Zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte Jemens hatte der amtierende Präsident einen ernst zu nehmenden Gegenkandidaten. Mit Faisal Bin Schamlan trat gegen ihn ein er einen Wettbewerber aus dem Süden an, dem Meinungsumfragen bis zu 40 Prozent der Stimmen attestieren. Dementsprechend blutig verlief der Wahlkampf: Mindestens 30 Menschen wurden getötet, Hunderte verletzt. "Saleh wusste, er kriegt dieses Mal keine 96 Prozent der Stimmen mehr", kommentiert ein diplomatischer Beobachter in Sanaa das Geschehen. Auch der Jemen ist im Umbruch. Ursprünglich wollte der Präsident, der vor 64 Jahren in der Provinz Sanaa geboren wurde, gar nicht mehr antreten. Doch die Mehrheit der Parlamentsabgeordneten "bat" ihn, ein weiteres Mal für das höchste Amt im Staate zu kandidieren. In der 2003 gewählten Volksvertretung hält Salehs Regierungspartei GPC (Allgemeiner Volkskongress und ehemalige Einheitspartei des Nordens) die meisten der 301 Sitze. Die islamische Islah-Partei ist mit 45 Abgeordneten stärkste Oppositionskraft, gefolgt von der Sozialistischen Partei Jemens, die früher im Süden regierte, mit sieben Sitzen. Es folgen weitere kleine Gruppierungen, die nur ein bis zwei Abgeordnete stellen. Anders als vor sieben Jahren - damals scheiterte die stärkste Oppositionspartei am Votum der Parlamentsmehrheit und durfte keinen Gegenkandidaten stellen, Saleh gewann mit über 96 Prozent der Stimmen die Wahl - schlossen sich dieses Mal sämtliche Oppositionskräfte zusammen und einigten sich auf einen Kandidaten, Faisal Bin Schamlan. Er ist ein angesehener Mann aus der Provinz Hadramaut im Südosten, eine geachtete Figur des öffentlichen Lebens. Schamlan war Minister für Infrastruktur und Öl im sozialistischen Südjemen und ist seit der Vereinigung des Landes Abgeordneter im Parlament. Mit seiner Kandidatur ist der Nord-Süd-Konflikt auf die politische Bühne zurückgekehrt. "Wir haben Fehler gemacht", gibt Abu Bakr Al-Qirbi, Jemens Außenminister, im Gespräch zu. Die Reformen seien zu langsam angegangen worden, das Investitionsklima sei nach wie vor schlecht. Hohe Steuern, Zölle und ein erschwerter Immobilienerwerb verhinderten Geschäfte. Einzig die Sicherheit sei in den verstärkt worden. Polizisten und Ordnungshüter sind mittlerweile im ganzen Land präsent. Die zeitweiligen Entführungen von Ausländern werfen international ein schlechtes Licht auf das Land. Die Einheit Jemens sei ein schwieriger, steiniger Weg. Doch sei sie unerlässlich für die Stabilität in der Region. Vier Jahre nach der Unterzeichnung des Einigungsvertrages, kam es im Mai 1994 erneut zu Gefechten zwischen nord- und südjemenitischen Einheiten. Für die Regierung in Sanaa war der Krieg eine "Meuterei von Separatisten" aus abtrünnigen Militärs und Politikern. Im Juli 1994 wurde das südjemenitische Aden durch nordjemenitische Truppen erobert. Ali Abdullah Saleh hat seitdem aber große Schwierigkeiten, sich im Süden durchzusetzen. Regierungsarmee und -polizei kontrollieren noch längst nicht alle Provinzen des Landes, berichten politische Beobachter in Saana. Auch der Präsident müsse sich in einigen Provinzen noch vorher anmelden, wenn er sie besuchen oder durchfahren wolle. Nicht alle Stammesfürsten Jemens sind mit Saleh einverstanden. Doch die Tendenz zur Kontrolle des ganzen Landes durch die Regierung in Sanaa steigt. Durch verstärkte Investitionen in Infrastruktur und Bildung will der Präsident nun die Herzen vor allem der Bewohner des Südens erobern. Die Residenz des Außenministers ist bescheiden und entspricht dem Charakter des Hausherrn. Einen Hauch von Glanz, den sein Amt zuweilen mit sich bringt, hängt an der Wand des Gartenhauses, wo Abu Bakr Al-Querbi schnelle Besuche nach der Mittagsruhe empfängt. Auf den Fotos ist der kleine, schmächtige Mann mit George und Laura Bush zu sehen. Er schüttelt die Hand von Joschka Fischer und vielen anderen Außenministern und ehemaligen Kollegen aus der ganzen Welt. "Jemen ist ein wichtiger politischer Spieler in der Region", lenkt der Mediziner von seiner Person ab und betont die strategische Lage des Landes am Bab al-Mandab, dem Tor zwischen Rotem Meer und Golf von Aden. Auf der anderen Seite liegt Dschibuti, wo ein französischer Flottenstützpunkt auch die deutschen Fregatten aufnimmt, die im "Krieg gegen den Terror" die Gewässer am Horn von Afrika kontrollieren. Sanaa kooperiert zwar mit den