundestagsabgeordnete Marlies Volkmer. Sie lebt seit mehr
als 25 Jahren in Dresden. „Die Operette ist in dieser Zeit
ein guter Freund geworden.”
Gelungene Integration
Ehrenamtliche Hilfe der Bürger bei
öffentlichen Aufgaben wird seit 1997 einmal im Jahr im
großen Rahmen mit dem „Förderpreis Aktive
Bürgerschaft” belohnt. Der erste Preis geht an die
Bürgerstiftung Berlin, die sich um die Integration von Kindern
und Jugendlichen aus Einwandererfamilien bemüht. Unter den
Gästen sind einige, die ihre Integration schon geschafft
haben. Adam Soboczynski kam mit seiner Familie als Aussiedler nach
Deutschland. Seine Mutter schlug sich anfangs mit drei Putzstellen
durch. Der heutige Redakteur der „Zeit” erinnert sich,
wie er sich bei seinem ersten Diktat an einer deutschen Schule
gewundert habe, dass das Wort „Komma” so oft vorkam.
Die Autorin Dilek Güngör sagt, als kleines Mädchen
sei sie oft gefragt worden, ob sie auf Deutsch oder Türkisch
träume. „Ich weiß das nicht. Aber jeder wolle
wissen, wo ich wirklich hingehöre.” Ähnlich ging es
auch Soboczynski: „Ich wurde bei der Fußball-WM immer
gefragt: Für wen bist du — für Deutschland oder
für Polen?” Er habe das einfach vom Spielverlauf
abhängig gemacht.
Der Bundestagsabgeordnete Michael Bürsch, Vorsitzender des
Unterausschusses „Bürgerschaftliches Engagement”,
wird unterdessen nicht müde, für einen neuen
„Gesellschaftsvertrag” zu werben. Seine Vorstellung
ist, dass Staat, Wirtschaft und Gesellschaft ihre Mittel einbringen
in gemeinsames Handeln. So wie IBM die Computernutzung in Schulen
fördere und damit etwas für die Gemeinschaft leiste, was
auch für das Unternehmen selbst von Nutzen sei. Man müsse
nicht Mutter Teresa nachahmen, sondern solle ruhig an sein eigenes
Interesse denken.
Text: Klaus Lantermann
Erschienen am 18. Juni 2007