Noch ist nichts entschieden, doch die Interessenten stehen schon Schlange. Natürlich darf eine "Heuschrecke" nicht fehlen: Der US-Investmentfonds Fortress, der die 48.000 städtischen Wohnungen in Dresden gekauft hat, will jetzt auch die Freiburger Wohnungsgesellschaft Stadtbau mit ihren 7.900 Wohnungen erwerben. "Freiburg ist eine Wachstumsregion", so Matthias Moser, Geschäftsführer von Fortress Deutschland. Mitmischen bei diesem Rennen will auch die Landesentwicklungsgesellschaft (LEG), eine Immobilientochter der Landesbank Baden-Württemberg - faktisch im öffentlichen Besitz, gilt die LEG als "Heuschreckle". Einsteigen im Breisgau möchten zudem die baden-württembergischen Baugenossenschaften. Im Rathaus bekundeten überdies mehrere namentlich nicht bekannte Bewerber ihr Interesse.
Doch noch ist nichts klar: Erst einmal müssen die Freiburger am 12. November bei einem Bürgerentscheid über die im Gemeinderat vom grünen Oberbürgermeister Dieter Salomon, CDU, Grünen und Freien Wählern mit 30 Stimmen gegen 17 Nein-Voten der SPD, Linker Liste, von zwei CDU-Stadträten sowie der FDP beschlossene Veräußerung der Stadtbau befinden. So soll der überschuldete Etat saniert werden. Durchgesetzt hat das Referendum die Bürgerinitiative "Wohnen ist Menschenrecht", die einen Ausverkauf der Mieterinteressen fürchtet. Wie der Volksentscheid ausgeht, ist offen. Mit 24.000 Unterschriften erzwangen die Gegner die Abstimmung: Für einen Erfolg an der Urne benötigten sie nach der Gemeinderordnung 38.000 Unterstützer und natürlich eine Mehrheit - das sind nur 1.4000 Befürworter mehr als bei der Unterschriftensammlung.
In Südbaden tobt seit dem Sommer ein aufgeladener politischer Krieg, der jetzt in einen heißen Herbst mündet und landes- wie bundespolitisch Wellen schlägt: Freiburg ist die erste westdeutsche Stadt, die nach Dresdner Vorbild ihre Gesellschaft fast vollständig privatisieren will - nur 5,1 Prozent sollen im kommunale Besitz bleiben. Setzt sich Salomon durch, könnte der Breisgau republikweit für viele unter Finanznot stöhnende Gemeinden zum Präzedenzfall werden.
Salomon wollte ursprünglich über die Stadtbau hinaus auch die 1.000 Wohnungen verkaufen, die sich direkt im städtischem Eigentum befinden. Angesichts der massiven Proteste nahmen aber CDU, Grüne und Freie Wähler von diesem Plan Abstand - für die Bürgerinitiative und die SPD ein erster Erfolg des Widerstands. Eine durchgestrichene Heuschrecke im Kreis ist momentan das vorherrschende Symbol im öffentlichen Leben - zu sehen auf Transparenten bei Demonstrationen oder an Balkonen in Sozialsiedlungen. Der Rathauschef, einst kumpelhaft "Dieter" gerufen, muss sich neuerdings auf turbulenten Bürgerversammlungen von Mietern als "Lügner" beschimpfen lassen: Erboste Widersacher kreiden dem Grünen an, ehedem einen Wohnungsverkauf ausgeschlossen zu haben. Der OB wiederum ortet bei seinen Kritikern einen "hoch aufgeladenen ideologischen Kern, der aber keine Substanz mehr hat".
Salomon erhofft sich von der Privatisierung der Stadtbau einen Erlös von 510 Millionen Euro. Fortress hat sogar signalisiert, mehr zu bieten. Mit der Veräußerung will die Gemeinderatsmehrheit die Schulden der Stadt - 340 Millionen Euro - und die Kreditbelastung der Stadtbau - 170 Millionen Euro - auf einen Schlag tilgen: Nur mit einem solchen Befreiungsschlag sei der Etat nachhaltig zu konsolidieren, so der OB. Losschlagen will Salomon die Stadtbau nur, wenn der Erwerber eine Sozialcharta zum weitreichenden Schutz der Bewohner akzeptiert: Luxussanierungen sollen etwa ausgeschlossen sein, auch bei einem Weiterverkauf von Wohnungen müssten sich die Mieten am örtlichen Mietspiegel orientieren.
Die Bürgerinitiative sieht in der Sozialcharta ein "Trostpflaster", den Leuten werde Sand in die Augen gestreut. Über kurz oder lang werde es zu einem Mietanstieg wie auch zu teuren Modernisierungen kommen. Zudem sei zu befürchten, dass bei Neuvermietungen Einkommensschwache und "Problemhaushalte" außen vor bleiben. Die SPD-Fraktionsvorsitzende Renate Buchen warnt vor einem "Ausverkauf der kommunalen Selbstverwaltung". SPD und FDP wollen für 70 Millionen Euro städtische Anteile an einem regionalen Energieversorger veräußern, um so den Etat bis 2008 genehmigungsfähig zu machen und Zeit für eine gründliche Debatte über die Finanzpolitik zu gewinnen.
Pünktlich zum Freiburger Abstimmungskampf hat der Deutsche Mieterbund an die Bundesregierung appelliert, Rathäuser bei Wohnungsverkäufen zu bremsen: Gemeinden, die ihre Immobilien Finanzinvestoren übereignen, sollen keine Gelder mehr aus Programmen wie etwa Soziale Stadt oder Stadtumbau erhalten. In Baden-Württemberg unterstützt FDP-Wirtschaftsminister Ernst Pfister OB Salomons Privatisierungskonzept - wobei bemerkenswerterweise die örtlichen Freien Demokraten diese Pläne ablehnen. Zur Unterstützung ihrer lokalen Parteifreunde reiste eigens eine Delegation der SPD-Landtagsfraktion in die Stadt: Sollte in Freiburg die Wohnungsveräußerung über die Bühne gehen, befürchten die SPD-Landespolitiker einen "Dominoeffekt" in Baden-Württemberg. Im Übrigen hat Rot-Grün im Breisgau keine Konjunktur mehr: Schwarz-Grün und die SPD bekriegen sich offen. 2002 hatte sich bei der OB-Wahl Salomon noch mit SPD-Hilfe gegen die Union durchgesetzt. Die politischen Fronten geraten gehörig durcheinander.