Der linksliberale Philosoph Otto Kallscheuer tritt in seinem jüngsten Buch als Apologet der "Wissenschaft vom Lieben Gott" auf. Die Religion feiere heute ein Comeback, sie sei wieder im öffentlichen Diskurs präsent, so eine seiner zahlreichen provokanten Thesen. Er teilt nach allen Seiten aus und ganz in der linkselitären Attitüde verhaftet, traut er seinen Lesern nicht zu, sich im unübersichtlichen Terrain von Glaube, Agnostizismus und Atheismus selbst zurechtzufinden. Ergo bedürfen sie einer Anleitung.
Der Autor geht dann aber völlig undogmatisch vor, was seinem Werdegang als gelernter Philosoph, habilitierter Politikwissenschaftler und freier Autor entspricht. Er referiert sowohl die Positionen der Kirchenväter bei Augustinus beginnend, als auch die der Päpste bis zu Benedikt XVI. Katholische und protes-tantische Abweichler kommen ebenfalls zu Wort. Auch an andere Hochreligionen ist gedacht. Vom politisch korrekten Standpunkt aus werden alle Richtungen berücksichtigt. Jedem Dogmatismus abhold, kons-tatiert Kallscheuer: Die Auslegung von Gottes Wort bleibe stets Menschenwort, die Theologie müsse sich deshalb ständig um Selbstvergewisserung bemühen.
"An Gottes Existenz zu glauben, ist keine Besonderheit der biblischen Religion." Folglich stellt der Autor alle Lehren von "Gott" vor: Großen Raum gibt er Christentum, Judentum, Islam, aber auch der Buddhismus und der Polytheismus kommen zu Wort. Warum müssen es immer wieder "Linke" sein, die sich als Trendsetter gerieren können? Sei es nun Matthias Mattussek, Feuilletonchef des "Spiegel", der den Deutschen den Stolz auf ihr Land beibringt, oder Kallscheuer, der eine Lanze für den "Lieben Gott" bricht. Die Auferstehung ist für ihn das zentrale Element des Glaubens, weil ohne sie der Gottessohn ein philosophisches Wort geblieben wäre.
Kallscheuer jedenfalls glaubt fest an den "lieben Gott" - nicht nur, weil er zu Kindszeiten einmal Messdiener war. Alle Argumente, die seinen Glauben stützen, sind in diesem Buch nachzulesen, auch für die "wirklich" Gläubigen, die schon immer geglaubt haben. Es macht einfach Spaß, die eigenen Glaubensüberzeugungen in dieser eleganten und sachkundigen Form zu lesen, schmunzeln zu müssen und sich sogar bestätigt zu fühlen.
Obgleich Philosoph, stehen Kallscheuers theologischen Kenntnisse denen eines Theologieprofessors in nichts nach. Wer ein lammfrommes, katholisches Buch erwartet, wird enttäuscht. Zum Ende kommt der Autor etwas ins Schlingern und konstruiert sich seinen Privatglauben. So behauptet er, die "Globalisierung ist ein Projekt Gottes", und "der Heilige Geist bildet das Medium einer globalen Kommunikation in Freiheit". Der Autor macht sich trotz Intellektuellenskepsis für die Wahrheitsfrage stark, ohne sie zu beantworten. Er argumentiert aber trotzdem für den Glauben und die Vernunft. Dies verlangt aber ein Mitdenken, Mitentscheiden und Mitverantworten, alles Attribute der Tugend der Freiheit und darum geht es im Glauben und darum geht es auch Kallscheuer - deshalb ist das Buch auch so wertvoll.
Otto Kallscheuer: Die Wissenschaft vom Lieben Gott. Eine Theologie für Recht- und Andersgläubige, Agnostiker und Atheisten. Eichborn Verlag, Frankfurt/Main 2006, 488 S., 34 Euro.