Die Straße schlängelt sich durch den Ort. Es geht steil bergab, eine Rechtskurve, eine Linkskurve, dann gerade durch den Kreisel. Das Handy piept. Eine Kurzmeldung ist eingetroffen: "Mobistar heißt sie in Belgien willkommen!" Fast ohne es zu bemerken, hat der Reisende eine Staatsgrenze überquert. Eine sichtbare Grenzlinie gibt es nicht mehr, nur im virtuellen Raum der Funknetze existiert sie noch. "Wenn man hier lebt, nimmt man die Grenze nicht wahr. Als ich bei einer Familienfeier vor der Einführung des Euro sah, wie meine Verwandten in Panik gerieten, konnte ich das nicht verstehen. Für uns war es immer selbstverständlich in drei Währungen zu rechnen. Jetzt wird doch alles einfacher", sagt Barbara Frohnhoff.
Sie wohnt in Mützenich. Durch den Eifel-Ort westlich von Monschau führt die deutsch-belgische Grenze. Die Bewohner von Eifel und Hohem Venn überqueren die Grenze wie selbstverständlich in beide Richtungen. Sie haben hüben ihren Landmaschinenhändler und drüben den Tierarzt. "Die Meinung der Deutschen von den Belgiern und umgekehrt ist sehr persönlich. Es gibt aber immer noch Typen mit Ressentiments", weiß Frohnhoff. Natürlich gebe es die üblichen Kneipenauseinandersetzungen und die Geschichte vom Belgier, der dem Deutschen die Frau ausgespannt hat. Aber das sei kein wirkliches Thema. "Vielmehr ist zu beobachten, wie die einen die Angewohnheiten der anderen annehmen und so ein Austausch stattfindet", sagt Frohnhoff, die als Tourismusmanagerin mit ihren Kollegen auf der belgischen Seite daran arbeitet, die Region als Ganzes zu vermarkten.
Sie entwickeln gemeinsam grenzüberschreitende touristische Angebote. Das neueste klingt abenteuerlich und hat seinen Bezug in der bewegten historischen Entwicklung der Grenzregion. Nach Jahrhunderte langem Tauziehen ist das Königreich Belgien heute ein Bundesstaat mit drei autonomen Gemeinschaften, drei Regionen und vier Sprachgebieten. Neben der Flämischen und der Französischen Gemeinschaft gibt es die kleine Deutschsprachige Gemeinschaft. Sie engagiert sich stark für den europäischen Gedanken und ist in diesem Jahr (neben Madeira) als "Europäische Region des Jahres" von der Initiative "The European Region of the Year" gekürt worden.
Außerdem gibt es das Sprachenprojekt 2004 der Pädagogischen Dienststelle des Ministeriums der Deutschsprachigen Gemeinschaft. Bei diesem Austausch kommen zwölfjährige Schüler aus der Französischsprachigen in Familien der Deutschsprachigen Gemeinschaft. So lernen sie die Eigenheiten, Kultur und Küche des Nachbarn kennen. Deutsche Besucher haben keine Orientierungsprobleme bei ihren belgischen Sprachverwandten. Und wer durch Eupen fährt, erblickt bisweilen auf Wahlplakaten Bekanntes aus der Heimat: Der Kandidat, der dort von Laternenpfählen herab für sich wirbt heißt - Schröder. Es gibt eben viele Anknüpfungspunkte in der Region zwischen Malmedy und Monschau.
"Mein 'Lieblingsbaby' ist das Projekt Schmuggelroute mit der Idee einer erweiterten grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Städte Monschau und Eupen", sagt Frohnhoff. Auf belgischer Seite ist die Volkshochschule der Ostkantone mit im Boot. Bei der Schmuggelroute geht es um Geschichte und Geschichten rund um den illegalen Transport von Kaffee, Speck und Menschen. "In Kalterherberg wurden Juden vor den Nazis außer Landes gebracht. Eben auch geschmuggelt", sagt Frohnhoff. Seit Mai erfahren die Teilnehmer etwa die Geschichte vom Pfarrer, der nach Köln zum "Klingelpütz" reiste - der damals im Volksmund "Eifeler Botschaft" hieß -, um die 40 inhaftierten Schmuggler aus Mützenich frei zu bekommen, damit ein Fußballspiel steigen kann, oder vom Schmuggler, der für ein Stück Speck sein Leben riskierte. "Es sind traurige und besinnliche, aber auch ungewöhnliche Geschichten, die Deutsche und Belgier teilen", sagt Frohnhoff. Es wird berichtet von Schmugglerkönigen und einer Schmugglerkonferenz im Zweiten Weltkrieg, bei der sich Deutsche, Belgier und Niederländer über die Routen verständigten und sich gegenseitig schützten. Die Bewohner der Grenzregion werden in der Zukunft noch enger zusammenrücken, ist sich Frohnhoff sicher, und viele Deutsche sagen bereits: "Im Alltag ist uns Brüssel näher als Berlin." Anke Vehmeier
Die Autorin ist freie Journalistin in Bonn.