Don Catlin, 67, ist ein weltbekannter Antidoping-Analytiker, Chef des Dopingkontrolllabors in Los Angeles, und er hat es satt, den Sportbetrügern hinterherzulaufen. Der Kampf gegen die künstliche Leistungssteigerung kann einen schon mürbe machen, vor allem wenn man es mit Doping-Profis zu tun hat, die problemlos das notorisch unterfinanzierte Testsystem der Verbände und Antidopingagenturen umgehen. Dazu kam im Sommer der Fall Marion Jones: Die dreimalige Olympiasiegerin von Sydney 2000, seit Jahren des Dopings verdächtig, war im Juni positiv auf das Blutdopingmittel Epo getestet worden. Doch der Kontrolltest mit demselben Urin in Catlins Labor bestätigte das Ergebnis der A-Probe nicht. So etwas ist selten. Catlin hatte keine Erklärung, Marion Jones war frei. Und so kam es, dass Catlin in einem Interview folgende Reform des Antidopingsystems anregte: Dopingtests sollten für Spitzenathleten freiwillig werden. Wer daran teilnehme, könne mit regelmäßigen Kontrollen beweisen, dass er sauber sei. Wer nicht daran teilnehme, gerate automatisch unter Verdacht.
Don Catlin hat schon bessere Ideen gehabt. Sein Vorschlag läuft nämlich auf die Freigabe des Dopings hinaus und damit auf den endgültigen Verkauf der olympischen Ideale, nach denen Hochleistungssportler im fairen Wettstreit die Frage klären sollen, wer mit seinen natürlichen Fähigkeiten eine athletische Übung am besten bewältigt. Aber immerhin zeigt Catlins Beitrag, wie verzweifelt manche Antidopingfahnder sind. Es wird immer deutlicher, dass sie mit den Möglichkeiten, die der Sport ihnen in die Hand gibt, die künstliche Leistungssteigerung nicht nachhaltig genug bekämpfen können. Die Vielfalt des Problems und die kriminelle Energie, die dahinter steckt, sind zu groß. Vieles ist besser geworden nach der fast zügellosen Dopingpraxis in den 70er-, 80er- und 90er-Jahren. Druck von außen hat dem Sport eine neue Moral aufgezwungen. Während der Tour de France 1998 leuchtete die französische Polizei bei Razzien tief in die Abgründe des Profiradfahrens, fand bei dem Betreuer des Festina-Rennstalls, Willy Voet, Epo, das damals noch nicht nachweisbar war, und erbrachte damit den Beweis, dass Sportbetrüger am Werk waren, obwohl die Dopinganalytik nichts Verdächtiges bemerkt hatte. Das Internationale Olympische Komitee brachte die Weltantidopingagentur Wada auf den Weg. Eine Stiftung, die heute die olympische Bewegung selbst und die Regierungen der Welt tragen. Neue Testmöglichkeiten kamen auf, strategische Kontrollprogramme liefen an und der Wada-Code wurde verbindlich, ein weltweit gültiges Antidoping-Gesetzbuch. Spektakuläre Positiv-Tests folgten. Bei der Ski-WM in Lahti 2001 wurden sechs finnische Langlaufstars des Blutdopings überführt, 2002 der für Spanien startende Allgäuer Johann Mühlegg, nachdem er bei Olympia in Salt Lake City drei Mal Gold gewonnen hatte.
Der Sport schien sich selbst zu reinigen. Zumal seine eigene Gerichtsbarkeit, der Internationale Sportgerichtshof Cas in Lausanne, das Dopingreglement in seinen Urteilen stützte.
Doch der Kampf war deswegen noch längst nicht gewonnen. Wenn man nun zurückblickt auf die wichtigsten Skandale der vergangenen drei Jahre, fällt auf, dass der Sport und seine Fahnder sie allein nie hätten aufdecken können. Als sich bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2003 in Paris die Doppelweltmeisterin im Sprint aus den USA, Kelli White, wegen eines positiven Tests auf das Psychostimulans Modafinil rechtfertigen musste, ahnte niemand, dass sie Kundin eines der verruchtesten Dopingnetzwerke in der Sportgeschichte war. Das wurde erst klar, als die kalifornische Steuerbehörde bei der Firma Balco, einem Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln, vorstellig wurde und zufällig auf brisante E-Mails, Kalender-Notizen, Listen und Dopingtabellen stieß. Balco-Chef Victor Conte und seine Mitarbeiter hatten jahrelang neuartige Dopingmittel und -Kuren erfunden, mit denen sich Leichtathleten und andere Stars des US-Sports mästeten. Athleten wie der damalige 100-Meter-Weltrekordler Tim Montgomery erhielten daraufhin Sperren, ohne dass sie jemals positiv auf Doping getestet worden waren.
