Zwischen Pferdekoppeln und sanften grünen Hügeln liegt die Jugendbegegnungsstätte Walberberg. Ein Fußweg führt vom idyllischen Städtchen durch ein kleines Waldstück steil nach oben. Dort, in ruhiger Abgeschiedenheit und weit entfernt von Bomben und Raketen, treffen 30 israelische und 30 palästinensische Jugendliche aufeinander. Sie kommen aus dem Norden Israels und aus der Westbank. Die Israelis haben beim jüngsten Krieg Angriffe und Nächte in Bunkern erlebt. Von den Palästinensern haben einige Angehörige bei Kämpfen mit dem israelischem Militär verloren. Trotzdem oder gerade deshalb sind sie gekommen, um mehr voneinander zu erfahren. Die Situation ist für alle neu: "Zum ersten Mal sehe ich Israelis, die nicht Soldaten oder Siedler sind", sagt der 23-jährige Salim. "Ich kann sie treffen und mit ihnen über den Frieden reden, das ist gut". Ähnlich geht es der 24-jährigen Nogah - die Israelin spricht zum ersten Mal mit Palästinensern über deren Leben im Westjordanland. "Ich bin geschockt über das, was ich erfahren habe", sagt sie. "Diese Begegnung hat mir die Augen geöffnet." Deutliche Ablehnung untereinander Ferien vom Krieg ist ein Begegnungsprogramm für Kinder und Jugendliche aus verfeindeten Regionen. Die ersten Treffen dieser Art, nur durch Spenden finanziert, organisierte das Komitee für Grundrechte und Demokratie aus Köln bereits vor 13 Jahren - damals ausschließlich für Serben, Kroaten und bosnische Muslime. Seit vier Jahren bringen die ehrenamtlichen Koordinatoren junge Israelis und Palästinenser zusammen. Drei Gruppen kommen jedes Jahr nach Deutschland. Seminare und Diskussionen, auf politischer wie persönlicher Ebene, stehen für die Teilnehmer im Alter von 16 bis 27 Jahren auf dem Programm. Doch in diesem Jahr, inmitten der zugespitzten Kriegssituation noch vor dem Waffenstillstand, ist das Zusammentreffen besonders schwierig. "Alle standen unter dem Einfluss des aktuellen Konflikts", berichtet Projektleiter Albert Scherr, Soziologieprofessor aus Freiburg, von den ersten Tagen. Die Israelis fühlten sich von der palästinensischen Seite bedroht, die Paläs-tinenser ihrerseits demonstrierten Stärke. Der erste Projekttag begann mit einer Provokation: Nogah erzählt, dass die Palästinenser mit Landkarten in Grün - der Farbe des Islam - erschienen seien. Einen Staat Israel gab es auf diesen Karten nicht. "Das kann nur so verstanden werden, dass sie unser Recht auf ein eigenes Land nicht akzeptieren", sagt die Kunststudentin. Auch Scherr empfand die Ausgangslage als schwierig: "Anfangs gab es eine deutliche Abgrenzung und Konfrontation zwischen den Gruppen", sagt er. Die Paläs-tinenser haben vor allem ihre ärmliche, von Mangel geprägte Lebenssituation unter der Besatzung verdeutlichen wollen. Die Israelis äußerten Verständnis, fühlten sich aber auf der Anklagebank. Schon zu Beginn war klar: Erholsame Ferien würden die folgenden zwei Wochen nicht werden. Im Gegenteil. "Das Projekt geht an die Grenze dessen, was psychisch aushaltbar ist", so Scherr. Umso erstaunlicher, dass sich die jungen Teilnehmer in den kommenden Tagen dennoch mehr und mehr aufeinander zu bewegt haben. Nach eineinhalb Wochen ist der Perspektivenwechsel möglich. Auf beiden Seiten ist Verständnis gewachsen. "Jeder hier hat eine Geschichte", sagt Nogah. Sie schildert die eines palästinensischen Mädchens, das miterleben musste, wie ihr Bruder bei einer Militäraktion erschossen wurde. "Sie hat sehr radikale Ansichten, aber kann ich sie, nach dem, was sie erlebt hat, beschuldigen?" Die junge Friedensaktivistin hat schon vor vier Jahren ihren Militärdienst abgeleistet. Obwohl sie Gewalt in jeder Form ablehnt, fühlt sie sich für die Aktionen der israelischen Armee verantwortlich. Zudem findet sie, dass Israel eine Verteidigung braucht. Dem jüngsten Krieg steht sie dennoch kritisch gegenüber. Ein Dilemma für die junge Frau. "Ich kann die Dinge allein