Die Opposition forderte erneut den Rücktritt des auch für Verbraucherschutz zuständigen Umweltministers Werner Schnappauf. Doch der beteuert ständig, dass die Vorwürfe, er habe versagt, jeder Grundlage entbehrten. Die Fleisch- und Lebensmittelkontrollen in Bayern seien effizient. Der Minister beugte auch gleich vor und kündigte an, dass der nunmehr erhöhte Kontrolldruck sicher zu weiteren Entdeckungen führen werde. Bei mehr als 200.000 Lebensmittelbetrieben könne man aber nicht jedes Schnitzel überprüfen.
Nebenbei entwickelte sich aus den Skandalfällen ein Kompetenzstreit Schnappaufs mit CSU-Bundesminister Horst Seehofer um die Fleischkontrolle. Seehofers Sticheleien und Vorwürfe gegen den Parteifreund, nicht intensiv genug zu kontrollieren, werden auch als indirekte Attacken gegen Ministerpräsident Edmund Stoiber gewertet. Diesen will CSU-Vize Seehofer nach Ansicht vieler Beobachter bei nächster Gelegenheit als Parteivorsitzenden beerben.
Vor dem Umweltausschuss des Landtags kündigte Schnappauf jetzt Sofortmaßnahmen an, die das Kabinett unmittelbar zuvor beschlossen hatte und die das Kontrollsystem den kriminellen Machenschaften im internationalen Fleischhandel anpassen sollen. Dazu gehören eine interdisziplinäre Spezialeinheit aus Tierärzten, Lebensmittelchemikern, Juristen, Technologen und EDV-Spezialisten (Sollstärke ab Oktober 35 Mann), staatsanwaltliche Befugnisse für die staatlichen Veterinärbeamten, Rotation des Kontrollpersonals, bei größeren Betrieben die Auflage eines EDV-gestützten Systems zur Kontrolle des Warenflusses, ferner die Aufforderung zur Zertifizierung der Betriebe. Ohne Versäumnisse einzuräumen, versprach der Minister, alles zu tun, um bestmögliche Sicherheit beim Lebensmittelkauf zu gewährleisten und ramponiertes Vertrauen der Verbraucher wieder herzustellen.
Die Opposition sprach von "Verbrauchertäuschung". Sie hält die angekündigten Maßnahmen für ungenügend und erinnerte an wiederholt angekündigte ähnliche Programme, die zum Teil nicht umgesetzt worden und wirkungslos geblieben sind. Die SPD kreidete dem Minister "Organisationsversagen" (Ludwig Wörner) an und monierte, dass bisherige Kontrollen häufig vorher angekündigt worden seien. Wie bekannt wurde, hatten sich in der vorausgegangenen Kabinettssitzung auch mehrere Minister mit Schnappaufs Krisenmanagement unzufrieden gezeigt.
Im jüngsten Gammelfleisch-Skandal haben die Kontrolleure erst nach Insider-Hinweisen im Kühlhaus eines Münchner Großhändlers 96 Tonnen verdorbenes Fleisch festgestellt. Der Großhändler, der daneben auch einwandfreie Ware führte, nahm sich inzwischen das Leben. Zu seinen zahlreichen Abnehmern auch in anderen Bundesländern gehörten nicht nur Asia- und Döner-Lokale, sondern ebenso Traditionsgaststätten in der Münchner Innenstadt.
Vorausgegangen und ergebnislos geblieben waren seit 2004 freilich acht Kontrollen bei dem Großhändler, obwohl von Mannheimer Behörden Hinweise auf falsch deklarierte Hähnchenkeulen eingegangen waren. Mittlerweile hat die Regierung von Oberbayern den Leiter des staatlichen Veterinäramts in München und einen Amtstierarzt von ihren Aufgaben entbunden.
Auf größere Mengen überständiges und teils umetikettiertes Fleisch, das für den Verzehr nicht mehr geeignet war, stießen die Behörden zuletzt auch im niederbayerischen Metten und im oberfränkischen Rehau. Im letzteren Fall konnte der Weg der bereits übelriechenden Ware über einen rheinland-pfälzischen Großhändler und einen italienischen Importeur bis nach Chile zurückverfolgt werden.