Bei Olympia 2006 in Turin unternahm die italienische Polizei eine Razzia in der Mannschaftsunterkunft österreichischer Langläufer und Biathleten. Ergebnis: In der Unterkunft fanden sich Medikamente und Spritzen. Auch die Radsport-Affäre dieses Sommers, in die der deutsche Tour-Sieger von 1997, Jan Ullrich, verstrickt ist, geht auf Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zurück, diesmal der spanischen.
So fügt sich das Bild über den Zustand des Antidopingkampfes mit weiteren Tatsachen zu dem Eindruck, dass der Sport sich zu viel zumutet, wenn er allein gegen Doping kämpft: Viele Dopingmittel sind nicht nachzuweisen. Andere Tests wie der auf Epo stehen in der Kritik, weil sie anfällig für Fehler sind. Dazu gibt es immer wieder Zweifel an der Strategie der Tester: Testen sie zum richtigen Zeitpunkt? Testen sie oft genug? In einem Grundsatzpapier gegen Doping hat der Deutsche Leichtathletik-Verband kürzlich die Dichte der Trainingskontrollen bei deutschen Athleten durch die nationale Antidoping-Agentur Nada beklagt. Bei etwa 9.000 zu testenden Athleten sei es nur zu 4.482 Trainingskontrollen im Jahr gekommen. Das heißt: Deutsche Athleten werden im Schnitt nur alle zwei Jahre im Training kontrolliert. Schon die Organisation der Tests ist schwierig: Spitzenathleten sind Teil eines Meldesystems, in dessen Rahmen sie bei den Antidopingagenturen zu jeder Zeit ihren Aufenthaltsort bekannt geben müssen. Aber der Antidopingfahnder Helmut Pabst, der mit seiner Kontroll-Firma fast alle Dopingproben in Deutschland nimmt, schrieb Ende August in einem Beitrag für die "Süddeutsche Zeitung": Von den deutschen Spitzensportverbänden bestrafe nur der Leichtathletik-Verband Verstöße gegen die Meldepflicht. Die Folge: ,,In bis zu 20 Prozent der Fälle treffen wir Kontrolleure die Athleten nicht an." Ein Prozent aller Dopingtests seien pro Jahr positiv, das sind zwischen 60 und 80 Dopingverstöße in Deutschland. Die Dunkelziffer kennt niemand.
Was tun? In diesem Sommer lief eine Studie im Auftrag der Wada mit deutschen, französischen und schwedischen Skilangläufern, die Erkenntnisse liefern soll für einen möglichen Athletenpass mit Blutprofilen und anderen Biomarkern, an deren Entwicklung Experten ablesen können, ob jemand dopt. Bengt Saltin, Professor für Muskelphysiologie an der Universität Kopenhagen, leitet die Studie. Im Langlauf hat er anhand von Blutwerten schon einige Verdachtsfälle erfolgreich eingrenzen können. Aber er weiß um die Schwäche des Sports. Als die dänische Regierung ihn nach dem Tour-Skandal von 1998 fragte, was gegen Doping zu tun sei, nannte er als eine der Maßnahmen ein Antidopinggesetz, das Doping unter Strafe stellt und die Hintermänner eines dopenden Sportlers in die Verantwortung zieht. Parallel zu den Strukturen des Sports sollte der Staat Dopingvergehen mit seinen Mitteln verfolgen können. Das Gesetz kam 2005. Saltin kann nicht sagen, dass Doping damit aus der Welt ist, aber die Zusammenarbeit zwischen Behörden und Fahndern des Sports, sagt er, funktioniere gut.
Der Trend geht wohl hin zur staatlichen Einmischung. Frankreich und Italien haben ein Antidopinggesetz, das in Spanien ist auf dem Weg, auch Österreich hat mit einer Gesetzesinitiative auf die Vorkommnisse von Turin reagiert, und in Deutschland wird darüber diskutiert. Kapitulieren ist dagegen eher keine Option. Don Catlins Vorschlag muss bis auf Weiteres eine Idee bleiben.