Chaldej: Sowjetflagge 1945 auf dem
Reichstag.
© Jewgeni Chaldej/voller Ernst
Holocaust
Stanislaw Jerzy Lec, der polnische Aphoristiker, schrieb, vor der
Wirklichkeit könne man die Augen verschließen,
„aber nicht vor der Erinnerung”. Viele Menschen
versuchen das erst gar nicht. Sie pflegen vielmehr eine
„Erinnerungskultur”, wie der stellvertretende
israelische Botschafter Ilan Mor bei einem bewegenden Konzert
zwischen den Betonstelen des Denkmals für die ermordeten Juden
Europas sagte. Vor drei Jahren war es eröffnet worden, etwa
acht Millionen Besucher wurden seitdem gezählt. Zum Jahrestag
spielen 23 Musiker eine für diesen Anlass komponierte
Klanginstallation mit dem Titel „Vor dem Verstummen”.
Unter den mehr als 2.000 Zuhörern ist auch der Komponist
Harald Weiss. Er will mit seinem Werk „die Stille
verstärken, die uns zwischen dem Stelenfeld umgibt, so paradox
das auch klingen mag”. Die Idee zu diesem ungewöhnlichen
Jubiläumsakt hatte Jan-Daniel Girl vom Förderkreis
für das Denkmal. „Ich hoffe, dass man junge Leute mit
etwas Modernem wie einem Konzert dazu bringen kann, sich mehr mit
der Geschichte auseinanderzusetzen”, sagt der
27-Jährige. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse
findet es faszinierend, wie ergriffen die Menschen dem Konzert
gelauscht hätten. Er ist überzeugt, dass die Entscheidung
des Bundestages für das Denkmal richtig gewesen sei. Es sei
ein „Zeichen für das Selbstverständnis des neuen
Deutschland”, das aus seiner Geschichte gelernt habe.
www.holocaust-denkmal-berlin.de
Chaldej: Sowjetischer Soldat im Mai
1945.
© Jewgeni Chaldej/voller Ernst
Kriegsende
Dieses Leitmotiv stimmt auch der Bundestagsabgeordnete und
Staatsminister im Auswärtigen Amt Gernot Erler am 8. Mai im
Martin- Gropius-Bau an. Hier, in Nachbarschaft zu den Resten der
zerstörten NSTerrorzentrale, sind Deutsche und Russen zur
Eröffnung einer Ausstellung mit rund 200 Aufnahmen des
russischen Kriegsfotografen Jewgeni Chaldej zusammengekommen. Sein
berühmtestes Bild zeigt, wie Soldaten der Roten Armee auf dem
Reichstag die Sowjetflagge hissen. Die Aufnahme ist gestellt,
Details sind einmontiert. Dennoch wurde sie zum Symbol des Sieges
über Nazideutschland. Erler versichert: „Wir werden
dieses dunkle und tragische Kapitel im Verhältnis unserer
beiden Länder nie vergessen.” Der russische Botschafter
Wladimir Kotenew ergänzt: „Wer von seiner Vergangenheit
nichts wissen will, hat auch keine Zukunft.” Aus Moskau sind
die Tochter Chaldejs sowie einige Kriegsveteranen gekommen. Anna
Chaldej, im dunkelblauen Kostüm mit hellen Punkten, berichtet,
ihr Vater habe zu fast jedem Foto eine kleine Geschichte
erzählen können. Ernst Volland, Chaldejs deutscher
Entdecker und Sammler, betont dessen Fähigkeit, seine Bilder
zu komponieren, „auch unter schwierigsten Umständen, mit
Tod, Leid und Geahr um ihn herum”. Bis 28. Juli kann die
Ausstellung besucht werden, die Öffnungszeiten finden Sie
unter folgendem Link.
www.chaldej.de
Zerstörung der Demokratie
Ihren Ausgang nahm die Katastrophe zwölf Jahre früher. In
einer Gedenkstunde erinnerte der Bundestag im April an „Die
Zerstörung der Demokratie in Deutschland vor 75 Jahren”
durch die Nationalsozialisten. Bundestagspräsident Norbert
Lammert rief in seiner Rede die Verbrechen nach der Machtergreifung
Hitlers ins Gedächtnis: das Ermächtigungsgesetz, für
das der Reichstagsbrand als Vorwand diente, die
Bücherverbrennungen, die Zerschlagung von Parteien und
Gewerkschaften. Den Boykott jüdischer Geschäfte und die
per Gesetz dekretierte Versetzung sogenannter
„nicht-arischer” Beamter in den Ruhestand bezeichnete
Lammert als „unübersehbares Fanal einer brutalen
Ausgrenzung”. Dass Berlin nicht Weimar sei, so wie Bonn nie
Weimar wurde, manifestiere sich in dem großen Konsens, mit
dem heute im deutschen Parlament auf das Jahr 1933 und seine
Lektionen zurückgeblickt werde. Eine Dokumentation der
Gedenkstunde ist ab Juni beim Referat Öffentlichkeitsarbeit
erhältlich.
Eine Taube unter der
Reichstagskuppel.
© Olga Zasukhina
Auf Entdeckungstour
im Bundestag: Beim Fotowettbewerb im Rahmen des Internationalen
Parlaments- Stipendiums (IPS) haben 19 Stipendiaten das Parlament
mit der Kamera erkundet. Die Jury — Abgeordnete der
Berichterstattergruppe für Internationale Austauschprogramme
— hat 17 Bilder ausgewählt, die auf Monitorwänden
in Bundestagsgebäuden und im Internet präsentiert werden.
Drei von der Jury gekürten Preisträgern überreichte
Bundestagspräsident Norbert Lammert eine Urkunde und einen
Bundestagsbildband: Iryna Mastsitskaya (Belarus), Adrijana Hanusic
(Bosnien und Herzegowina) und Olga Zasukhina (Russland), deren Foto
links abgebildet ist. Im Rahmen des IPS-Programms lernen jedes Jahr
politisch interessierte Teilnehmer aus derzeit 26 Ländern die
Arbeit in einem Abgeordnetenbüro kennen.
www.bundestag.de/ips
Erschienen am 18. Juni 2008