Bilder sind mächtig und wirken nachhaltig. Wir assoziieren den Vietnamkrieg mit der berühmten Fotografie, auf der unbekleidete Kinder schreiend versuchen, dem Flammen-Inferno zu entkommen. Mit dem Mittelalter verbinden wir triviale Bilder von Bauern, Burgen und Rittern. Afrika "kennen" wir aus dem Fernsehnachrichten als einen armen "Chaoskontinent", in dem Armut, Bürgerkrieg und AIDS grassieren. Tatsächlich sagen diese Bilder fast nichts aus über die sozialen Verhältnisse in den vielfältigen Regionen Afrikas, sie bestätigen eher nur bereits vorhandene Stereotype.
Aber selbst unsere eigenen Erinnerungen fußen vorrangig auf Bildern. Bilder machen nicht nur Geschichte, sondern schreiben auch Geschichte, dies gilt mittlerweile fast als Gemeinplatz der Geschichtswissenschaft.
Bildwelten können aber sehr unterschiedlich rezipiert werden. Der medial vermittelte Atompilz über Hiroshima wird in Europa oder Asien ganz anders rezipiert als in den USA, demonstriert er doch eindrucksvoll die technisch-militärische Überlegenheit der Vereinigten Staaten. In Japan hingegen, so führt der Flensburger Historiker Gerhard Paul, Herausgeber des Sammelbandes "Visual Histiory", an, wurden ebenso wie in den USA bestimmte Bilder aus den letzten Kriegstagen in Japan aus politisch-militärischen Erwägungen jahrzehntelang zensiert. Bilder können nicht nur nationale Empfindlichkeiten und Eitelkeiten tangieren, sondern auch politische Legitimationen in Frage stellen. Bilder können politisch explosiv wirken.
Der selbstbewusste und kompetente Umgang mit Bildern und Bildwelten ist nicht weit verbreitet, viele Menschen erliegen vielmehr der suggestiven Kraft von Fotografien und glauben an den vermeintlichen "Wahrheitsgehalt", solange sie nicht offenkundig retuschiert oder bearbeitet sind. Bilder und Filme können sogar persönliche Erinnerungen in einer so massiven Weise überlagern, dass die subjektiven Erinnerungen so verändert werden, dass sie mit verbreiteten Bilder oder Filmen übereinstimmen, also an diese angeglichen, mit diesen amalgamiert werden.
Tatsächlich aber müssen Bilder ebenso wie Texte kritisch gedeutet werden. Bisweilen kann dies eine mühsame Sache sein. Das ist in unserer Welt, die wir vorrangig aus medial inszenierten Bildern zu kennen meinen und beurteilen, keine besonders beachtete, geförderte oder verbreitete Qualifikation. Dass Bildanalysen aber durchaus lohnende Projekte sein können, macht der Sammelband in vielfältiger Weise deutlich.
Die Autoren haben die unterschiedlichen Genres von Bildern - Plakate, Alltagsfotografie, Filme, Reisekataloge, Werbungsgrafiken, Karikaturen, Bilder von politischen Ritualen - kritisch befragt, bisweilen in angestrengt akademischer, bisweilen aber auch in unmittelbar aufschlussreicher Weise. Akademische Profi- lierungsbemühungen stehen nicht selten der Vermittlung von konkreten Einsichten im Wege. Die Beiträge changieren zwischen unmittelbar erhellenden Analysen etwa zur DDR im visuellen Gedächtnis und solchen, die dem Leser erst einmal langatmige wissenschaftsgeschichtliche Einleitungen in ihren Gegenstand mit gewaltigen Anmerkungsapparaten zumuten, die allenfalls für wenige Spezialisten wichtig sind.
Der "visual turn" jedenfalls, hier mehr beschworen als tatsächlich in der Geschichtswissenschaft bereits praktisch vollzogen, eröffnet spannende Perspektiven, die auch eine breitere öffentliche Aufmerksamkeit verdienen. Denn Bilder, dies demonstriert auch der letzte Bundestagswahlkampf, entscheiden über politische Richtungsentscheidungen mehr als eine klare politische Programmatik. Tatsächlich ist die Macht von Bildern begrenzt, aber dies ist ein anderes Thema, wofür dieser Sammelband auch Anregungen bietet.
Gerhard Paul (Hrsg.): Visual History. Ein Studienbuch. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006; 379 S., 21,90 Euro.