Es gibt gute Bücher. Es gibt schlechte Bücher. Es gibt Bücher, die liegen irgendwo dazwischen und dann gibt es Bücher, die man nirgendwo einzuordnen weiß. Sie sind irgendwie amorph. Um es gleich vorweg zu nehmen: Um ein solches Werk geht es hier. Hinter dem suggestiven Titel "Warum wir wieder glauben wollen" verpackt der Journalist Stephan Kulle den Versuch einer persönlichen Erklärung des Unerklärlichen.
Kulle, studierter Theologe, versucht dem Geheimnis des Glaubens auf 250 Seiten ganz persönlich beizukommen - häppchenweise, mal essayistisch, mal eher autobiografisch, dann wieder nacherzählend, fast wie in einem Tagebuch. Wie beim Zappen durchs TV - Kulle ist versierter Kirchenkenner bei Phoenix - wechselt sprunghaft die Sprache von Poesie zur Plattitüde und wieder zurück. Kulle präsentiert ein Sammelsurium von Erinnerungen, Gedanken, Erlebtem. Er erzählt von einem Freund, der - schwer erkrankt - gerne glauben würde, es aber nicht schafft. Er erzählt viel von sich, wo und wie er aufwuchs, was ihn geprägt hat im Leben wie im Glauben - mit 23 Jahren erlitt Kulle bei einem Verkehrsunfall eine Querschnittslähmung, kann aber mittlerweile durch intensives Training wieder laufen. Und er erzählt von Erlebnissen im frühsommerlichen Rom, beim Weltjugendtag in Köln, beim Chatten im Internet und beim Einzug ins Priesterseminar - Kulle wollte eigentlich Pfarrer werden. Es geht buchstäblich um Gott und die Welt. Das macht den Reiz des Buches aus, hat aber auch unweigerlich eine Gedankenzerfaserung zur Folge.
Der Leser wird schwer gefordert, zwischen Kapiteln wie "Braucht es einen Teufel?", "Wer sind wir noch in 200 Jahren?", "Glauben tut doch jeder", "Der heiße Draht nach oben" und "Die Kirchensteuer ist der Tod der Kirchen" den Überblick zu bewahren und den Glauben nicht zu verlieren. Deutlich wird der Facettenreichtum beispielsweise im Abschnitt "Sind wir jetzt alle verrückt geworden?" Auf die dem Titel entsprechende Frage "Ist der Glaube an Gott tatsächlich wieder im Trend?" folgt ein waghalsiger Schweinsgalopp durch Deutschland: Auf Merkel folgt die "Bild"-Zeitung, auf Ex-Außenminister Fischer der "Spiegel", "der Blödeltalker Stefan Raab" hat eine Seite weiter ebenso seinen Platz wie Karl Marx, die EU-Verfassung und die Arbeitslosigkeit in Deutschland. Das alles, um am Ende zu konstatieren: "Ich glaube, wir sind nicht auf dem Weg des Trends zu Gott. Wir haben bestenfalls die Richtung unserer Suche geändert. Doch bleibt die Frage: Wie sieht die Suche aus?"
Den besten Überblick gibt das Register. Dort werden buchstäblich die Pflöcke eingeschlagen, zwischen denen sich die Glaubens-Episoden bewegen: Von A wie "Abd el Farrag, Nadja", Ex-Freundin von Produzent Dieter Bohlen, bis Z wie "Zölibat". Dies ist ein Spagat, der wohlwollend als beeindruckende Bandbreite bezeichnet werden kann, getrost aber auch als gewagt gelten darf.
Andererseits spricht Kulle wohl vielen Menschen aus der Seele, wenn er sich mit der Frage beschäftigt "Warum immer ich?", kann nicht auch mal dem Glückspilz von nebenan etwas Pech widerfahren oder muss ich wegen solcher Gedanken schon ein schlechtes Gewissen haben? Wer Antworten auf solche Fragen erwartet, wird das Buch früher oder später aus der Hand legen. Wer dagegen an Denkanstößen und neuen - wenn auch stellenweise verwegenen - Sichtweisen interessiert ist, wird nicht enttäuscht. Und das Wichtigste: Im Gegensatz zu anderen Autoren erhebt Kulle keinen Absolutheitsanspruch. "Warum wir wieder glauben wollen" ist eine Episoden-Sammlung, die - und das macht sie sympathisch - schon auf dem Umschlag wissen lässt, streitbar zu sein.
Stephan Kulle: Warum wir wieder glauben wollen. Scherz-Verlag, Frankfurt/Main 2006, 256 S., 18,90 Euro.