Spätestens seit dem Film "City of God" ("Cidade de Deus") von Fernando Mereilles aus dem Jahr 2002 ist die alltägliche Brutalität in den Armenvierteln Rio de Janeiros hierzulande bekannt. Diesem Thema widmet sich auch der 45-jährige Autor Fernando Molica in seinem jetzt auf Deutsch erschienenem Romandebüt "Krieg in Mirandao". Im Untertitel wird das Werk als "Krimi aus Rio" bezeichnet. Dass mehr als eine Leiche auftaucht, mag Grund für diese Klassifizierung gewesen sein. Weniger genretypisch ist, dass sich die Spannung nicht aus der Aufklärung der Mordfälle herleitet. Schon nach wenigen Seiten ahnt der Leser, dass der Plot nur tragisch enden kann. Trotzdem ist das Buch keineswegs langweilig. In nüchtern-nachrichtenjournalistischem Stil gewährt Molica, Reporter beim Fernsehsender TV Globo, Einblick in den Mikrokosmos Favela. In dem städtischen Slum "Mirandao" sind Gewalt, Drogen und Aussichtslosigkeit so normale Bestandteile des Lebens, dass es ohne sie gar nicht mehr vorstellbar ist.
Für Aufregung sorgt das Gegenteil: Molica lässt eine kleine Gruppe linksradikaler Weltverbesserer auf die Favela los, die eine Sozialrevolution vom Zaun brechen wollen. In Zusammenarbeit mit dem lokalen Drogenboss gelingt den Möchtegern-Che-Guevaras, ohne dass die Revolution überhaupt begonnen hätte, Verblüffendes. Die Verbrechensrate sinkt rapide, die stinkende Abwasserleitung wird einbetoniert, kurz, das Dasein in dem Viertel wird deutlich friedlicher und lebenswerter. Das ruft natürlich andere Mächte auf den Plan, die den alten Zustand wiederhergestellt sehen möchten.
Die Erzählung mutet zeitweilig an wie eine Burleske shakespearscher Prägung, selbst ein Romeo und seine Julia fehlen nicht. Die bitter-ironische Grundmelodie, die Molica seinem Erstlingswerk eingewebt hat, ist es auch, die nach dem Lesen nachhallt. Sehr eindrücklich schildert er, warum sich an der strukturellen Armut in dem so reichen Land Brasilien nichts ändert; zumindest nicht zum Besseren.
Schade nur, dass die deutsche Übersetzung beim Titel nicht näher am Original, "Notícias do Mirandao", geblieben ist. "Nachrichten aus Mirandao" wäre treffender gewesen, nicht nur was Molicas Stil anbelangt. Schließlich bleibt das, was in der Favela geschieht, im Wesentlichen Stoff für die lokale Nachrichtenspalte und eben kein Krieg, der für große Geschichten auf Seite 1 taugen würde.
Dagegen ist dem Verlag ein Lob auszusprechen für ein umfassendes und präzises Glossar, das gerade für Rio-unkundige Leser verständliche geografische und soziokulturelle Informationen liefert. Auch die Aufnahme eines Interviews mit dem Autoren in die Taschenbuchausgabe sei anerkennend erwähnt. Molica äußert sich in gedankenanregender Weise unter anderem zur gesellschaftlichen Ratlosigkeit und Abstumpfung mit Blick auf die entsetzliche Gewalt und die ihr zugrunde liegende "Favealisierung" ganzer Stadtviertel in seiner Heimatstadt.
Fernando Molica: Krieg in Mirandao. Krimi aus Rio. Edition Nautilus, Hamburg 2006; 192 S., 13,90 Euro.