amerikanischen Behörden im Anti-Terror-Kampf. Doch die Anschläge auf die US-Fregatte Cole im Oktober 2000 und den französischen Tanker Limbourg zwei Jahre später im Hafen von Aden haben gezeigt, dass Al-Qaida auch hier keine Unbekannte ist. Im US-Lager Guantanamo auf Kuba waren Ende 2005 noch 106 Jemeniten inhaftiert, die des Kampfes für Al-Qaida und das Taliban-Regime in Afghanistan beschuldigt werden. Auch Osama bin Ladens Familie stammt aus dem Jemen. Die Regierungsverantwortlichen wollen diese Fragen nicht aufkommen lassen. Jemen sei weit davon entfernt, zu den Terror-Ländern zu zählen, weist Abdul Hadi Al-Hamdani, etwaige Verbindungen seiner Landsleute zur Terror-Szene rigoros zurück. Gleichwohl gibt der Vize-Direktor des Präsidentenbüros zu, dass das soziale Klima im Land Nährboden für Extremismus bilden könnte. Mit durchschnittlich 550 US-Dollar (Weltbank 2005) ist der Jemen eines der ärmsten Länder der Welt. Dabei ist der Jemen eigentlich ein reiches Land. Es gibt Öl, wenn auch nicht so viel wie in den Nachbarstaaten Saudi-Arabien und Oman. Die Gasvorkommen werden auf 480 Milliarden Kubikmeter geschätzt. Bei einer Küstenlinie von mehr als 2000 Kilometern und einem großen Fischreichtum im Roten Meer und dem Golf von Aden, ist die Fischereiindustrie ein wichtiger Einkommenszweig. Auch der Boden in dem 22 Millionen Einwohner zählenden Land gibt einiges her: Gold, Kupfer, Eisen und Steinsalze werden in kleinen Mengen abgebaut, aber nur wenig exportiert. Warum also sind die Jemeniten so bettelarm? "Wir fördern täglich 450.000 Fass Rohöl", beantwortet der Außenminister die Frage. "Das ist halb so viel wie unser Nachbar Oman, wo aber nur etwa ein Zehntel der Einwohner Jemens leben." Vom Erlös müsste knapp die Hälfte an die fördernden Ölgesellschaften abgeführt werden. Ein anderer Teil geht in die Raffinerie, die hoch subventionierten Treibstoff für den Binnenmarkt produziert. "Unterm Strich bleibt also nicht allzu viel übrig", klagt Al-Querbi. Die Ölvorräte reichten ohnehin nur noch knapp 20 Jahre bei gleichbleibender Förderung. Das Bevölkerungswachstum sei aber enorm und "das Öl ist unsere wichtigste Einnahmequelle". Abdul Hadi Al-Hamdani nennt andere Gründe für die drückende Armut in seinem Land. Der Vereinigungsprozess verlaufe schleppender als in Deutschland, wo es einen "Reichen" gegeben habe, der den Armen unterstützt hat. "Bei uns haben sich zwei Arme vereinigt", sagt der Assistent des Präsidenten. Hinzu sei gekommen, dass unmittelbar nach der Vereinigung der Kuwait-Krieg ausbrach, in dem Jemen sich nicht eindeutig auf die Seite des mächtigen Nachbarn Saudi-Arabien gestellt habe. Die dringend benötigte Finanzhilfe wurde gestrichen, mehr als eine Million jemenitische Gastarbeiter nach Hause geschickt. Heute ist Deutschland mit 73 Millionen Euro für 2005/2006 das wichtigste Geberland Jemens. Doch es gibt auch andere Stimmen, die von einer weit verzweigten Korruption als Grund für die Armut künden. So bezeichnet der Herausgeber der englischsprachigen Zeitung "Yemen Observer", Faris Al-Sanabani, die Kampagne zur Bekämpfung der Korruption als "einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung". Hierfür sei ein Komitee gegründet worden, das eine Hotline eingerichtet habe. Plakate und Anzeigenkampagnen riefen die Menschen dazu auf, Vergehen zu melden, denen dann nachgegangen werde. Al-Sanabani ist optimistisch, dass sich die Lage verbessert. Skeptischer über die Behebung der Armut ist Jochen Renger, Leiter der Wasserprogramme, die die GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit) im Namen der Bundesregierung im Jemen durchführt. Für ihn liegt einer der Gründe auch im Verhalten der Einwohner selbst und deren hemmungslosem Konsum von Kat. "Catha edulis" ist ein bis zu vier Meter hoher Strauch, dessen zarte Triebe gekaut werden und eine berauschende Wirkung erzielen. Eine Umfrage der GTZ zur Einkommenssituation jemenitischer Haushalte und zur Berechnung des künftigen Wasserpreises habe ergeben, dass rund 30 Prozent des Haushaltsbudgets für Kat ausgegeben werde. "Das Kauen der Blätter ist zur Volksdroge geworden", fasst Renger das Ergebnis zusammen. Fast 90 Prozent der Männer kauen täglich Kat und immerhin schon 35 Prozent der Frauen. Mit steigender Tendenz. Der neue-alte Präsident wird sich auch daran messen lassen müssen, wie er mit diesem Phänomen umzugehen gedenkt.