Bereits im Oktober vergangenen Jahres hatte ein Fleischskandal größten Ausmaßes in Deggendorf für Schlagzeilen gesorgt, nachdem 2.600 Tonnen Schlachtabfälle statt im Tierfutter in menschlicher Nahrung gelandet waren. Schnappauf sprach von einem "ekelerregenden Dreckszeug" und kündigte an, ein Exempel zu statuieren. Im Februar erschütterte der Passauer Wildfleischskandal die Verbraucher, als bekannt wurde, dass 1.100 Tonnen verdorbene Ware in den Handel gebracht worden waren. Der Fall hat unter anderem zu einem Untersuchungsausschuss im Landtag geführt. Schnappauf versprach "brutalstmögliche Aufklärung" und "knallharte Konsequenzen". Er kündigte eine "Task Force" von 35 Fachleuten an und versprach, mit "rigorosen Kontrollen" und "mit aller Härte" gegen "Schwarze Schafe" vorzugehen.
Unterdessen fragten sich angesichts des jüngsten Münchner Skandals nicht wenige, warum der ankündigungsstarke aber offenbar umsetzungsschwache Minister nicht längst seinen Hut genommen hat - oder ersatzweise von Stoiber gefeuert worden ist. Noch im Gedächtnis ist das Schicksal der damaligen Gesundheitsministerin Barbara Stamm - heute Landtagsvizepräsidentin, die während der BSE-Krise gehen musste, nur weil sie zu spät von einem internen Hinweis auf mangelhafte Futtermittelkontrollen erfahren hatte.
Schnappauf hatte sich zudem bei vielen Tierfreunden unbeliebt gemacht, als er im Frühsommer den aus Tirol eingewanderten Braunbären Bruno erst herzlich willkommen hieß, ihn aber nach einigen Übergriffen und fehlgeschlagenen Einfangaktion erschießen ließ. Andererseits erntete Schnappauf mit Hochwasser-Vorsorge und seinem Vorgehen gegen Feinstaubbelastung auch einige Anerkennung, sodass er schon als möglicher Nachfolger von Innenminister Günther Beckstein oder als künftiger Chef der Staatskanzlei gehandelt wurde.
Dass Schnappauf, zugleich oberfränkischer CSU-Bezirkschef, wenigstens vorerst noch einigermaßen fest im Sattel sitzt, verdankt er vor allem seinem Förderer Stoiber, der den damaligen Kronacher Landrat 1998 als Seiteneinsteiger ins Kabinett geholt hatte und seither dessen "unglaubliche Tatkraft", Kompetenz und Zuverlässigkeit rühmt. Seine Verteidiger verweisen gern auf Innenminister Beckstein, dem kriminelle Taten von Rechtsbrechern auch nicht angelastet würden. Dagegen hat der Oberfranke wenige wirkliche Freunde im Kabinett und in der CSU-Landtagsfraktion, wo die vielen Gammelfleisch-Skandale Unbehagen auslösen. So sind Zweifel an den Fähigkeiten des Ministers längst auch in den eigenen Reihen laut geworden.
Paradoxerweise sind nicht zuletzt Seehofers Angriffe auf den bayerischen Amtskollegen und Partei-"Freund" eine Art Bestandsgarantie für Schnappauf, weil sich das bayerische Kabinett von dem bereits öfters quer schießenden Seehofer nicht öffentlich belehren lassen will - schon gar nicht, wenn er am bayerischen Kontrollsystem herummäkelt, innerparteilichen Unfrieden schürt und mehr Bundeskompetenzen im Lebensmittelrecht verlangt.
Schnappauf verlangt seinerseits vom Bund höhere Strafen als Abschreckung für die "Saubären", wie er die Gammelfleisch-Täter gern nennt. Wer mit Gammelfleisch eine Million verdiene, zahle nachher gern nur 20.000 Euro Strafe. Ebenso wartet der Minister auf das neue Verbraucherinformationsgesetz, um Sünder öffentlich an den Pranger stellen zu können.
Stoiber schreckt aber auch deshalb vor einer Entlassung seines getreuen Gefolgsmanns Schnappauf zurück, weil dieser Schritt wohl eine größere Kabinettsumbildung zur Folge hätte - mit allen Unwägbarkeiten durch enttäuschte Bewerber. In der CSU stehen Vorstandswahlen an, und dann beginnt der Wahlkampf für die Bayernwahl 2008. Da kann Stoiber, der nach seiner Flucht aus Berlin im Freistaat wieder Boden gutgemacht hat und noch einmal antreten will, keinen Ärger im eigenen Haus gebrauchen.