Im U-Bahnhof Bundestag ertönen einmalige Klänge. Vor hellgrauem Sichtbeton siegt nach „Der Hölle Rache” die Liebe. Untergründig schräg und überirdisch schön.
Generalproben bewirken bei Zuschauern stets
den gleichen Effekt. Man kann und mag sich nicht vorstellen, dass
in nur wenigen Tagen Premiere sein soll. Das Chaos scheint zu
groß. Und dann? Geschieht ein Wunder.
Als am 26. April die erste Vorstellung der Oper „Die
Zauberflöte”, die eigentlich ein Singspiel ist, im
U-Bahnhof Bundestag stattfindet, gelingt alles. Die Leute sind
begeistert und verzaubert: Das liegt am Ort, an der Inszenierung
und natürlich und vor allem an der Musik. Diese Musik
schlägt die Menschen seit 1791 in ihren Bann. Seit 217 Jahren
drücken die Zuhörenden leicht ihre Rücken durch und
halten den Atem an, wenn die Königin der Nacht „Der
Hölle Rache kocht in meinem Herzen” singt. Und tun dies
auch, als die Arie im von Kanzleramtsarchitekten Axel Schultes
entworfenen U-Bahnhof erklingt. Rundum fertiggestellt ist die
U-Bahn-Station, in Betrieb geht sie aber voraussichtlich erst 2009.
Warum, mag mancher gedacht haben, sollen hier später hohle
Lautsprecheransagen erklingen? Wäre es nicht viel
schöner, wenn ... ach, lassen wir das.
Der polierte Sichtbeton der Wände, Decken und
Stützelemente ist eine ideale Projektionsfläche für
zauberhafte und verzaubernde Bilder, entworfen und arrangiert von
der Videokünstlerin Tina Zimmermann. Die strenge Askese des
Raumes wird gebrochen durch die Üppigkeit einer Inszenierung,
die den Spagat zwischen Märchen und Moderne wagt. Und in fast
allen Punkten auch schafft. Zu verdanken ist dies natürlich
zuerst dem Regisseur und Dirigenten Christoph Hagel. Kein
Unbekannter in diesem Metier, denn vor zehn Jahren gelang ihm mit
„Zirkus um Zauberflöte” an der Seite von George
Tabori ein großer Erfolg. Nun hat er die U-Bahn gewählt,
weil sie, wie er sagt, ein sozialer Raum aus zufälligen
Begegnungen ist, schicksalhaft, aber auch banal. „Die
konzentrierte Stadt, sozusagen.”
Am Abend der Generalprobe, fünf Tage vor der Premiere,
füllt sich die „konzentrierte Stadt” vor allem mit
zwei Gruppen Menschen: den Akteuren und den Beobachtern der Akteure
in Gestalt eines großen Medientrosses. Während die
seltsamsten Figuren über den Bahnsteig wandeln, Scheinwerfer
lange Schatten an die Wände werfen, baut „die vierte
Gewalt” ihre wahrhaft beeindruckende Technik im Souterrain
des Parlamentsviertels auf: Kamerateams und Fotografen kämpfen
um die besten Plätze. Auf der Balustrade singt sich Tamino, in
klassisches Outfit der Mozartzeit gewandet, ein. Leise tönt
sein Tenor, und Bruchstücke von „Dies Bildnis ist
bezaubernd schön” wehen herüber zu denen, die es
sich hier oben bequem gemacht haben.
Liebling der Inszenierung
Über den Bahnsteig schreitet in einem funkelnden schwarzen
Kleid, den kahlen Kopf umrahmt von Glas, Strass und Metall, die
Königin der Nacht. Drei leicht bekleidete Damen in Lack und
Leder, mit Peitschen bewaffnet und tief dekolletiert, räkeln
sich auf den harten Bahnsteigbänken, an eine Säule
gelehnt steht Papageno, ein moderner Taugenichts mit
Irokesenfrisur, ein Penner mit schwarz umrandeten Augen, ein
Antischwiegersohn. Papageno alias Jan Plewka wird sicher —
das weiß man schon in dem Moment —, obwohl kein
Opernsänger, der Liebling der Inszenierung werden. Der
Ex-Frontmann der Hamburger Band „Selig” hat nach
eigenen Aussagen unzählige Stunden Gesangsunterricht genommen,
um mit- und standzuhalten, denn er gehört nun zu einem
Ensemble wahrhaft guter Stimmen. Und führt eine witzige
Tradition fort, denn auch bei der Uraufführung war Papageno
kein ausgebildeter Sänger, sondern wurde vom Librettisten der
Zauberflöte, dem Intendanten und Schauspieler Emanuel
Schikaneder, gegeben.
Text: Kathrin Gerlof
Erschienen am 18. Juni 2008
U-Bahnlinie 55
Bereits in den 20er-Jahren wurde überlegt, eine U-Bahn zu
bauen, die das Stadtzentrum mit Moabit verbindet.
Weltwirtschaftskrise, Krieg, die Teilung der Stadt verhinderten
jeden neu aufgelegten Plan für eine solche Linie. Erst nach
1994 entstand ein U-Bahn- Tunnel vom Simsonweg bis nördlich
der Spree zum heutigen Hauptbahnhof. Realisiert wird nun erst
einmal eine „Insellösung”, die U55 wird auf 1.900
Meter Länge, davon 400 Meter unterirdisch, zwischen
Hauptbahnhof und Brandenburger Tor fahren. Zwischen den beiden
Endstationen liegt der U-Bahnhof Bundestag, zwischen dem
Paul-Löbe-Haus des Bundestages und dem Kanzleramt. Zur
Leichtathletik-WM 2009 soll die U-Bahn fahren, ab 2010 soll die
Strecke bis zum Alexanderplatz weitergebaut werden. Der U-Bahnhof
Bundestag ist 3.000 Quadratmeter groß, die Halle ist acht
Meter hoch und wird von asymmetrisch angeordneten Säulen
strukturiert.