Alison Broinowski und James Wilkinson sprechen unumwunden aus, dass es in erster Linie Washington ist, das Fortschritten im Wege steht. George W. Bushs Missachtung der öffentlichen Meinung und seine abfällige Haltung gegenüber den Vereinten Nationen haben Washingtons Glaubwürdigkeit, wenn es von Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und fairem Handel spricht, untergraben. Vor allem die Arbeit des Sicherheitsrates werde durch "amerikanische Arroganz" beeinträchtigt.
Die scharfe Kritik der Diplomaten - James Wilkinson war selbst lange Jahre im Sicherheitsrat tätig - kommt nicht als Polemik daher, sondern wird in nahezu jedem Kapitel überzeugend untermauert. So, wenn daran erinnert wird, dass der US-Kongress wiederholt die multilaterale Zusammenarbeit unterlaufen hat, indem er UN-Beiträge zurückhielt, multilaterale Verträge verwarf, Programme zur Entwicklungszusammenarbeit unterfinanzierte und internationale Organisationen beschimpfte.
Wie sehr diese Politik kurzfristigen Interessen dient und keineswegs den Willen der amerikanischen Bürger dieser einzig noch verbliebenen Supermacht spiegelt, zeigt die Tatsache, dass eine klare Mehrheit die internationale Zusammenarbeit wertschätzt, eine Stärkung der UNO befürwortet, den armen Ländern helfen will und die Herrschaft des Rechts, den Internationalen Strafgerichtshof eingeschlossen, verwirklicht sehen will. Eine Mehrheit, die allerdings keinen Einfluss auf die Politik der Bush-Regierung hat.
Ein wesentlicher Grund für die Schwäche der Vereinten Nationen ist auch darin zu sehen, dass die reichen Demokratien, die bei der UNO das Sagen haben, kein ausreichendes Stehvermögen besitzen. Als klassisches Beispiel nennen die Autoren Somalia in den 90er-Jahren, wo die USA eine ohnehin schlecht geplante Militäroperation in den Sand setzten, dann die UNO für ihr eigenes Versagen verantwortlich machten und schließlich ihre Truppen abzogen. Das somalische Volk wurde so zur Geisel von Warlords und Gaunern. Die USA aber wandten sich von weiteren Friedenseinsätzen so gründlich ab, dass sie schließlich auch den Völkermord in Ruanda übersehen musste. Dass heute ein vergleichbarer Genozid in der sudanesischen Region Darfur stattfindet, belegt die Notwendigkeit, den Sicherheitsrat neu zu strukturieren, gelingt es ihm doch nicht einmal, die Stationierung von Truppen in dieser Region durchzusetzen.
Eine Reform der UNO sollte darauf abzielen, dass sie allen Mitgliedstaaten nutzt. Doch dies zu erreichen, scheitert schon an der Definition der Interessen. Während die ärmeren Staaten mehr finanzielle Hilfe im Kampf gegen die Armut anstreben, widersetzen sich die reichen Nationen allen Versuchen, Ressourcentransfers ein Mandat zu erteilen oder die Kontrolle der Geberländer über die Verwendung von Entwicklungsgeldern einzuschränken. Diese Spaltung hat auch zu Spannungen auf anderen Gebieten - Rüstungskontrolle, Umweltschutz und Menschenrechte - geführt.
Die Autoren beleuchten auch das Ringen um Einfluss im Sicherheitsrat, dessen Struktur nicht mehr repräsentativ ist, wie sich am Beispiel der größten Beitragszahlern der UNO, nämlich Japan und Deutschland zeigt, die keinen ständigen Sitz haben. Gegen Japan sperrt sich China, Pakistan ist gegen Indien, Italien will einen Sitz, wenn Deutschland einen bekommt, und in Afrika und Lateinamerika ist man sich völlig uneins, welche Länder auserwählt werden sollen.
Alle notwendigen Reformüberlegungen der Autoren enden bei der resignativen Erkenntniss, dass die USA der wichtigste Faktor bleiben, wenn es darum geht, den Kurs der UN-Reformen festzulegen. Washington zeige keinerlei Neigung, Maßnahmen umzusetzen, die seiner Hegemonialideologie widersprechen würden. Dies an der Bush-Regierung allein festzumachen, hieße, die politische Lage in den USA falsch einzuschätzen. Auch wenn Wahlen zu anderen Machtkonstellationen führten, würde sich an der geringschätzigen Haltung gegenüber den Vereinten Nationen wenig ändern. Sogar Bill Clinton antwortete, von einem Reporter zum Problem der vergleichsweise niedrigen US-Hilfe für die UN befragt, wegen solcher Themen würde niemand in den Kongress gewählt.
Alison Broinowski, James Wilkinson: Haben die Vereinten Nationen eine Zukunft? Eine Vision in Gefahr. Parthas Verlag, Berlin 2006; 304 S., 28 Euro.