nicht ändern, aber zumindest kann ich hier darüber reden", schlussfolgert sie. Auch Salim hat bei den Gesprächen gute Erfahrungen gemacht. Zu Beginn, dazu hatten ihm seine Eltern geraten, war er vorsichtig mit seinen Äußerungen. Sie könnten missverstanden werden, fürchtete er. Doch seine Unsicherheit ist nach und nach gewichen: "Ich habe herausgefunden, dass ich hier frei sprechen kann", sagt er. Salim ist zum ersten Mal im Ausland. Wie die anderen Palästinenser ist er über Jordanien ausgereist. Sein jüngerer Bruder ist auch dabei. Es ist nicht selbstverständlich, dass die Palästinenser Rückendeckung von ihren Familien für den Aufenthalt bekommen. Wie Scherr berichtet, hätten sich einige schon Ausreden einfallen lassen müssen, um nach Deutschland zu reisen: Zu Hause erzählten sie, sie würden deutsche Jugendliche treffen - dass sie in Wirklichkeit Israelis begegnen, hätten sie verheimlicht. Denn sie fürchteten, sich nach ihrer Rückkehr vor Andersdenkenden rechtfertigen zu müssen. Diese Angst hat Salim nicht. Zurück in Nablus will er seine positiven Erfahrungen weitergeben. "Ich werde versuchen, mehr Leute für gewaltfreie Lösungen zu gewinnen", sagt er. Nach fast zwei Wochen Austausch und Diskussion haben die jungen Israelis und Palästinenser viel voneinander erfahren. Doch zahlreiche Ansichten bleiben verschieden. Salim nennt das die "sensitive points" - die empfindlichen Punkte. Vor allem über religiöse Vorstellungen könne man schwer diskutieren, meint er. Beispielsweise der Streit um die Al Aksa Moschee in Jerusalem: Wer hat Anspruch auf den heiligen Ort, Juden oder Moslems? Nicht einfach sei es auch, so Salim, über Selbstmordattentate zu sprechen. Er habe versucht zu erklären, warum es zu solchen Angriffen kommt. Seiner Ansicht nach spielen viele Faktoren eine Rolle - religiöse, soziale und politische. Auch das Gefühl der Menschen, dass es keine Hoffnung gibt. "Wir haben versucht, unsere Seite zu erklären, aber bei empfindlichen Themen ging Vertrauen verloren", berichtet er. Man habe erwidert, für Selbstmordattentate gebe es keinen Grund. Salim fühlte sich missverstanden. Unabhängig von den jeweiligen Themen, ist für die Jugendlichen die Verständigung untereinander schwer. Nicht alle sprechen fließend englisch. Während der Gruppengespräche wird deshalb ins Arabische und Hebräische übersetzt. Danach sind die Teilnehmer auf sich selbst angewiesen. Verständnis für wütende Palästinenser Auch Nogah erinnert sich an anstrengende Gespräche. "Die Palästinenser vertrauen uns Israelis nicht", sagt sie. "Das liegt an ihrer Lebensrealität. Wie sollen sie über ihren Ärger hinwegkommen?" Sie hat sich so intensiv mit den Argumenten der anderen Seite auseinandergesetzt, dass sie glaubt, nach dem Kurs viel zu pro-palästinensisch zurückzukehren, erzählt sie lächelnd. Sie hat viel von der Begegnung mitgenommen. "Ich verstehe, warum die Palästinenser wütend sind, radikal werden und im Namen der Freiheit töten." Doch der Kreislauf der Gewalt macht ihr Sorgen. "Das Problem der Palästinenser ist, dass sie ihrem Protest durch Kampf Ausdruck verleihen", sagt sie kopfschüttelnd. Man merkt ihr die Anstrengung der letzten Tage deutlich an. Salim und Nogah meinen beide, dass man letztendlich mehr Zeit brauche, um sich mit allen Fragen intensiv auseinander zusetzen. Vorerst brauchen sie aber eine Pause, sie sind erschöpft. Die Nachhaltigkeit dieses Treffens, so formuliert es Scherr, bestehe in den individuellen Lernprozessen. Persönliche Treffen untereinander sind aber nach der Rückkehr kaum möglich: Für die Palästinenser ist es äußerst schwierig, eine Reiseerlaubnis nach Israel zu kommen. Die Israelis können nicht ungefährdet in die Westbank reisen. Es bleibt die Möglichkeit des E-Mail-Kontakts, Salims Hoffnung auf einen eigenen palästinensischen Staat und Nogahs größter Wunsch: Frieden.
www.grundrechtekomitee.de www.ferien-vom-krieg.de